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Zweimal Fünfzig: Und nichts gelernt

„Grenzen des Wachstums“ – Gedanken zu einem Buch von Jörg Sutter

In der aktuellen Corona-Zeit ein Jubiläum wie einen runden Geburtstag zu feiern, wäre, auch angesichts der katastrophalen Situation in der Ukraine, mehr als unpassend gewesen. Doch einen zweiten 50. Geburtstag möchte ich heute thematisieren, dabei geht es nicht um eine Person und ein freudiges Jubiläum, sondern um ein Buch und eine inzwischen 50jährige Erkenntnis. Und was sich seither getan hat und wie unendlich schwer manche Änderungen sind.

Die Grenzen des Wachstums
Dennis Meadows "Die Grenzen des Wachstums"
dva | Dennis Meadows „Die Grenzen des Wachstums“

Wenig beachtet steht es in meinem Bücherregal, erworben für günstige Taler auf einem Bücherflohmarkt, kein Nachdruck, sondern die Originalausgabe aus dem Jahr 1972: „Die Grenzen des Wachstums“. Damals hatte der Club of Rome, ein Zusammenschluss von internationalen Wissenschaftlern, Wirtschaftlern und Humanisten, das Ziel, den Stand der Forschungsarbeiten zu den Menschheitsproblemen aus verschiedenen Bereichen nicht nur zusammenzufassen, sondern vor allem allgemeinverständlich lesbar aufzubereiten. Um mit der Veröffentlichung möglichst große Wirkung zu erreichen, wurde das Werk gleich zu Beginn in zehn Sprachen veröffentlicht. Klare Absicht des Club of Rome: Die politischen Entscheidungsträger sollten zur Reflexion der globalen Probleme der Menschheit angeregt werden. Und zumindest allgemeine Aufmerksamkeit wurde erreicht: In 30 Sprachen wurde die Studie schließlich übersetzt, 30 Millionen Exemplare der Untersuchung in Buchform wurden bis heute verkauft.

Grenzen im Jahr 1972
Doch welche Grenzen wurden vor 50 Jahren gesehen? Waren es die gleichen, die es heute noch sind? An zwei wichtigen Bereichen wurde damals die Dramatik des exponentiellen Wachstums aufgezeigt:

© Grafik Weltbevölkerung, Quelle: Statista


1) Überbevölkerung:
Eine kritische Größe der Gesamtbevölkerung wurde beschrieben und als Konsequenz ein stetig verringerter Vorrat an Rohstoffen und begrenzter Fläche, die zwangsläufig zu niedrigerem Lebensstandard führen muss. Anfang der 1970er Jahre lag die Weltbevölkerung bei 3,6 Mrd. Menschen, 2020 lebten rund 7,8 Mrd. Menschen auf unserem Planeten. Betrachtet man den dynamischen Anstieg in den 1960er und 1970er Jahren, kann aber erahnt werden, welche Gefahr damals gesehen wurde. Zumindest eine deutliche Eindämmung des Wachstums wird seit dem Bericht sichtbar.

2) Weltwirtschaftswachstum:
Die jährliche Wachstumsrate zwischen 1963 und 1968 betrug sieben Prozent pro Kopf der Bevölkerung, die ja ebenfalls stark anstieg. Diese Zahlen analysierend wurde eine Fortschreibung dieses Wachstums errechnet, nicht ohne den Hinweis anzubringen, dass sich das Wirtschaftswachstum auch damals schon auf die industrialisierten Länder konzentriert hat und ein größeres soziales Ungleichgewicht zwischen Industrie- und Entwicklungsländern die Folge wäre.

Und die Realität?

Die Hochrechnung von damals ergab für die Bundesrepublik ein Bruttosozialprodukt pro Kopf von 5.850 Dollar für das Jahr 2000 – eine völlige Unterschätzung, vergleicht man dagegen die realen 25.900 Euro pro Kopf für das Jahr 2000, die statistisch von Destatis als Realwerte ausgewiesen werden. Im Jahr 2020 lag das BIP in Deutschland laut IWF bei 54.100 Dollar pro Kopf, also bei fast dem zehnfachen des 1972 hochgerechneten Wertes und dem Doppelten des Jahres 2000.

Konkrete Gefahren
Nahrungsmittel: Meadows und sein Forschungsteam des Massachusetts Institute of Technology (MIT) beleuchteten die mögliche zukünftige Nahrungsmittelproduktion und diskutierten die Kosten der Urbanmachung weiterer, bisher nicht landwirtschaftlich genutzter Flächen. Auch die Wasserversorgung wurde thematisiert, alles unter der schon oben genannten rasanten Bevölkerungsentwicklung.

Rohstoffe: Die Forscher befürchteten, dass viele Rohstoffe knapp und teuer werden könnten oder beim damals angesetzten Verbrauch die Vorräte in Zukunft erschöpft wären. Betrachtet man aus heutiger Sicht die damalige Berechnung, so können wir froh sein: Nicht nur Gold und Quecksilber sind – entgegen der damaligen Berechnung auch heute noch verfügbar, auch Kupfer und Aluminium sind es, für Alu wurde damals ein Indexwert (also eine zeitliche Reichweite der Vorräte) von 55 Jahren ermittelt.

Umweltverschmutzung: Weitsichtig wurde damals hingewiesen, dass sich die Menschen erst seit kurzem mit den Auswirkungen der Verschmutzung auf die Umwelt beschäftigen und Daten und Berechnungen daher nicht sehr belastbar sind. Doch auch damals schon wurde beschrieben, dass mögliche Grenzwerte, die das System Erde noch verträgt, eventuell unbemerkt überschritten werden, weil oft lange Zeiten zwischen Verschmutzung und Konsequenz vergehen. Aus heutiger Sicht: Was wir heute als Kipppunkte beim Klima beschreiben, war strukturell schon damals bekannt und bewusst.

