Paris: Es ist Krieg – Werden wir dem gewachsen sein?
Wir müssen uns ändern! Anlässlich der Terroranschläge von Paris – Gastkommentar von Christoph Quarch
Es ist Krieg. Nie hätte ich gedacht, dass der Tag kommen würde, an dem ich diese drei Worte in meinen Computer schreiben muss. Nun starren sie mich an. Sie schneiden ins Herz. Es krampft sich zusammen. Ich denke an meine Kinder. Tränen treten in meine Augen. Es ist Krieg. Und zwar hier.
Als ich jung war, kursierte der Satz: „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin.“ Jetzt muss ich mir das nicht mehr vorstellen. Es ist Realität. Nur so ganz anders, als wir damals meinten. Keiner hier geht zu diesem Krieg. Die Menschen sind ins Stadion gegangen, ins Konzert, ins Café, ins Restaurant. Dorthin ist der Krieg gekommen – und zeigt seine barbarischste Seite. Unschuldige Tote, Frauen, Kinder, Jugendliche – Menschen wie du und ich. Ich weine um sie alle.
Bei Lichte besehen ist das Wort „Krieg“ ein Euphemismus für das, was in Paris geschehen ist. Denn Krieg war in Europa einmal ein Geschehen, bei dem es Recht und Regeln gab. Die islamistischen Terroristen von Paris kennen nichts davon: sie kennen keine Werte und kein Recht: Sie kennen nur ihren religiösen Wahn. Sie verdienen den Namen „Mensch“ nicht, denn sie sind die Schlächter der Humanität.
Es ist ein Krieg der neuen Art: die Feinde sind feige und unsichtbar. Es gibt keine Unterscheidung von Zivilist und Kombattant. Dieser Krieg gilt nicht einer Nation oder einem Volk, sondern er gilt unserer Kultur. Die Ziele der Barbaren waren gut gewählt: ein Fußball-Stadion, der Ort des Spiels, das wie nichts sonst die zivilisierten Völker vereint; ein Konzertsaal, der Ort, an dem (Heavy Metal hin oder her) die schönste Blüte europäischer Kultur zelebriert wird – die Musik; Cafés, Restaurants, Orte der Begegnung, der Liebe, der Kultur.
Der Krieg betrifft uns alle: Er gilt allem, was uns heilig ist und was das Leben adelt: der Kunst, der Kultur, dem Spiel, unseren Werten und Tugenden. Aber wissen wir selbst noch, welches diese Tugenden und Werte sind? Sie wir bereit für sie zu kämpfen? Sind wir bereit, uns um ihretwillen für unser Land und unser Europa aufs Spiel zu setzen? Sind wir bereit, Einbußen an Wohlstand und Freiheit in Kauf zu nehmen, um den Barbaren zu wehren? Sind wir bereit, unseren Eigensinn zu zähmen und einen europäischen Gemeinsinn zu entwickeln?
Es steht uns nicht frei, zu diesem Krieg zu gehen oder nicht: Er ist da, er rückt uns näher. Und wir sind in keiner Weise darauf vorbereitet. Nach den verheerenden Kriegen des 20. Jahrhunderts sind wir pazifistisch erzogen und träumen von gewaltfreier Kommunikation. Wir haben den Wehrdienst abgeschafft. Wehrhaftigkeit ist ein Wort, das im Wortschatz der Jüngeren nicht mehr vorkommt. Wir stehen dem Terror machtlos gegenüber. Ob unsere Politiker der Lage gewachsen sein werden – es muss sich weisen.
Wir müssen diesen Krieg gewinnen. Ohne wenn und aber. Um der Menschheit und um Gottes Willen müssen wir diesen Krieg gewinnen, um unserer Kinder und unserer Ahnen willen, die geblutet und gelitten haben, um dieses Europa zu schaffen. Aber wir werden diesen Krieg nicht mit immer mehr Sicherheitskräften und neuartigen Waffen gewinnen.
Wir werden diesen Krieg nur gewinnen, wenn wir uns alle in Europa in den Dienst unserer Werte und Ideen stellen: Wir können dem Islamismus nur wehren, wenn wir ihm das entgegenschmettern, was er nicht kennt, uns aber groß und stark macht: Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Liebe zum Leben, Sinn für Schönheit, Wahrhaftigkeit, Solidarität, Mitgefühl, Vernunft, Anstand und Disziplin.
