‹ Zurück zur Übersicht

Weniger Klimaschutz bedeutet mehr Armut

Schade, die EU-Kommission hat eine Chance vertan. Die Klimaziele, die sie bis 2030 erreichen will, sind völlig ungenügend – und es geht wieder einmal zulasten der Armen in der Welt.

Wie will Europa die Schwellenländer zu eigenen Klimaschutzanstrengungen motivieren, wenn die EU selbstihrer Verantwortung nicht gerecht wird? Ein Standpunkt von Thomas Hirsch

Die Europäische Union und vor allem Deutschland haben bisher weltweit eine Vorreiterrolle im Klimaschutz eingenommen. Die Erfolge der vergangenen Dekade sind beachtenswert und haben sich in Form von Technologieführerschaft, gestärkter wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und nicht zuletzt hunderttausenden neuen Arbeitsplätzen im wahrsten Sinne des Wortes bezahlt gemacht. Außenpolitisch kommt hinzu, dass wir uns dank unseres klimapolitischen Engagements der Wertschätzung von weit über hundert Entwicklungsländern erfreuen, die unseren vergleichsweise ambitionierten Kurs in der internationalen Klimapolitik stützen. Ein ähnlich hohes Ansehen in der Welt genießt die EU in kaum einem anderen Feld der internationalen Politik. 

Die EU-Kommission wird nun mit ihrem Weißbuch zu den EU-Klimazzielen für 2030 die Umstellung auf eine saubere Energieerzeugung und Investitionen in eine zukunftsfähige Wirtschaft für mehr als ein Jahrzehnt ausbremsen. Das hat negative wirtschaftliche und ökologische Folgen nicht nur in Europa, sondern vor allem auch in Entwicklungsländern. Weniger Klimaschutz bedeutet mehr Armut. 

Durch die Naturkatastrophen der letzten 30 Jahre sind weltweit zweieinhalb Millionen Menschen ums Leben gekommen und Schäden von 3,8 Billionen US-Dollar entstanden, so die Münchener Rückversicherung. Drei Viertel dieser Verluste gehen auf Wetterextreme zurück – und der Trend weist nach oben. Lag das jährliche Schadensvolumen in den 1980er Jahren noch bei circa 50 Milliarden US-Dollar, so hat es sich in der letzten Dekade auf 200 Milliarden vervierfacht. 

Steigende Meeresspiegel, zunehmender Trinkwassermangel, mehrTropenstürme, Fluten und Dürren – so unterschiedlich die regionalen Ausprägungen des Klimawandels auch ausfallen, eines ist ihnen doch gemeinsam: Hauptleidtragende sind die Armen in den sogenannten Entwicklungsländern. Deren eigene Treibhausgasemissionen und damit Beiträge zum Klimawandel sind aufgrund ihrer Armut verschwindend gering. Zugleich sind sie zu arm, um sich vor den Wetterextremen und bedrohlichen klimatischen Veränderungen zu schützen, die inzwischen überall auf dem Vormarsch sind. 

Die Erderwärmung gefährdet die globale wirtschaftliche Entwicklung, sagt die Weltbank

Deshalb schlagen die Vereinten Nationen seit langem Alarm, so im„Bericht über die menschliche Entwicklung 2013“. Bis 2050 könnte die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, durch Umweltkatastrophen auf unvorstellbare drei Milliarden steigen, wenn nicht gehandelt wird. 

Die Weltbank unter ihrem neuen Präsidenten Jim Yong Kim hatte bereits im November 2012 in einem aufsehenerregenden Bericht eindringlich darauf hingewiesen, dass die globale wirtschaftliche Entwicklung extrem gefährdet sei, wenn es nicht gelinge, die Erderwärmung wirkungsvoll einzudämmen. Während des Warschauer Klimagipfels im November 2013legte die Weltbank mit der Veröffentlichung einer Studie zu den zunehmenden Schäden durch Wetterextreme nach. Die Welt könne es sich angesichts so tragischer Ereignisse wie des Supersturms Haiyan, der auf den Philippinen eine Fläche annähernd so groß wie Bayern verwüstete, nicht länger erlauben, Maßnahmen zum Klimaschutz sowie zur Verbesserung der Katastrophenvorsorge und der Klimaanpassung aufzuschieben. 

