Energie in Eigenregie: Stromnetze in Bürgerhand
In den nächsten drei Jahren läuft die Mehrzahl der laufenden Stromkonzessionsverträge aus. Viele Kommunen überlegen, den Betrieb ihres örtlichen Stromverteilnetzes selbst in die Hand zu nehmen. Zunehmend schalten sich Bürgerenergiegenossenschaften in den Prozess ein: Sie wollen sich direkt an der kommunalen Energieversorgung beteiligen, um die Geschäftspolitik vor Ort künftig aktiv mit zu gestalten. Bislang gibt es eine Handvoll Leuchtturmprojekte, die bundesweit für Aufmerksamkeit sorgen.
„Was dem einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele.“ Die alte Idee vom kooperativen Wirtschaften des Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen, dem Gründervater der Genossenschaftsbewegung, erlebt im Zuge der Energiewende eine neue Blüte: Immer mehr Menschen beteiligen sich an Bürgerenergiegenossenschaften. Sie versprechen sich von ihren Anteilen in Zeiten eines sich schnell wandelnden Energiemarktes nicht nur finanzielle Vorteile. Ihnen geht es um Gemeinsinn, gesellschaftliche Teilhabe und vor allem darum, den Umbau der Energieversorgung im Zuge der Debatte um Atomausstieg, Klimaschutz und Dezentralität aktiv mit zu gestalten.
Mehr als 500 Energiegenossenschaften sind in den letzten drei Jahren bundesweit entstanden, bilanziert der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband. Die meisten davon investieren vor allem in die Erzeugung von regenerativem Strom aus Wind, Wasser oder Sonnenkraft. Einige wollen jedoch einen Schritt weiter gehen und die örtlichen Stromverteilnetze nach der Privatisierungswelle in den neunziger Jahren in Bürgerhand bringen. Ihr Ziel ist es, die Netzübernahme anzustoßen und mit zu finanzieren oder über eine Beteiligung an kommunalen Stadtwerken Einfluss auf das operative Geschäft zu nehmen. Auf dem Spielfeld von Marktmacht und Rendite geht es den Genossen nicht um Gewinnmaximierung, sondern um Gemeinwohlorientierung und Mitsprache. „Stromkunden werden von Abnehmern und Zuschauern zu Miteigentümern, Mitgestaltern und Mitverdienern“, fasst Wilfried Steinbock, Vorstandsmitglied der Bürgerenergiegenossenschaft Wolfhagen, die Ziele der Bewegung zusammen.
Auslaufende Konzessionen als Impulsgeber
Die Vorhaben, die Energieversorgung vielerorts lokal zu organisieren, um sich von großen Energiekonzernen und fossilen Brennstoffen unabhängig zu machen, werden zudem durch das zeitnahe Auslaufen bestehender Konzessionsverträge begünstigt. Nach Angaben des Verbandes kommunaler Unternehmen wird bundesweit die Mehrzahl der Konzessionsverträge bis zum Jahr 2016 fällig. Allein in Nordrhein-Westfalen müssen in den nächsten drei bis vier Jahren mehr als 200 Strom- und Gas-Konzessionen von den Kommunen neu vergeben werden. Damit bietet sich den Kommunen die Gelegenheit, eine zentrale Schaltstelle im Versorgungssystem vor Ort selbst in die Hand zu nehmen. „Auslaufende Konzessionsverträge sind ein wichtiges Instrument, um im Sinne des Verbrauchers mehr Wettbewerb im Energiemarkt zu erreichen“, erklärt Hans-Joachim Reck, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen.
Dabei reichen die Handlungsoptionen der Städte und Gemeinden, die unter dem Stichwort Rekommunalisierung zusammengefasst werden, von einem Kauf des Netzes von ehemals öffentlichen Unternehmen, um es anschließend an einen Dritten zu verpachten, über die Gründung einer Netzbetriebsgesellschaft in Kooperation mit anderen Kommunen oder strategischen Partnern in der Region wie etwa benachbarte Stadtwerke bis hin zur Neugründung von Gemeinde-, Stadt- oder Regionalwerken.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Kommunen, die ihre örtliche Energieversorgung verbrauchernah und dezentral ausrichten möchten, haben mit einer Netzübernahme die Möglichkeit, diesen Prozess erheblich besser zur steuern. Zum einen würden Gewinne nicht mehr an private Unternehmen fließen, sondern in die eigenen Kassen und damit der Region zugute kommen. Zum anderen könnten die Kommunen auf diese Weise energiepolitische und ökologische Ziele selbst bestimmen und umsetzen. „Genossenschaften sind da ideale Partner, denn ihr Geschäftsmodell beruht auf Beteiligung und Engagement der Bürger“, erklärt Burghard Flieger. Für den Vorstand der Innova-Genossenschaft, einer Entwicklungspartnerschaft, die bundesweit bei der Gründung von Selbsthilfegenossenschaften berät, sind die Potenziale der Unternehmensform eindeutig: Akzeptanz durch Partizipation und Identifikation.
