Was hindert uns, menschliche Werte zu leben?
In meinem Artikel über Motiv und Ursachen des Attentats von Norwegen (1) stellte ich heraus, dass nicht äußere Faktoren, sondern der innere Zustand unseres „modernen“ gesellschaftlichen Zusammenlebens, der Verlust menschlicher und sozialer Werte, die Ursache sind. Die Frage ist, was hindert uns, Würde, Toleranz, Engagement und menschliche Werte zu leben? Ein Bericht von Wolfgang Theophil
Betrachten wir unsere Schulen, die Ausbildung der jungen Menschen – die Menschenbildung.
Dort wird viel von Werten geredet und die Anforderung an die jungen Menschen erhoben, wertebewußt und vorbildlich zu leben. Es wird wertvolle Literatur gelesen, aber die Anwendung dessen Inhaltes auf die Wirklichkeit findet nicht statt. Auch eine Rückkopplung der Lernenden auf die Lernmethode und Lehrinhalte selbst ist nicht vorgesehen.
Hören wir, was uns Schüler zu sagen haben. Hier ein paar Zeilen eines unveröffentlichten, zensierten Artikels einer ABI-Zeitung aus dem Jahr 2007 : „[…]Aber wenn wir das Konzept der Lehrinstitute näher betrachten, springt uns ein Punkt ins Auge. Und zwar der Dreh- und Angelpunkt unserer modernen Gesellschaft: die Demokratie. Was, so könnten wir fragen; was hat Demokratie mit Schule zu tun? Nichts! […] Bleibt uns nichts anderes übrig, als Frontalunterricht auszuüben und das Schulsystem in ein diktatorisches Prinzip immer kleiner werdender Instanzen zu gliedern? Gibt es keine Alternative zu einem Lehrplan, der Unterrichtsinhalte aufzwingt? Zu einer Herde von Schülern, in der jeder beim geringsten Anzeichen von gefährlicher Individualität und Kreativität mit Disziplinarmaßnahmen gezüchtigt wird?“
Wie wichtig die Zeit der Schule ist, belegen auch die Ergebnisse der Hirnforschung. Sie weist nach, dass gerade in dieser Zeit, im Alter von 13 bis 18 Jahren die soziale Kompetenz und auch die Fähigkeit der Distanz zu seinem Denken und Handeln, die selbstkritische und soziale Fähigkeit ausgebildet wird. (2)
Lehre, Schule, Ausbildung stehen zweifellos in einem direkten Zusammenhang zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gemeinschaft. Aber der komplette Ausbildungsweg sollte sich nicht vorrangig nur an wirtschaftlicher Verwertbarkeit orientieren. Lerninhalte und Lernmethoden in der Schule und das Bachelor- und Master Studium (3) tragen aber diesen Stempel. Muss es uns nicht zu denken geben, wenn Schüler schreiben: „[…]Jedoch verfällt nicht jeder in einen Begeisterungstaumel beim Gedanken daran, ein Produkt einer gutgeölten Maschine zu sein, das, mit aller Vehemenz in eine Standardform gepresst, anschließend auf dem Markt der Berufe verhökert wird. Vielmehr hofft man, sich selbst zu bewahren und letztlich etwas mehr zu sein als ein Bildungsprodukt; nach Möglichkeit ein Mensch mit allen Eigenarten, die ihn ausmachen.“
Betrachten unsere Kinder den Bogen der illustren Gesellschaft, dann sehen sie kaum nachzueifernde, ehrliche und authentische Vorbilder. Sie sehen nichts mehr von den besprochenen Werten, sondern sie sehen die erwachsenen „Bildungsprodukte“, leibhaftig in Gestalt von Plagiateuren, Hochstaplern, Bestochenen und Verbrechern. Wirtschaftskriminelle sitzen alle Widrigkeiten aus, sitzen nicht im Gefängnis sondern weiter an den Schalthebeln der Macht und repräsentieren ungeniert unser Land nach Innen und Außen, feist nach dem Spruch: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich völlig ungeniert.
Orientierung und Werte der Kinder im „Zuhause“…
Betrachten wir den Umgang in unseren Familien. Wir hören laute und leise Hilfeschreie von Kindern, sehen die Unfähigkeit in familiärer Konfliktlösung. Nachbarn trauen sich nicht einzugreifen, und das Jugendamt kommt selten in einem ernsten Fall, eher in leichteren Delikten, die man auch leicht in einem Aktenordner fassen kann. Eltern stehen oft ratlos da und viele Eltern sehen sich gar nicht mehr in der Lage, Kindern Grenzen aufzuzeigen und Orientierung zu geben. Es fehlt die Zeit, die man sich nicht nimmt, es fehlt die Kraft und Energie, die im Alltag aufgefressen wird und es fehlt der Mut und die innere Kraft Konflikte konstruktiv zu lösen. Um uns herum entgleitet die seelische und erzieherische Fürsorge.
Und dies wird noch getoppt, indem dieses menschliche Scheitern in sogenannten “Family-shows im TV” vorgeführt wird. Ist es nicht ein Zeichen von Dekadenz, wenn desaströse Verhältnisse auch noch zur Unterhaltung und Belustigung der Allgemeinheit ausgeschlachtet werden?
Festzustellen ist, dass Familie und familienähnliche Bindungen in Auflösung begriffen sind. Singlehaushalte, Workoholics mit feierabendlichem Ambiente in Häusern und Wohnungen, die trotz modernster Architektur an Legestätten für Hühner erinnern – nicht an Heimstätten von Menschen. Der Geburtenschwund ist Folge der Umorientierung in der Lebensplanung.
Quelle
Wolfgang Theophil 2011 – Erstveröffentlichung tv-Orange 20.0811ist beruflich tätig als IT-Manager in der Forschung. Tritt ein für Direkte Demokratie, Freiheit, Menschenrechte, für Schutz von Umwelt und Mensch. Friedens- und Umweltaktivist. Redaktionell tätig in TV-ORANGE