Angst ist ein Gottesgeschenk
„stadtgottes“-Autor Thomas Pfundtner traf den früheren Fernsehmoderator und engagierten Friedenskämpfer Franz Alt. Herausgekommen ist ein interessantes Gespräch.
- Herr Alt, was ist ein konservativer Revolutionär?
Ein konservativer Revolutionär ist ein Mensch, der heute versucht, die Schöpfung zu bewahren. Wir leben ja in einer Zeit, und bei der Hitze im vergangenen Sommer haben es nun auch hoffentlich die Letzten bemerkt, in der wir das Ende der Menschheit einläuten. Eine aktuelle Studie des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung belegt, dass unser Planet in eine Heißzeit hineingeht. Das Klima bleibt also nicht mehr so, wie wir es kennen. Ehrlich, bei den Gedanken an das, was kommen könnte, möchte ich nicht mein Enkel sein. Neue Wüsten, überschwemmte Länder, Dürrekatastrophen und vieles mehr.
Wenn wir also nicht schnellstens die Energiewende, die Verkehrswende, die Bauwende, die Wasserwende, die Waldwende organisieren, wird es übel ausgehen.
Also, wir müssen allerhand anders machen. Das nenne ich konservative Revolution. Und zwar im besten Sinne des Wortes. Conservare aus dem Lateinischen bedeutet bewahren, retten, schonen.
Wir müssen, wenn wir überleben wollen, als Spezies mehr tun für die Bewahrung der Schöpfung als das heute der Fall ist.
- Warum gehen die Menschen dafür nicht mehr auf die Straße? Was hat sich geändert?
Die Veränderungen, die wir jetzt erleben, sind schleichende Prozesse. Deshalb dauert es, bis die Menschen aufwachen.
Wenn ich mich mit Leuten unterhalte, höre ich oft: „Ach Sie, Sie mit Ihrem Klimawandel. Noch sind die Bäume grün. Der Schwarzwald steht doch noch“.
Wenn der Schwarzwald aber weg ist, dann ist es zu spät. Wir dürfen nicht vergessen, wenn der Klimawandel eines Tages wirklich voll durchschlägt, kann es tausende Jahre dauern, bis das Klima sich wieder in Balance befindet. Das ist der Unterschied.
Wenn eine unmittelbare Gefahr droht, wie ein Kriegsausbruch oder 1983 die Stationierung atomarer Waffen, wenn es also ein konkretes Datum oder einen unmittelbaren Grund gibt, der den Menschen Angst macht, dann gehen sie auf die Straße. Das ist der Unterschied.
- Sie waren damals auch dabei, oder?
Sicher! Wir hatten ein konkretes Datum und wir hatten einen konkreten Feind. Das waren die Atomwaffen. Oder, wenn wir es personalisieren wollen, Ronald Reagan und Helmut Kohl.
Beim Klimawandel und der Zerstörung der Natur ist das anders. Obwohl wir alle beteiligt sind, wollen wir es nicht sehen. Und dann ist es schwer, das Denken und Handeln zu verändern.
Lieber verlangen wir von der Politik bestimmte Dinge, als dass wir uns selber ändern.
- Wir können doch nicht mehr so tun, als ob wir noch 50 oder 100 Jahre Zeit hätten. Warum kommt das nicht in das Bewusstsein? Die Zahlen liegen doch konkret auf dem Tisch.
Ich glaube auch, dass die Zeit jetzt reif wird für eine konservative Revolution. Ich habe vor 25 Jahren meine ersten Fernsehsendungen zu Umweltschutz und Klimawandel gemacht. Schon damals habe ich Szenarien aufgezeigt, genau wie wir sie jetzt erleben. Die Wüsten breiten sich aus. Das Wasser wird knapp. Stürme und Hitzesommer. Hunderttausende Tote durch Überflutungen. Damals hieß es abwertend– der Alt übertreibt. Vor 25 Jahren! Heute sagen meine ARD Kollegen, wenn sie über solche Themen berichten, dass sie eigentlich meine Bilder aus dem Archiv nehmen könnten.