Die Möglichkeiten der Netzübernahme werden von Kommunen bereits aktiv genutzt: Seit 2007 gingen über 190 Konzessionsverträge an kommunale Energieversorger und über 60 Kommunen haben ihre eigenen Stadtwerke gegründet. „Ein Trend ist klar erkennbar“, sagt Thomas Berg vom Genossenschaftsverband. „Dabei wird genossenschaftlich noch nicht so viel gelöst, wie es den Anschein hat.“ Denn ein Stromnetz in Bürgerhand zu bringen, erfordere in dem langen, juristisch komplexen Konzessionsvergabeverfahren nicht nur Finanzkraft und technisches Know-How, sondern auch ein gutes Händchen bei der Positionierung im politischen Prozess. „Das ist eine Frage der Organisation und der Köpfe vor Ort und mit welchen lokalen strategischen Partnern zusammengearbeitet wird“, sagt Berg.
Demokratisch zur Energiewende
Es ist vorläufig eine kleine, aber ambitionierte Bewegung, die sich quer durch die Republik zieht: In der Hansestadt Lübeck, im niedersächsischen Oldenburg, im hessischen Kirchheim und im baden-württembergischen Remstal engagieren sich Energiegenossenschaften für den Kauf der Netze von den großen Energiekonzernen, um sie selbst zu betreiben. Und in der Hauptstadt geht es gar um das größte Stromverteilnetz in Deutschland: 2,2 Millionen Anschlüsse werden hier auf einer Fläche von 900 Quadratkilometern über insgesamt 35.000 Kilometer Stromleitungen und mehr als 80 Umspannwerken derzeit noch vom Energiekonzern Vattenfall versorgt.
Dessen Konzession für den Netzbetrieb läuft zum Ende des Jahres 2014 aus. Acht Bewerber wollen nun in das lukrative Geschäft einsteigen, darunter die EON-Tochter Thüga, die holländische Alliander AG, ein chinesischer Energiekonzern – und die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin. „Stromnetze sind Daseinsvorsorge, und die wollen wir nicht wenigen Unternehmen überlassen“, fasst Vorstandsmitglied Luise Neumann-Cosel die Motive für das Bürgervorhaben zusammen. Vielmehr sollten die Entscheidungen über das Netz diejenigen treffen, die es nutzen und bezahlen.
Die Schönauer Stromrebellen als Vorbild
Wie eine Energieversorgung von Bürgern für Bürger dauerhaft mit wirtschaftlichem Erfolg für die Region in größerem Umfang funktionieren kann, haben die „Stromrebellen“ von Schönau bereits in den 1990er Jahren erstmals vorgemacht. Nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl entstand in der kleinen Schwarzwaldgemeinde 1994 ein von den Bürgern selbst gegründetes Elektrizitätswerk (EWS Schönau). Einziger Gesellschafter war die Netzkauf GmbH, an dem sich über 650 Bürger beteiligt hatten.
Was dem Unternehmen noch fehlte, war die Konzession der Stadt, die die EWS nach heftigen Widerständen und zwei Bürgerentscheiden 1995 erhielt. Als größte Hürde erwies sich der Kaufpreis, den der alte Energieversorger für das Schönauer Stromnetz verlangte. Von den geforderten 6,5 Millionen D-Mark konnten die Bürger vier Millionen aus dem Schönauer Energiefonds und Beteiligungen selbst aufbringen. Der Rest kam aus einer bundesweiten Spendenkampagne („Ich bin ein Störfall“) zusammen.
2009 wurde das Unternehmen in eine Genossenschaft umgewandelt, um den Zukauf weiterer Netze und den Ausbau des unabhängigen regenerativen Produktionsnetzes zu ermöglichen. 2011 hat der Rat der Stadt einstimmig den Konzessionsvertrag für weitere fünfzehn Jahre verlängert.
