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Asien wird die Welt retten – Aber nur wenn es sich gegen Europas Gier wendet

Asien wird es wenden. Nicht Europa, Europa will verschämt seinen Wohlstand behalten. Es will sich nicht ändern. Es will das, was es so verhängnisvoll für die Umwelt tut, nur anders benennen. Ich las jüngst einen Bericht über eine neue Industrie, die zwar den Globus weiter zerstört, aber sich schöner nennt: nachhaltigen Tourismus… Rezension von Rupert Neudeck.

Chandran Nair durchschaut uns Europäer. Mit Demokratie und Freihandel vertreten wir universal gültige Prinzipien, wie mangelhaft sie sich auch überall zeigen. Denn wenn die Ideen überall gelten und auf alle gleichermaßen angewandt werden können, „dann besteht kein Grund, die Fundamente des eigenen Reichtums infrage zu stellen oder die Tatsache, dass westliche Konzerne sich über alle Welt ausbreiten, um immer mehr Reichtum anzuhäufen“. Mit dieser Ideologie überziehe man derzeit Asien – wenn Journalisten nach freien Märkten schreien, Ökonomen mehr Wohlstand versprechen und Regierungsbeamte die Bürger zum Konsum anhalten.“

Der Autor lässt keinen Wunsch offen. Er weiß natürlich, dass es riskant ist von Asien zu sprechen. Damit, so sagt er, meine er die Länder Ost-, Südost- und Südasiens. Australien und Neuseeland meint er nicht. Japan zähle dazu, wenn auch nicht zu Gänze. Manchmal bezeichne er diese Länder Asiens als Entwicklungsländer. Dabei lasse er unberücksichtigt, dass die reicheren Länder Ostasiens mit Europa mehr gemeinsam haben als mit Myanmar und Afghanistan.

Der Autor sagt sich: Gier ist nicht die Lösung. Von Adam Smith bis Thomas Friedmann wird der Welt gepredigt, dass es die heilende „unsichtbare Hand des Marktes“ gibt, die immer das Richtige tut. Und etwas hässlicher und nach so vielen Weltkriegen eben auch realistischer zwei Jahrhunderte später, Thomas Friedmann, der größte Fan der Idee, dass der freie Markt die Lösung aller Probleme sei. Von ihm zitiert der Inder die Sätze: „Der einzige Antrieb, der es mit Mutter Natur aufnehmen kann, sei Vater Gier, der Markt. „Nur ein Markt, der von positiven und negativen Anreizen dazu stimuliert wird, saubere, emissionsfreie Energiequellen zu investieren, kann der globalen Erwärmung einen Riegel vorschieben“.

Das habe, so Chandran Nair, fast etwas Religiöses. Auf jeden Fall im Sinne der Prädestination. Wir sollen einfach glauben: Gier sei gut. Mohammed Yunus war schon der eine Prophet aus Süd-Asien, aus einem der Länder, deren Untergang von westlicher Gier-Ideologie her eindeutig vorprogrammiert ist. Yunus hat dem wie Chandran Nair aus verschiedenen Hinsichten einen Riegel vorgeschoben: Gier ist schlecht. Der Glaube an den Markt ist falsch.

Asien, so der großartige und erfahrene Inder, muss seine eigenen Lösungen finden, unabhängig von Europa und Europa ist auch Australien, Neuseeland, der internationale Tourismus und die Auto-Revolution. Europa (der Westen, also auch die USA, Kanada usw.) leben von dem Glauben, dass die Welt nur weitergeht, wenn jede Familie oder jeder Erwerbsbürger mindestens ein Autor fährt, besser noch zwei, in Zukunft besser drei, ein Elektroauto für das Umweltbewusstsein noch dazu.

1990, schreibt er, war Chinas Autoindustrie vernachlässigbar. Es ging um hunderttausend Fahrzeuge. 2009 wurden im Jahr in China 13 Millionen Autos verkauft. Jeder große westliche Autokonzern hat mittlerweile einen Produktionsableger in China. In der FAZ tönt ein Autozuliefererfabrikant „Die Chinesen brauchen uns“. 2020 werden es in den USA und China je 330 Mio. Autos sein. 2050 wird China uns überholen – nachdem, was Thomas Friedmann und die Gier-Religion meinen – es werden in China zwischen 470 und 660 Mio. Autos fahren. Zum Vergleich: heute sind an die 820 Mio. PKWs auf der Welt unterwegs.