Nicht betriebener Klimaschutz ist damit ein Armutstreiber allergrößten Ausmaßes. Es ist auch darum unsere Verantwortung, mehr und nicht weniger Klimaschutz zu betreiben. Sonst drohen durch die globale Erwärmung massive Entwicklungsrückschritte mit tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen rund um den Globus und bis nach Europa. 

Wenn die EU ihre Vorreiterrolle im Klimaschutz jetzt an den Nagel hängt und erforderliche Klimaschutzanstrengungen in die Zukunft verschiebt, ist das nicht nur viel teurer, sondern brüskiert auch die Schwellen- und Entwicklungsländer. Wie wollen wir diese Länder zu eigenen Klimaschutzanstrengungen motivieren, wenn wir selbst unserer historischen Verantwortung nicht gerecht werden? Nur wenn die EU wieder auf den Pfad einer ambitionierten Klimaschutzpolitik zurückkehrt, werden auch andere Länder mitziehen. 

Anspruchsvoller Klimaschutz braucht Leuchtturmprojekte und überzeugende Pioniere

Auf europäischem Boden soll 2015 bei der UN-Klimakonferenz in Paris ein neues weltweites Klimaschutzabkommen ausgehandelt werden. Eine Vorreiterrolle Europas ist entscheidend, um ein Scheitern des Gipfels abzuwenden. Die evangelische Hilfsorganisation Brot für die Welt fordert eine europaweite Minderung der Treibhausgasemissionen um 55 Prozent (gegenüber 1990), ein Ausbauziel für erneuerbare Energien von 45 Prozent und eine Senkung des Endenergieverbrauchs um 40 Prozent bis 2030. Aus Sicht von Brot für die Welt sind jetzt Pragmatismus und der Abschied von ideologischen Frontstellungen gefragt. 

Erstens: Ambitionierter Klimaschutz kann keinem Land aufgezwungen werden. Staaten werden nur dann handeln, wenn die Einsicht wächst, dass sich der Umstieg auf erneuerbare Energien und eine CO2-ärmere wirtschaftliche Wertschöpfung rechnen. Klimaschutz als Chance und nicht als Bürde zu begreifen setzt allerdings voraus, dass Vorreitern echte Vorteile erwachsen, etwa indem die internationalen Entwicklungsbanken sehr schnell und sehr massiv ihre Investitionen von den fossilen auf die erneuerbaren Energien umschichten und Risikokapital im Umfang dreistelliger Milliardenbeträge bereitstellen. Während sich die Weltbank hierzu anschickt, steht ein vergleichbarer Strategiewechsel der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) noch aus

Zweitens: Die Welt braucht erfolgreiche Leuchtturmprojekte einer Transformation, das heißt überzeugende Pioniere, denen andere nachfolgen. Das gilt für Staaten ebenso wie für Unternehmen. Die gesenkten CO2-Grenzwerte für den US-amerikanischen Automobilsektor sind hierfür ebenso eine mögliche Blaupause wie die deutsche Energiewende, die Anstrengungen Chinas zur schnellen Dekarbonisierung der industriellen, noch immer extrem kohlenstoffintensiven Wertschöpfung oder der Plan Costa Ricas, bis 2020 CO2-neutral zu werden. Diesen Kurs beizubehalten und mit einer entsprechenden nationalen Ordnungs- und Investitionspolitik abzusichern, auch gegen wachsende Widerstände, ist unverzichtbar.

Drittens: Die Klimapolitik ist zum Scheitern verurteilt, wenn sie weiterhin als Konflikt zwischen Nord und Süd missverstanden oder instrumentalisiert wird. Das spielt lediglich den Blockierern in die Hände. Das menschliche Leid infolge von „Haiyan“ machen ebenso wie die überall auf der Welt wachsenden Klimaschäden, die die ärmsten und verwundbarsten Menschen am stärksten treffen, deutlich: Kein Land hat das Recht, eigene Untätigkeit mit dem klimapolitischen Versagen eines anderen Landes zu entschuldigen. Stattdessen müssen sich die ambitionierten Länder aus Nord und Süd zusammentun, um gemeinsam voranzuschreiten. Die Welt braucht Vorreiterallianzen, keine Blockierer oder Zauderer. Hieran mitzuwirken, ist aus Sicht von Brot für die Welt eine zentrale Gestaltungsaufgabe für die Umwelt-, Entwicklungs- und Klimaaußenpolitik der neuen Bundesregierung. Dafür müssen erhebliche finanzielle Mittel in Höhe von mehreren Milliarden pro Jahr bereitgestellt werden.

Quelle
Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren