„Schafft einfach das Rentenalter ab!“
Eicke R. Weber fände es sinnvoll, wenn jeder Arbeitnehmer selbst entscheidet, wann er in den Ruhestand geht. Die Parteien arbeiten an ihren Wahlprogrammen. Ein wichtiger Punkt ist die Frage der Rentenversicherung: Soll die in der Agenda 2010 von Kanzler Gerhard Schröder beschlossene Anhebung des Rentenalters auf 67 wieder zurückgenommen werden, wie es von Teilen der SPD gefordert wird? Oder soll das Rentenalter weiter erhöht werden, auch jenseits der 67? Kommentar von Eicke R. Weber
Der Hauptgrund dieser Diskussion ist die Demografie. Die Bevölkerung altert durch eine steigende Lebenserwartung und sinkende Geburtenraten, immer weniger arbeitende Mitbürger stehen immer mehr Rentenempfängern gegenüber. Daher werden diese Überlegungen von der Frage getrieben, wie wir die Rentenversicherung angesichts dieser Entwicklung solvent halten können. Eine Erhöhung des Rentenalters bedeutet ja, dass jemand, der mit 67 statt früher mit 65 in Rente geht, im Prinzip dieselbe Rente erwartet. Sie ist also im Grunde eine heimliche Absenkung des Rentenniveaus.
Eine andere Frage wird weitgehend ausgeblendet:
- Wie möchten die potenziellen Rentenempfänger ihr Leben gestalten?
- Möchten sie möglichst früh in Rente gehen oder möglichst spät?
- Welche Belohnung sollten diejenigen erhalten, die länger im Berufsleben stehen möchten?
Es gibt viele Berufe, die den Menschen körperlich auslaugen, Schwerarbeit im Stahlwerk ebenso wie der Lehrerberuf, in dem eine gesundheitsbedingte Frühverrentung weit verbreitet ist. Es gibt aber auch viele Berufe, in denen die Mitarbeiter mit Freude arbeiten und gern bereit wären, ihre Erfahrungen auch im Rentenalter noch einige Jahre verantwortlich weiterzugeben.
Die Zwangsverrentung schließt Weiterarbeit nach dem Eintritt ins Rentenalter nicht aus, der Pensions- oder Rentenempfänger darf dazu verdienen. Falls er eine Altersteilzeit gewählt hat, nur bis 400 Euro, bei normaler Verrentung auch mehr. In jedem Fall ändert diese Weiterarbeit nichts an der Rentenhöhe, sie sichert dem Arbeitnehmer nur einige Jahre etwas zusätzliches Einkommen. Die Weiterarbeit muss in freiwilligem Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart werden.
Für diese Situation gibt es eine sehr viel einfachere Lösung, die für die Arbeitnehmer, die gern noch einige Jahre arbeiten möchten, von Vorteil wäre, und für die anderen, die froh sind in Rente zu gehen, keinerlei Nachteile bringen würde: die Abschaffung des Rentenalters! Das Alter der Zwangsverrentung sollte ersetzt werden durch das Alter, bis zu dem Kündigungsschutz besteht.
Falls Arbeitgeber und Arbeitnehmer freiwillig einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zustimmen, sollte dies unbegrenzt möglich sein, solange es die Gesundheit des Arbeitnehmers sowie das Interesse des Arbeitgebers erlauben. Arbeitnehmer, die mit 65, oder bald mit 67 in Rente gehen, erhalten dieselbe Rente wie bisher. So würde niemand einen Nachteil im Vergleich zu unserem jetzigen System haben.
Der große Vorteil dieser Revolution kommt aber mit freiwilliger Weiterarbeit: Da sich dadurch die Länge des Rentenbezugs verringert, steigen die Renten wesentlich an. Dieses System gilt bereits in den USA.
Ich kann ein Beispiel aus eigener Erfahrung zitieren: Nach 23 Jahren an der University in Berkeley erwarb ich außer der Pension der Universität auch einen Rentenanspruch. Die jährliche Abrechnung teilt mir mit, dass ich im Augenblick bei Verrentung mit 65 Anspruch auf eine monatliche Rente von 1400 Dollar hätte. Falls ich mich allerdings entscheiden würde, bis 70 weiterzuarbeiten, stiege mein Rentenanspruch auf 2200 Dollar an – eine um 57 Prozent höhere Rente durch nur fünf Jahre mehr Arbeit.
Das alte Argument, dass dies Arbeitsplätze blockiere, kann ich nicht gelten lassen: Wir haben zunehmend Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften und würden so die Möglichkeit eröffnen, von den Erfahrungen älterer Arbeitnehmer länger Gebrauch zu machen. Und die Erhöhung des Sozialproduktes durch diese Mehrarbeit würde letztlich auch mehr Arbeitsplätze schaffen.
Außer für den einzelnen Arbeitnehmer ergäbe sich ein weiterer, spannender Vorteil: Wir würden eine Arbeitswelt schaffen, in der Beschäftigung auf einem freiwilligen Vertrag bestünde, ohne Kündigungsschutz – eine für uns ganz neue Erfahrung. Plötzlich würden Gewerkschaften ein möglichst hohes Rentenalter fordern, das ja das Alter des Fortfalls von Kündigungsschutz darstellte! Für die Rentenversicherung wäre es grundsätzlich aufkommensneutral, vermutlich würde aber die Gefahr durch Überalterung verringert. Der Nutzen für die Volkswirtschaft, wie auch den Einzelnen, liegt dagegen auf der Hand. Warum gehen wir nicht diesen Weg und profitieren von der Win-Win-Situation?
Quelle
Eicke R. Weber 2013Der Autor ist Direktor des Fraunhofer- Instituts für Solare EnergiesystemeErstveröffentlichung „Badische Zeitung“ | 02.03. 2013