Wer wird diese Autos anfeuern? 2005 verbrauchten Chinas Autos 109 Mio. Tonnen Erdöl. 2050 werden es sechs bis zehnmal so viel sein. Es wird schwer sein, das Öl dafür aufzutreiben.

Das entscheidende Verdienst des Buches liegt in dem Abschied, den es den Glaubensinhalten des Westens gibt. Jene Unternehmen, die in Chinas Autoindustrie investieren, gehen ja – wie wir alle im Westen – davon aus, dass sich „irgendetwas ergeben wird, was die Lage entscheidend verändert. Das Buch zitiert Carlos GHOSN, Konzernchef von Renault und Nissan. China, Indien und andere Länder werden dafür sorgen, dass die Zahl der Autos bis 2050 auf 2,9 Milliarden ansteigen wird, also das Vierfache des heutigen Werts. „Er weiß, dass diese Autos nicht dieselben sein können wie heute – selbstverständlich werden die emissionsfrei sein.“. Aber, so der Autor, es findet sich kein Wort über den Materialverbrauch und die Umweltbelastungen, die eine so gigantische Industrie verursachen würde. „Wo nehmen wir das Material her, die Infrastruktur, den Treibstoff?

Chandran Nair sagt: Die Technik habe bewirkt, dass die Welt sich auch heute ernähren kann. „Aber sie ist auch der Grund, dass Unternehmen immer noch agieren können, ohne die Folgen Ihres Handelns zu bedenken.“

Asien muss wissen, dass wir in einer Welt leben, die von einem System geprägt ist, in dem jene belohnt werden, die Wachstum für eine kleine Gruppe westlicher Institutionen schafft“. Asien kann auch Afrika sein. Er hat dort gelebt, in Südafrika, weshalb er auch Afrika mit einbeziehen möchte.

Asien muss alles besser machen, sonst läuft auch alles verkehrt. Der Autor beobachtet, wie 2,2 Milliarden Asiaten ein handy haben, auch einen Videoplayer, aber sie haben keinen Zugang zu frischem unverseuchten Trinkwasser. Heutzutage besitze auch der Slumbewohner ein handy, ein iPod, doch sein Abwasser fließt ungeklärt in den nächsten Fluss. Das gelte für Delhi wie für Jakarta und Manila. Der Autor möchte das genau erreichen, dass die besten Köpfe Asiens daran arbeiten, Strategien des Umgangs mit der Zukunft zu erarbeiten, in der eine schlichte Toilette keinen Luxus darstellt.

Das Buch ist nach der Sambierin Dambisa Moyo der intelligenteste Angriff auf die verlogene Westliche Entwicklungspolitik. Der Autor ist Sohn indischer Auswanderer, er wurde in Malaysia geboren, studierte in London Biochemie, engagierte sich in der Anti-Apartheid- Bewegung in Südafrika. 1991 übernahm er in Hongkong ein kleines Umweltberatungsunternehmen, 2005 gründete er das Global Institute für Tomorrow, ein Institut, das ökonomisches Denken auf asiatische Weise mit sozialem Engagement verbindet.

Der Euro-Leser, der ich bin, wird ganz neidisch: Da ist eine neue Welt, die auch noch mächtiger, größer, zukunftsträchtiger ist als unsere vergreisende und absteigende. Bei uns werden die Interessen des Einzelnen immer über die der Gemeinschaft gestellt. Und es werden Träume von „immer mehr“ geweckt. Wir können (noch?) nicht so frei reden, reflektieren wie Chandran Nair. Aber man würde sich mit ihm gern zusammen tun.

Dazu aber müssten wir springen, heraus aus dem, was der englische Titel uns sagt: „Consumptionomics“, aus dem reinen Konsum. Und das wollen wir ja nicht. Das Schlimmste, was unser ‚künftiger Kanzler’ Peer Steinbrück je gefordert hat, war der Verzicht auf den dritten Urlaub im Jahr. Das wird er nie wieder fordern.

Wir haben noch keine Gruppe in Deutschland und Europa, die das wirklich will und durchsetzt. Auch nicht die Grünen, auch nicht die Christen. Deshalb legt der Leser R.N. (wie bei Kafkas Erzählung Auf der Galerie) nach der Lektüre des Buches voller Bewunderung sein Gesicht auf die Brüstung „und, im Schlußmarsch wie in einem schweren Traum versinkend, weint er ohne es zu wissen“.

Quelle

Rupert Neudeck 2011Grünhelme 2011

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