Eine Verbindung dieser Probleme untereinander herzustellen und ein „Weltmodell“ (das hieß damals wirklich so) aufzubauen, mit der die Berechnung der Zukunft gelingen und untersucht werden kann, was passiert, wenn die Grenzen des Wachstums erreicht werden – das war die damalige Einzigartigkeit der Studie. Klar war für den Club of Rome, dass die Erkenntnis dieser Probleme und der Perspektive dazu führen müsse, dass „neue Denkgewohnheiten entwickelt“ werden und eine grundsätzliche Änderung des menschlichen Verhaltens herbeigeführt wird.

Haben wir das in der Zwischenzeit geschafft? Zwei Beispiele, subjektiv gewählt, können bei der Beantwortung dieser Frage behilflich sein.

© Jörg Sutter | Das Solarhaus Freiburg heute,

Zur Halbzeit: Das Freiburger Solarhaus
Im Christaweg 40 in Freiburg wurde zu Beginn der 90er Jahre eine Revolution im Gebäudebereich umgesetzt: Das energieautarke Solarhaus wurde 1992 eingeweiht, mit diesem Projekt testete das Fraunhofer Institut ISE das Konzept eines Gebäudes in Mitteleuropa, das sich vollständig aus Sonnenlicht versorgen und keinen Gas- oder Stromanschluss besitzen sollte. Als Passivhaus wurde das zweistöckige Gebäude konzipiert und wies schon damals einen Heizenergiebedarf von nur 10 kWh/m2 und Jahr aus. Eine transparente Wärmedämmung auf der Südseite, eine fensterlose Nordseite und eine Lüftungsanlage mit Vorwärmung trugen zu diesen guten Werten bei. Zusätzlich wurde über eine PV-Anlage Strom erzeugt, in einem Batteriespeicher kurz- und einem Wasserstoffspeicher langfristig gelagert.

Hat das „Solarhaus Freiburg“ einen Impuls gesetzt?

Ja. Es hat völlig im Sinne von Meadows gezeigt, dass sich ein Gebäude in Mitteleuropa solar selbstversorgen kann und nicht auf Energieimporte angewiesen ist. Dass ein Gebäude betrieben werden kann, ohne endliche Rohstoffe zu fressen. Damals eine Revolution – und heute? Es hat sicherlich das Denken, energetisch zu bauen beeinflusst und viele Entwicklungen vorangetrieben.

Doch ganz im Sinne von Meadows kann man auch gefrustet sein, denn heute, 25 Jahre nach Abschluss der Forschungsarbeiten am Haus, wird zwar bei uns mit Gebäudeenergiegesetz und KfW-Anforderungen gebaut. Doch just in dieser Woche wurde dem Gebäudebereich wieder ein schlechter Klimaschutz attestiert: Der Expertenrat für Klimafragen (ERK) hat seinen jährlichen Bericht vorgelegt und kritisiert, dass die Klimaziele im Gebäudebereich das zweite Jahr in Folge nicht erreicht wurden. Es wurde also bis heute nicht genug aus dem Solarhaus Freiburg gelernt.

Grenzen heute: Das Tempolimit

Wie unendlich schwer die von Meadows im Buch schon 1972 angemahnten Verhaltensänderungen sein können, kann heute leicht am Thema Tempolimit beobachtet werden. Einerseits werden seit Wochen Krisenszenarien durchgespielt, in denen die russische Energiezufuhr unterbrochen oder auch proaktiv die Importe gestoppt werden, um die kriegerischen Aktivitäten nicht weiter zu unterstützen. Sowohl die Deutsche Umwelthilfe wie das Umweltbundesamt (UBA) weisen auf hohe Einsparmöglichkeiten bei Treibstoffen hin, wenn wir ein wenig auf Raserei in Deutschland verzichten und ein (vielleicht auch nur temporäres) Tempolimit auf unseren Autobahnen einrichten. Schaffen wir wenigsten heute die Verhaltensänderungen, die Meadows schon 1972 angemahnt hat? Mitnichten. Aktuell wird vom amtierenden Verkehrsminister die Begründung angeführt, es stünden nicht genug Schilder dafür zur Verfügung – angesichts der Krise kann man gar nicht so oft den Kopf schütteln, wie es nötig wäre.

Hirzel Verlag | Franz Alt / Ulrich von Weizsäcker "Der Planet ist geplündert"
© Hirzel Verlag | Franz Alt / Ulrich von Weizsäcker „Der Planet ist geplündert“
Fazit

Die Schlussfolgerungen und Forderungen des Club of Rome sind heute so aktuell wie damals, auch wenn sich die Dynamiken nicht so bewahrheitet haben wie damals vorausgesagt. Von den damals genannten Hundert Jahren bis zum Erreichen der absoluten Wachstumsgrenze sind inzwischen 50 Jahre vergangen, wir haben Halbzeit erreicht. Haben wir den Abzweig in Richtung Gleichgewicht gefunden? Mitnichten. Und um mit einer aus dem Buch stammenden Analyse zu enden, die von heute stammen könnte, aber schon 1972 geschrieben wurde: “Dennoch ist nur ein winziger Teil der Menschheit aktiv darum bemüht, diese Probleme überhaupt erst zu verstehen und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen“. Schade eigentlich.

Quelle

Der Bericht wurde von der Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. (Jörg Sutter) 2022 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | SONNENENERGIE 01/2022 | Das Inhaltsverzeichnis zum Download!

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