Bürgerbeteiligung gehört von je her zur Unternehmensphilosophie. Sie ist ein wichtiger Baustein zum Erfolg, findet Michael Sladek, Vorstandsmitglied der EWS Schönau: „Die Bürger sollen mitentscheiden und mitverdienen – das schafft Identifikation und aktives Interesse an einer solch wichtigen Zukunftsaufgabe wie der Energieversorgung.“
Heute vertreiben die EWS Schönau bundesweit ihren „Rebellenstrom“, beliefern mehr als 100.000 Kunden und beraten Kommunen und Bürgerinitiativen beim Netzrückkauf.
Bürger kaufen ihr Stromnetz: BürgerEnergie Berlin
Die Expertise der Schönauer ist derzeit vielerorts gefragt – auch in Berlin. Bei der dortigen Bürgerenergiegenossenschaft sitzt der Vorstand der EWS Michael Sladek mit im Aufsichtsrat, um den langwierigen Verhandlungsprozess um die Stromkonzession beratend zu begleiten. Der Kauf eines lokalen Stromverteilnetzes in der Größenordnung der Hauptstadt, finanziert über eine Genossenschaft, wäre ein Novum in der deutschen Energielandschaft. Derzeitiger Knackpunkt ist die Wirtschaftlichkeitsrechnung, die von der Bewertung des Zustandes des Netzes für den anfallenden Investitionsbedarf und dem Kaufpreis abhängt.
Es sind Summen zwischen 800 Millionen und 3 Milliarden Euro im Gespräch – je nach dem, ob von einem Sachzeitwert oder einem Ertragswert ausgegangen wird. Während sich der Sachwert aus den Kosten für ein neu zu errichtendes Stromnetz ergibt – abzüglich der Abschreibungen und der Wertminderung -, wird der Ertragswert aus den Erträgen, die der gegenwärtige Netzbetreiber erwirtschaftet, errechnet. Allerdings habe der Altkonzessionär Vattenfall die entsprechenden Daten noch nicht offen gelegt. Deshalb könne man im Moment noch nicht abschätzen, ab wann man im Falle eines Netzkaufs tatsächlich Gewinne erwirtschaften werde, erläutert Luise Neumann-Cosel, Vorstandsmitglied der BürgerEnergie Berlin (BEB) das Problem.
Um das Netz kaufen zu können, müssen die Berliner Genossen 40 Prozent Eigenkapital aufbringen. Der Rest soll über Kredite finanziert werden. Momentan beteiligen sich rund 500 Personen an dem Vorhaben, die gemeinsam bereits etwa 3 Millionen Euro dafür bereitgestellt haben (Stand: Januar 2013). Zwei Arten der Beteiligung sind möglich: Wer das Vorhaben unterstützen, aber kein Risiko eingehen will, überweist sein Geld auf ein Treuhandkonto. Kommt es zur Übernahme, fließt dieses Geld ins Stromnetz. Wer gleich ein Stimmrecht haben will, erwirbt einen Genossenschaftsanteil und übernimmt damit auch ein unternehmerisches Risiko. Jedes Mitglied erhält eine Stimme, unabhängig von der Höhe der Einzahlung. Minimalbetrag sind 500 Euro. Besondere Strahlkraft entwickelt das Vorhaben, weil die Beteiligungsmöglichkeiten nicht allein Berliner Bürgern vorbehalten sind. „Jeder kann sich beteiligen“, sagt Neumann-Cosel. Die Hauptstadt solle zum bundesweiten Vorbild werden: „Wir wollen zeigen, dass das überall funktionieren kann.“
Sollte die Genossenschaft den Netzkauf nicht aus eigener Kraft stemmen, wäre auch eine Kooperation mit dem Land Berlin möglich, um die Rekommunalisierung zu ermöglichen. „Dann könnte die Stadt 51 Prozent der Anteile übernehmen“, so Neumann-Cosel, „und die Genossenschaft hält 49 Prozent.“ Auch für eine Partnerschaft mit einem unabhängigen, ökologischen Netzbetreiber und einer Kooperation mit dem Land Berlin sei man offen.
Stadtwerksgründung unter direkter Bürgerbeteiligung: Titisee-Neustadt
Einen anderen Weg der Bürgerbeteiligung am Stromnetz zeigt das Bespiel der Gemeinde Titisee-Neustadt im Hochschwarzwald. Hier hat die Stadt das lokale Stromnetz vom Altkonzessionär Energiedienst (ED), einem Tochterunternehmen der Karlsruher Energieversorgers EnBW, im letzten Jahr zurückgekauft, um es selbst zu betreiben. Sie hat dafür ein neues Stadtwerk gegründet – gemeinsam mit den Elektrizitätswerken Schönau. Summen zu dem Geschäft werden nicht genannt. Spekulationen gehen nach Recherchen der Badischen Zeitung von einem Kaufpreis von fünf bis sechs Millionen Euro aus.