Oder Zuschauer. Sie rufen mittlerweile an und verlangen mehr Berichte über diese Themen. Das hat sich schon geändert.
Ich glaube, wir brauchen erst Katastrophen, um aufzuwachen. Katastrophen sind Lernhelfer.
- Ein Beispiel bitte.
Deutschland im vergangenen Jahrhundert. Wir waren wesentlich verantwortlich für zwei Weltkriege. Bis wir begriffen haben, dass eine Freundschaft mit Frankreich, Freundschaft mit Polen oder England, die Niederlande, viel vernünftiger ist als gegen diese Länder Kriege zu führen. So sind wir Menschen.
- Trotzdem Einspruch. Gerade heute zeigt sich in der Entwicklung, dass Frankreich, Polen und auch Deutschland trotz des Lernens aus dem Zweiten Weltkrieg genauso wieder auf rechtspopulistische, nationalistische Gaukler reinfallen.
Dem kann ich nur bedingt zustimmen. Überall in Deutschland gehen junge Leute für ein geeintes Europa auf die Straße.
Oder nehmen Sie München. Da haben 25000 gegen die CSU-Flüchtlingspolitik protestiert. Das hatten wir lange nicht mehr.
Das alles sind Menschen, die in diesen Fragen eher auf Papst Franziskus hören als auf Horst Seehofer.
Dass in dieser Situation der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, sagt: „Die CSU ist nicht mehr christlich in ihrer Flüchtlingsposition“, finde ich ermutigend.
Kirchen haben beim Nationalsozialismus zu lange geschwiegen. Jetzt sind sie wachsamer geworden. Auch die Gesellschaft ist wachsamer geworden. Frau Le Pen hatte großen Auftrieb in Frankreich, aber Herr Macron war doch stärker. Die Vernunft hat gesiegt.
In Polen gehen hunderttausende junge Leute auf die Straße gegen ihre neonationalistische Regierung. In Ungarn gibt es Widerstand gegen den Neonationalismus. Bei uns gegen die AfD. Wenn heute irgendwo eine AfD-Demonstration ist, sind Gegendemonstranten da. Das zeigt, wir haben doch gelernt aus der Geschichte. So einfach, wie es in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts war, ist es heute nicht mehr für die Neonationalisten.
- Hitler kam an die Macht, als er nicht mehr die Mehrheit hatte. Das ist ja der Irrsinn der Geschichte.
Richtig. Da haben die Konservativen geschlafen. Ich war gut bekannt mit Franz von Papen, dem Stellvertreter von Adolf Hitler.
„Ich habe zu spät erkannt, was die Nazis eigentlich wollten, und dass die Nazis nicht zu bändigen waren“, hat er mir gestanden. Papen hatte sich einlullen lassen von den Rechten, von den Nazis. Das darf niemandem von uns ein weiteres Mal passieren. Aber dafür muss man kämpfen. Da muss jede Generation neue Erfahrungen machen. Aber wir haben doch einiges gelernt aus der Geschichte. Es ist nicht wahr, dass wir nichts gelernt haben..
- Aber die Angst bleibt…
…die sollte positiv umgedreht werden. Angst ist ein guter Ratgeber. Ich bin überzeugt, Angst ist ein in uns eingebautes Gottesgeschenk.
Ich habe Helmut Schmidt nie verstanden, als er zu der Friedensbewegung gesagt hat: „Ihr habt Angst und ich stelle die Raketen auf.“ Ich bin sicher, er hatte Angst vor seiner eigenen Angst. Das gilt es zu erkennen. Wir brauchen keine Angst vor der Angst zu haben. Wir sollten mit der Angst arbeiten, um sie in produktive Energie umzusetzen. Natürlich haben wir Grund heute Angst zu haben. Wenn ich aber an die Ursachen für meine Ängste gehe, dann beginne ich dagegen zu kämpfen. Gegen Atomenergie. Gegen Atomwaffen. Gegen Neonationalismus. Gegen die Gefahren, die heute bestehen. Also, Angst nicht verdrängen, sondern produktiv nutzen, um Neues zu lernen.