Dafür müssen wir uns ändern. Das ist am Ende die Lektion der Terrornacht von Paris. Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher. Wir müssen begreifen, dass das Leben mehr ist als Entertainment, Internet, Shopping und Geld. All das, worum sich das Leben so vieler dreht, wird vor dem Hintergrund des Krieges, der zu uns gekommen ist, vollkommen belanglos. Es ist „nice to have“, aber es ist unwichtig. Wichtig ist der Geist Europas, seine Seele, seine Kultur. Sie gilt es zu verteidigen, denn ohne sie sind all die „nice to haves“ nichts wert. Die Barbarei lässt sich nur mit Geist bezwingen. Die Stunde dafür ist da. Wir können nicht mehr ausweichen. Wir müssen unser Leben ändern. Unsere Liebe zum Leben zwingt uns zum Kampf.
Liebe Leserinnen und Leser, wir weinen mit Paris. Das Grauen macht sprachlos. Aber Schweigen ist auch keine Lösung. Wir müssen reden über das Geschehene, müssen versuchen, uns dazu zu verhalten. Es grüßt Sie von Herzen, Ihr Christoph Quarch
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Eine Reaktion von unserem USER Matthias Lewek:
Lieber Herr Dr. Quarch,
ich habe gerade Ihren Artikel in den „Sonnenseiten“ gelesen. Vielem ist zuzustimmen, aber in einigen Dingen bin ich anderer Meinung:
- „Es ist Krieg“ stimmt nicht: es ist ein Terroranschlag. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Terrror kann man nicht mit Gegenterror , mit einem Krieg gegen den Terror beantworten, sondern nur mit der Verteidigung und dem Leben unserer Werte, Überzeugungen und Kultur.
- „Keiner geht zu diesem Krieg.“ ist falsch. Wir sind doch zu diesen Kriegen hingegangen, haben sie sogar begonnen: angefangen bei den Kolonialkriegen, Wirtschafts- und Finanzkriegen ( nichts andesres ist unser Wirtschafts- und Finanzsystem gegenüber den schwächeren Ländern- ehemaligen Kolonien) und den heutigen „Kriegen gegen den Terror“ in Afghanistan, Irak, Lybien, Syrien, Sudan,…
- „Es ist ein Krieg der neuen Art.“ Auch das stimmt so nicht. Terror gegen die Zivilbevölkerung ist seit langem bekannt: deutsche V2 gegen Coventry, englische Bomben auf deutsche Städte, … , um die Bürger zu demoralisieren. Auch ist Guerillakampf und Terror das Mittel der Unterlegenen, Unterdrückten, militärisch Schwächeren in einer asymetrischen Auseinandersetzung.
- Nicht zu vergessen die Drohnenangriffe Obama’s einschließlich der Bombardierung eines Krankenhauses in Kundus und der gezielten Tötungen und Besatzungswillkür Netanjahus – nicht „der Amerikaner“ oder „der Israelis“.
Mir geht es um die Folgen und Schlußfolgerungen aus diesen furchtbaren Verbrechen für uns: Verteidigung und Verwirklichung unserer Werte durch unseren Lebensstil:Freiheit, Gleichheit Brüderlichkeit, Gerechtigkeit und Solidarität, Demokratie, Bürgerrechte, Sozialstaat stärken und nicht um deren Einschränkung oder Aussetzung zugunsten des „Krieges gegen den Terror“.
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Kein Ruck. Deutschland bleibt in der Komfortzone
Eine Woche nach den Terroranschlägen hat sich die Aufregung gelegt. … In der „Welt“ vom gestrigen Donnerstag wird über den soeben veröffentlichten „Werte-Index 2016″ berichtet. Dort erfährt man, was der Deutschen höchste Werte sind: Gesundheit, Freiheit, Erfolg.
„Da fällt mir Nietzsches Rede über die „letzten Menschen“ ein: „Man hat ein Lüstchen für die Nacht und ein Lüstchen für den Tag, aber man ehrt die Gesundheit“. Gesundheit, das ist Nietzsches Punkt, ist der letzte Wert, der einer nihilistischen Gesellschaft bleibt: „Hauptsache gesund“ – nichts ist einem näher und wichtiger als das eigene Wohlergehen. Für universale Tugenden wie Gerechtigkeit, Solidarität, Naturschutz ist da kein Platz. Der Egoismus regiert. Das Politische ist tot. Selbst die terroristische Bedrohung unserer Gesellschaft scheint daran nichts zu ändern. Kein Ruck. … Von Christoph Quarch – mehr in seinem Blog