Lebe wild und ineffizient!
Sprache hat einen verblüffenden Einfluss auf unser Denken. Wörter können subtil manipulieren und beeinflussen, wie wir die Welt sehen. Ebenso ist unser Handeln von Routinen geprägt. Eine große Bedeutung kommt dabei sicherlich unserer Erziehung, der Tradition und Kultur zu, ihre Regeln leiten uns. Wirtschaftssysteme sind ebenso Teil all dessen. Ein Kommentar von Matthias Hüttmann
Umso wichtiger ist es, über Begrifflichkeiten und deren Wirkung nachzudenken und sich dessen bewusst zu werden. Schließlich hat dies alles auch Einfluss auf unser Urteilsvermögen. Vieles wird getan, schlichtweg weil wir es schon immer so gemacht haben, bzw. andere sich auch so verhalten. Oft sind es Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen.
Bedarf und Bedürfnisse
Gerne werden die Begriffe „Bedarf“ und „Bedürfnis“ synonym verwendet, wenngleich ein wesentlicher Unterschied besteht. Bedarf steht für das Notwendige, das grundsätzlich vorhanden sein muss. Die Existenzsicherung oder auch das Existenzminimum, wird deshalb häufig auch als „Grundbedarf“ bezeichnet. Im Gegensatz dazu beschreibt das Bedürfnis das Gefühl eines Mangels und den Wunsch, diesen zu beseitigen. Da Bedürfnisse eine wesentliche Basis für den Wirtschaftsprozess darstellen, gilt es, ökonomisch betrachtet, diese zu fördern. Man spricht auch vom „am Markt wirksam werdenden Bedarf“. Aufgrund dessen entwickelt sich eine Nachfrage, die sich auf Güter richtet, mit denen Bedürfnisse befriedigt werden können. Verschwimmen die Unterschiede der Begrifflichkeiten, so hat das durchaus drastische Auswirkungen auf unser Handeln.
Denn solange wir glauben, unsere Bedürfnisse und nicht unseren Bedarf befriedigen zu müssen, kommen wir nicht aus dem Hamsterrad des ressourcenfressenden Wachstumsdrucks heraus! Ob wir das letztendlich wollen hängt aber auch davon ab, wie wohl wir uns in unserer „hedonistischen Tretmühle“ fühlen. Denn betrachtet man unser Streben nach materiellem Glück, dann muss man konstatieren: Man arbeitet die ganze Zeit daran, vorwärts zu kommen und bleibt doch am selben Fleck. Unser Streben nach Freude sollte folglich ein Stück persönlicher, wenn nicht egoistischer werden. Denn dass uns unser Wohlstand nicht in der erwarteten Weise glücklicher macht, ist bekannt.
Verlorene Lebenszeit
Rein subjektiv betrachtet ist Zeit alles andere als linear. Mal abgesehen davon, dass der physikalische Begriff der absoluten Zeit wohl hinfällig ist, wird das eigene Empfinden der Zeit sehr vom eigenen Handeln beeinflusst. Es mag banal klingen, aber egal wie systematisch und ausgeklügelt ein Zeitmanagement auch ist, ein Tag hat immer 24 Stunden. Im Selbstversuch kann man gut ausprobieren, wie paradox das Einsparen von Zeit sein kann. Fährt man beispielsweise mit dem Auto, hört dabei gleichzeitig Nachrichten und führt noch dazu Telefonate, dann hat man den Personentransport sehr effizient erledigt. Fährt man die gleiche Strecke mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Fahrrad oder gar zu Fuß, so benötigt man mehr von dem kostbaren Gut Zeit. Da man dabei ungestört und weniger konzentriert ist, kommt man bisweilen nicht umhin frei und gedankenversunken zu agieren, statt zu reagieren. Dabei tritt ein Zeitkontingent zu Tage, das im Auto gar nicht zur Verfügung steht. Überspitzt formuliert kostet das Sitzen im Auto mehr von unserer limitierten Lebenszeit, als das Laufen oder Radeln. Die Zeit ineffizient zu verbringen bedeutet schlichtweg mehr Zeit für sich zu haben. Nicht allein Zeit einsparen ist wichtig, sondern es gilt, sie vor allem auch für sich gewinnbringend zu nutzen.
Lasst uns unproduktiv sein!
Kurios: Durch die stetigen Verbesserungen unserer Produktionsprozesse sollte uns eigentlich mehr Freiraum zur Verfügung stehen. Das ist aber nicht der Fall, solange wir uns selbst der Herrschaft der ökonomischen Produktivität unterwerfen. Das ist wie bei der Effizienz: Sie minimiert lediglich die relativen Verbräuche, um auch absolut etwas erreichen zu können, müssen Suffizienz-Maßnahmen ergriffen werden. In unserem Fall könnte das ganz einfach funktionieren. Wir müssten lediglich die Unproduktivität als Ziel ausrufen, zumindest schon mal für unser Privatleben. Vielleicht färbt das ja auch langfristig auf unser Wirtschaften ab.
Nichts muss so bleiben
Als Lösungsansatz kommt die Verantwortungsethik ins Spiel. Diese muss jedoch nicht mit dem erhobenen Zeigefinger gelehrt werden, sondern kann durchaus Spaß machen und einen Mehrwert haben. Schafft man es seine Bedürfnisse zu priorisieren, wird man bisweilen erleichtert feststellen können, dass die unangenehmen Begleiter Neid und Gier weniger häufig anklopfen. Minimiert man seine Bedürfnisse, verringert man zudem seine Unzufriedenheit und den Drang, irgendetwas hinterherlaufen zu müssen. Es ist nicht immer leicht das rechte Maß an Bedarf zu finden, jedoch ist der Weg das Ziel und auf dieser Reise gibt es viel zu entdecken.
Beispielsweise, dass die Wurzel des Übels nicht im Kapitalismus allein, sondern auch in Gewinnstreben und Gewinnmaximierung liegt. Ohne diese Bausteine ist er weniger effektiv. Zur Einschätzung unserer Situation schrieb Richard David Precht erst kürzlich: „Die Zerstörung der Natur (vielleicht sollte man besser schreiben, die Natur, in der wir leben) wird zum überwältigenden Teil nicht von Menschen verursacht, sondern sie erfolgt aus einem Denken heraus, das die Erde seit etwa zweihundert Jahren nach dem Kosten-Nutzen-Kalkül einiger Menschen in den reichen Industrieländern ausbeutet.“ Diese ziemlich abrupte Verhaltensänderung gilt es im Sinne von Bedarf und Bedürfnisbefriedigung neu zu justieren.
Quelle
Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. 2017 | SONNENENERGIE | Matthias Hüttmann 2017