Nach Angaben der Stadt könne aus dem Gewinn der neu gegründeten Stadtwerke der Kredit für den Kaufpreis abgezahlt werden. Gleichzeitig könne man laut Modellrechnungen mit jährlichen Überschüssen rechnen – damit habe man das kaufmännische Risiko im Griff.Man setzt auf eine enge Kundenbindung – mit einem Bürgerbeteiligungsmodell. Das Konzept: An der neuen Energieversorgung Titisee-Neustadt (EVTN) hält die Stadt 60 Prozent und die EWS 40 Prozent. Die neue Stromgesellschaft kauft dann über die EWS Strom aus erneuerbaren Energien ein und verkauft ihn weiter, um so das Produktportfolio zu erweitern. Über den Anteil der EWS wird eine Bürgerenergiegenossenschaft mit zehn Prozent an der EVTN beteiligt – und damit die Stromkunden am Netz.
Noch ist das Projekt nicht in trockenen Tüchern, weil der Altkonzessionär wegen einer Benachteiligung im Auswahlverfahren beim Bundeskartellamt Klage eingereicht hat. Das Beispiel weist auf die Fallstricke, die die juristisch anspruchsvollen Konzessionsvergabeverfahren bergen. Kein Einzelfall, stellt Fachanwalt Martin Brück von Oertzen von der Kanzlei Hoppenberg, die Kommunen bei der Rekommunalisierung berät, fest: „Immer mehr Kommunen landen vor Gericht.“
Das Problem: Rekommunalisierung und Konzessionsvergabeverhandlungen finden zeitgleich statt. Da die rechtlichen Fragen zum Zusammenspiel von kommunalem Vergaberecht und Konzessionsvergabeverfahren nicht abschließend ausdifferenziert sind, kann das zu Interessenskonflikten führen. Zum Beispiel wenn dadurch der Eindruck entsteht, Auswahlkriterien im Konzessionsvergabeverfahren würden erst dann festgelegt, wenn die Entscheidung für einen gewünschten strategischen Partner, mit dem man die Rekommunalisierung umsetzen will, bereits gefallen ist.
Auch im Berliner Netzkaufvorhaben sind über die rechtlichen Fragen noch nicht die letzten Worte gesprochen. Die Details fordern den ehrenamtlich arbeitenden Genossen viele Kräfte ab. „Gelebte Demokratie ist nun mal anstrengend“, sagt Luise Neumann-Cosel im Zeitungsinterview.
Bürger als Miteigentümer der Stadtwerke: Wolfhagen
Ein weiter reichendes Konzept der Bürgerbeteiligung hat die Stadt Wolfhagen entwickelt. Sie hat als erste Gemeinde in Nordhessen ihr Stromnetz vom Energiekonzern E.on zurückgekauft. Bis 2015 will die Stadt ihren gesamten Energiebedarf mit regenerativem Strom decken. Um die Vollversorgung zu erreichen, wollen die lokalen, vollständig kommunalen Stadtwerke neben Solar- und Biogasanlagen einen großen Windpark errichten, der mit 26 Millionen Kilowattstunden Strom jährlich etwa zwei Drittel des Strombedarfs decken könnte. Schon jetzt kommt 20 Prozent des Stroms aus privaten Solaranlagen.
Für den Ausbau der lokalen Energieversorgung soll die BürgerEnergieGenossenschaft Wolfhagen (BEW) Akzeptanz und finanzielle Unterstützung einwerben. Die Konstruktion: Die Genossenschaft hält einen Anteil von 25 Prozent an den Stadtwerken und ist mit zwei Mitgliedern im Aufsichtsrat vertreten. „Wir wollen die Bürger durch die genossenschaftliche Beteiligung nicht nur zu Miteigentümern und Mitverdienern machen, sondern durch die Form einer direkten Beteiligung an den Stadtwerken auch zu Mitentscheidern“, erklärt Stadtwerke-Geschäftsführer Martin Rühl. Er hatte die Initiative angeregt. Bürger und Stromkunden hätten damit bei den künftigen Projekten von Anfang an ein Mitspracherecht. „So können Bürger auch Einfluss auf das operative Geschäft nehmen“, sagt BEW-Vorstandsmitglied Iris Degenhardt-Meister.
Aktuell hat die Genossenschaft 564 Mitglieder, die zusammen mit einer Mindestbeteiligung von 500 Euro ein Geschäftsguthaben von mehr als zwei Millionen Euro eingebracht haben. Die Dividenden-Ausschüttung ist auf sechs Prozent gedeckelt. Alles darüber hinaus fließt in einen speziellen Energieeinsparfonds, mit dem private Energieeffizienz-Projekte finanziell gefördert werden.
„Das ist ein besonders spannendes Projekt, nicht nur wegen der Größenordnung, mit der die Bürger an den Stadtwerken beteiligt sind“, sagt Genossenschaftsexperte Burghard Flieger. „Außerdem ist den Bürgern in einem Konsortialvertrag im Falle eines erneuten Verkaufs ein Vetorecht zugeschrieben worden.“ Das stelle sicher, dass die Politiker der Kommune angesichts leerer Haushaltskassen nicht in die Versuchung geraten.
Know-How für den Weg zum Netz in Bürgerhand
Eine Rekommunalisierung, um die Energieversorgung lokal zu organisieren und ökologischer zu gestalten, sei für jede Kommune machbar, meint Torsten Schwartz, Geschäftsführer der KommunalPartner, einem Kooperationsnetzwerk von kommunalen Stadtwerken. „Es ist keine Frage der Größe, vielmehr eine Frage der geeigneten strategischen Positionierung, der richtigen Partnerwahl sowie der Geschlossenheit und des Gestaltungswillens von Gemeinderat und Verwaltungsspitze.“
Ob dabei eine finanzielle Beteiligung der Bürger gelingt, hängt häufig von der finanziellen Aufstellung der Bürgerenergiegenossenschaften ab, meint Thomas Berg vom Genossenschaftsverband. „Genossenschaften müssten im ganzen Projektablauf früher gegründet werden. Sie sind oftmals, wenn es zum Zeitpunkt der Vergabe konkret um die Beteiligung geht, noch nicht so finanzstark.“ Hier sei der Genossenschaftsverband gefragt, durch Beratung bei der Finanzierung oder der Organisation vor Ort noch besseres Rüstzeug zu geben.
Die Leuchtturmprojekte zeigen, dass in der Bürgerbeteiligung an der Rekommunalisierung durchaus Musik steckt. Sie verlangt, nach Beobachtung von Burghard Flieger, nicht nur unternehmerische Weitsicht, sondern auch einen breiten Konsens in den beteiligten kommunalen Gremien. „Ein solches Vorhaben darf nicht im Gemeinderat polarisiert werden“, betont Flieger. „Und wenn der Gemeinderat eine direkte Bürgerbeteiligung nicht als besondere Chance zur Identifikation ihrer Bürger mit ihrer Stadt und vor allem mit ihrem Stadtwerk begreift, dann ist das Projekt relativ schnell gestorben.“
Die von ihm mitgetragene Genossenschaft Energie in Bürgerhand, die überregional agiert hat, um die Rekommunalisierung mit Beteiligung von lokalen Energiegenossenschaften wie in Kassel, Jena und Kirchheim organisatorisch und finanziell zu unterstützen, hat aufgrund der Schwierigkeiten in den verschiedenen Gemeinderäten auf Zustimmung zu stoßen, aufgegeben. Ob sie mit einer anderen Energiegenossenschaft fusioniert oder liquidiert wird, entscheidet die nächste Generalversammlung.
Wie zukunftsweisend die Wege zum „Bürgernetz“ tatsächlich sind? In Berlin könnte sich das am Beispiel des größten deutschen Stromnetzes zeigen. „Vielen Bürgern reicht es nicht mehr aus, alle paar Jahre bei Wahlen ein Kreuzchen zu machen“, sagt Luise Neumann-Cosel im Zeitungsinterview. Genügend Expertise steht den Genossen zur Seite. Neben den Elektrizitätswerken Schönau und der GLS Treuhand unterstützen die Umweltschutzorganisation BUND, der Ökostromanbieter Greenpeace Energy und das Reiner-Lemoine-Institut das Projekt. Die Entscheidung aber für oder gegen das Bürgervorhaben fällen letztlich die Politiker.
Bürgerenergiegenossenschaften, die das örtliche Stromnetz kaufen wollen:
Berlin – buerger-energie-berlin.de
Lübeck – netzwerk-energiewende-luebeck.de
Kirchheim – teckwerke.de
Oldenburg – olegeno.de
Remstal – beg-remstal.de
Rekommunalisierung mit Bürgerbeteiligung:
Jena
Stadt Wolfhagen
Titisee-Neustadt
Quelle
EnergieAgentur.NRW 2013