‹ Zurück zur Übersicht

© Sonnenseite

Weniger besitzen, mehr leben

Wir werden als Minimalisten geboren. Babys brauchen nur die Fürsorge der Eltern und die Befriedigung körperlicher Grundbedürfnisse wie Schlaf, Nahrung und Wärme. Auch Kinder können noch selbstvergessen stundenlang mit Stöckchen und Steinen am Bach spielen. Doch irgendwann erliegt fast jeder den Verlockungen des Konsums. Mehr und mehr häufen wir Sachen an, von denen wir die wenigsten wirklich benötigen. Was soll daran falsch sein, wo doch die meisten dieses Spiel mitspielen? Ein Kommentar von Christof Herrmann

Mein Weg zu weniger Besitz

Auch ich hatte mit Anfang 30 die übliche Käuferkarriere hinter mir. Meinen Sammeltrieb lebte ich vor allem mit Tonträgern aus. Mehr als 4.000 CDs und Schallplatten hatte ich gehortet und war damit besser sortiert als manche Radiosender.

Ich begann umzudenken, als ich 2005 mit meiner damaligen Partnerin eine Radweltreise plante und wir den Hausrat unserer vollgestopften Zweizimmerwohnung reduzierten. “Dieses Loslassen von Ballast aller Art verursacht […] ein befreiendes Gefühl. Simplify your Life wie es im Buche steht.” schrieb ich damals in einem Buchbeitrag über die Vorbereitung einer solchen Tour.

Auf der eineinhalbjährigen Weltreise fehlte es mir an nichts. Alles, was ich zum Leben brauchte, steckte in den fünf Fahrradtaschen. Trotzdem wurde ich so reich beschenkt wie noch nie in meinem Leben, beschenkt mit unvergesslichen Eindrücken, großer Gastfreundschaft und schönen Begegnungen (wie die mit dem Radler oben im Bild).

Nach der Rückkehr ging die Beziehung zu meiner Partnerin in die Brüche. Den Neuanfang nutzte ich, um fortan einfacher und mit weniger Besitz zu leben. Ich hatte gelernt, dass mich unnötiger Konsum auf lange Sicht nicht glücklich macht.

Warum weniger besitzen mehr leben bedeutet

Wer weniger besitzt, hat mehr Zeit. Konsumartikel müssen ausgesucht, gekauft, heimgebracht, aufgestellt, verwendet, sortiert, gepflegt, repariert und ersetzt werden. Verzichtet man auf Sachen, hat man mehr Zeit, Sachen zu machen, etwa sich um seine Lieben zu kümmern.

Wer weniger besitzt, hat keine Geldsorgen. Auch Schulden können meist schnell abgebaut werden, indem man weniger konsumiert.

Wer weniger besitzt, kann sein Arbeitspensum reduzieren. Die eine oder andere Auszeit vom Job rückt in greifbare Nähe.

Wer weniger besitzt, lebt nachhaltiger, weil bei der Herstellung von Produkten weniger Ressourcen verbraucht werden und am anderen Ende weniger Müll anfällt.

Wer weniger besitzt, hat mehr Platz oder kann in eine kleinere Wohnung ziehen. Nach unten sind der Größe der Wohnung fast keine Grenzen gesetzt.

Wer weniger besitzt, muss weniger putzen.

Wer weniger besitzt, erfreut sich mehr an den kleinen Dingen des Lebens. Die einzige Teetasse wird zur Lieblingsteetasse. Blumen auf der Wiese erfreuen das Auge wie selten zuvor. Die Umarmung eines Freundes ist eine kleine Geste mit großer Bedeutung.

Wer weniger besitzt, pflegt echte Freundschaften, in denen es um mehr als um schicke Klamotten und schnelle Autos geht.

Wer weniger besitzt, hat weniger Angst. Besitz und Statussymbole verlieren zu können und Rechnungen zahlen zu müssen, verursachen Stress, der wiederum krank machen kann.

Wer weniger besitzt, ist glücklicher, denn er kann sich den wichtigen Dinge im Leben widmen: Freunde treffen, die Partnerin lieben, mit den Kindern spielen, sich in der Natur bewegen, kreativ sein, sich gesund ernähren, seinen Passionen nachgehen …

Wer weniger besitzt, verreist einfacher. Auf meiner Fernwanderung nach Venedig kam ich mit einem 50-Liter-Rucksack aus.

Wer weniger besitzt, ist sozial. Minimalisten verschenken gerne, spenden oft, nehmen sich Zeit für andere und integrieren sich in die Gemeinschaft, indem sie zum Beispiel mit dem Nachbarn Schlagbohrer gegen Rasenmäher auf Zeit tauschen oder Fahrgemeinschaften bilden.

Und Dein Weg?

Hast Du Deinen Konsum ebenfalls reduziert? Oder bist Du noch nicht davon überzeugt, dass weniger besitzen mehr leben bedeutet? Dann bringt Dich vielleicht dieses kleine Experiment auf den Geschmack: Trenne Dich einen Monat lang jeden Tag von einer Sache. Die Lederkrawatte aus den 80er Jahren kommt in die Altkleidersammlung. Die Fritteuse, die erst einmal verwendet wurde, könnte bei eBay einen guten Preis erzielen.

Ein paar Bücher finden ein neues Zuhause in einem öffentlichen Bücherschrank. Wenn Du Dich nach diesem Monat des Loslassens nicht besser fühlst, ist Minimalismus (noch) nichts für Dich.

Quelle

Christof Herrmann 2013EINFACH BEWUSST 2013

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren