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© EDF / edf.fr | Kein Verkaufsschlager: Frankreichs EPR-Reaktor in Flamanville ist am Netz, aber zu einem sehr hohen Preis.

Kernkraft in Frankreich: Riesen-Reaktor am Netz

Das neue französische AKW in Flamanville produziert nun Strom, zwölf Jahre verspätet und viermal so teuer wie geplant. Präsident Macron spricht von Klimaschutz, Greenpeace von Sabotage der Energiewende.

Am Ende gab es noch mal einen Tag Verspätung. Der neue französische Atomreaktor in Flamanville am Ärmelkanal ist am Samstag in Betrieb genommen worden, nachdem der staatliche Betreiberkonzern EDF das für den Freitag angekündigt hatte.

Ins Gewicht fällt diese Verzögerung allerdings nicht, denn das AKW hätte eigentlich bereits 2012, also vor zwölf Jahren, fertig sein sollen.

Trotz der Bauzeitverlängerung und einer exorbitanten Kostensteigerung bejubelte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron den Start des Reaktors, der seiner Ansicht nach „unsere Wettbewerbsfähigkeit stärkt und das Klima schützt“.

Flamanville 3 ist der erste AKW-Neubau in Frankreich seit 25 Jahren, wobei die Anlage zwei Reaktoren aus den 1980er Jahren am selben Standort ergänzt. Sie ist mit 1.600 Megawatt Leistung größer als die Anlagen der bisherigen AKW-Flotte im Land und soll bei Vollbetrieb rund zwei Millionen Haushalte mit Strom versorgen können.

Gestartet wurde die Stromproduktion mit etwa 20 Prozent Leistung, um zu überprüfen, ob „alles gut läuft“, wie EDF erklärte. Die volle Leistung soll im Sommer 2025 erreicht werden.

Frankreich produziert derzeit rund 65 Prozent seines Stroms mit Atomkraft, der neue Rektor bringt die Gesamtleistung der AKW-Flotte auf 63.000 Megawatt. Zum Vergleich: In Deutschland lag dieser Wert zur Höchstzeit bei knapp 25.000 Megawatt, die letzten Reaktoren wurden hierzulande aufgrund des Ausstiegsbeschlusses von 2011 im Jahr 2023 abgeschaltet.

Bauzeit und Kosten sind extrem angestiegen

Die jetzt in Flamanville fertiggestellte Anlage gehört zu einer Baulinie, die in den 1990er Jahren gemeinsam von dem französischen Rektorbauer Framatome – später aufgegangen im Konzern Areva und dann in EDF – sowie dem deutschen Siemens-Konzern entwickelt wurde. Siemens stieg später aus dem Projekt aus.

Es handelt sich um einen Druckwasser-Reaktor der dritten Generation, genannt European Pressurized Reactor (EPR), ausgelegt auf 60 Betriebsjahre. Der EPR soll sicher und zuverlässiger sein als die bisherigen Anlagentypen.

Der EPR sollte Europas Nuklearindustrie nach einem starken Rückgang von AKW-Neubauten in den 1990er Jahren neuen Schwung geben, erfüllte diese Hoffnungen jedoch bei Weitem nicht. Flamanville 3 wurde vielmehr zum Symbol für die Schwierigkeiten der französischen Reaktorbauer, neue Anlagen fristgerecht und im Kostenrahmen zu bauen.

Baumängel, etwa am Reaktordeckel oder an den Schweißnähten, veränderte Konstruktionen, neue Sicherheitsanforderungen und Probleme in der Baustellenorganisation führten immer wieder zu Verzögerungen. Die Baukosten stiegen von ursprünglich veranschlagten 3,3 auf rund 13,2 Milliarden Euro.

Bereits 2020 errechnete der französische Rechnungshof sogar eine Summe von 19,1 Milliarden Euro, was Fragen bezüglich der Rentabilität des Projekts aufwarf. Die Prüfer schätzten damals, dass der im EPR produzierte Strom elf bis zwölf Cent pro Kilowattstunde kosten würde, etwa doppelt so viel wie in der bisherigen AKW-Flotte und auch mehr als in Windparks und Solarkraftwerken.

Erhoffte große Auftragswelle blieb aus

Unter anderem die Probleme im Flamanville führten dazu, dass die erhoffte große Auftragswelle für den EPR-Reaktor ausblieb. Bisher gibt es nur fünf weitere Projekte dieses Typs, zwei in China (Standort Taishan), eines in Finnland (Olkiluoto) und zwei in Großbritannien (Hinkley Point).

Beim seit 2023 am Netz befindlichen Reaktor in Olkiluoto traten ebenfalls drastische Überschreitungen von Bauzeit und Kosten auf, beim noch nicht fertiggestellten AKW Hinkley Point C droht Ähnliches. Bei den zwei Anlagen in Taishan, die bereits seit 2018 und 2019 laufen, waren die Probleme weniger gravierend. Allerdings mussten an Block 1 Wartungsarbeiten ausgeführt werden, die ein Jahr dauerten.

Aktuell konzentriert EDF, der staatliche Stromkonzern, sich mit seinem Nukleargeschäft vor allem auf den Heimatmarkt. Macron, der zu Beginn seiner Amtszeit ein Herunterfahren des Atomstromanteils im Land anpeilte, setzt inzwischen auf Laufzeitverlängerungen für die alten AKW, hat aber auch den Neubau von sechs EPR mit Option auf weitere acht sowie intensive Forschung an neuartigen Klein-Reaktoren angekündigt.

Der Präsident strebt den Baubeginn für zumindest einen weiteren EPR noch vor Ende seiner Amtszeit an, die bis 2027 geht. Die Inbetriebnahme der neuen Rektoren soll nach den Plänen in der zweiten Hälfte der 2030er Jahre erfolgen.

Greenpeace: Regierung sabotiert Energiewende

Die Finanzierung der neuen AKW-Serie ist in Paris jedoch umstritten. Wie die hohen Baukosten gedeckt werden sollen, ist fraglich, da der EDF-Konzern sehr stark verschuldet ist. Für die zunächst geplanten sechs neuen Reaktoren an den Standorten Penly, Gravelines und Bugey wird mit Investitionen von 67,5 Milliarden Euro gerechnet.

EDF hat angekündigt, das Design der „EPR 2“ genannten Reaktoren gegenüber dem Typ in Flamanville zu vereinfachen, und setzt darauf, dass der gleichzeitige Bau mehrerer Anlagen Kosten sparen wird.

Als die hohen Baukosten im Frühjahr bekannt wurden, gab es Kritik von Umweltorganisationen. Greenpeace warf der französischen Regierung und EDF vor, die Energiewende bewusst zu sabotieren. Stattdessen werde versucht, eine teure und schwerfällige Industrie wiederzubeleben.

Um die Kosten dafür auf die Bürger abzuwälzen, betreibe Paris in der EU massives Lobbying. „Diese zig Milliarden Euro müssen dringend in Maßnahmen der Energieeffizienz und in die Entwicklung erneuerbarer Energien investiert werden“, forderte die Nichtregierungsorganisation.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2024 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

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