- In dieser politischen Angstsituation, die sich unter anderem darin äußert, dass sowohl CDU/CSU als auch SPD, FDP und Grüne um den Status Volkspartei fürchten, kommen Sie und fordern: Weg mit der Angst und einen radikalen Umbau der Gesellschaft…. Wie soll das funktionieren?
In meinem Buch fordere ich am Schluss eine Jesus-Renaissance, also Umkehr. Das ist eine uralte Forderung. Es gibt immer wieder Grund umzukehren. Das wussten die wirklich Großen der Geschichte. Angefangen von Buddha über Jesus bis Mahatma Gandhi oder Nelson Mandela. Er ist ins Gefängnis gegangen für seine Überzeugung. Ich fordere also nichts Neues. Es müssen immer Dinge anders werden. Von der Technik bis zur seelischen Entwicklung des Menschen.
Wir müssen immer dazulernen. Das bedeutet aber auch, wir brauchen ein höheres, ethisches Bewusstsein. Zum Beispiel: Wenn wir eine Ethik in der Digitalisierung hinbekommen, dann bereitet sie weniger Probleme als bisher.
- Das dürfen Sie erklären.
Gern. Als die Lufthansa Teile von Air Berlin übernommen hatte. Erhöhten sich sofort die Ticketpreise. Dagegen schritt das Kartellamt ein. Lufthansa argumentierte: dafür können wir nichts. Das liegt an der Digitalisierung. Es waren die Algorithmen, die die Preise verändert haben. Da können wir nichts machen.
Da kann ich nur sagen, die Preiserhöhung ist nicht im Himmel beschlossen worden. Wer hat denn die Algorithmen programmiert und die Computer für das Unternehmen? Menschen! Also sind sie verantwortlich dafür. Zum Glück wurde dieser Unsinn durchschaut und dem Spuk ein Ende bereitet.
- Das ist aber nicht alles bei der Digitalisierung. Durch die Algorithmen wird Meinung gemacht und beeinflusst.
Der Dalai Lama sagt zu Recht, wir brauchen mehr Herzensbildung. Schon früh, schon in der Schule! Wir brauchen ein Pflichtfach Ethik. Das ist viel wichtiger als Religionsunterricht. In diesem Pflichtfach werden sämtliche Religionen behandelt. Kommt dies nicht, sind wir auf die Herausforderungen in der Zukunft nicht vorbereitet. Ich gehe aber noch viel weiter: Wir dürfen menschliche Verantwortung nicht an Maschinen abgeben. Sie haben keine ethischen Werte. Ethik und Technik müssen zusammenkommen.
Dieser uralte religiöse, ethische und moralische Anspruch, dass wir selber verantwortlich sind für die Probleme unserer Zeit, der bleibt auch im Zeitalter der Digitalisierung bestehen. Wenn man glaubt, die Probleme nur rein technisch lösen zu können, dann wird die Technik uns überrollen. Dann machen sich die Computer selbständig und führen einen Atomkrieg.
Je fortschrittlicher die Technik ist, desto wichtiger wird Ethik. Wenn wir das nicht verstehen, werden wir als Menschheit keine Überlebenschance haben. Immer dann, wenn Menschen glauben, sie wissen es besser als der liebe Gott, kommt das Unheil.
Erinnern wir uns noch einmal an die Nazis. Sie waren größenwahnsinnig und haben jede ethische und moralische Bindung verworfen. Wenn Menschen größenwahnsinnig werden, hat es immer zu Katastrophen geführt. Angefangen beim Turmbau zu Babel bis zum möglichen Atomkrieg.
- Was glauben Sie? Wann ist die Herzensbildung verloren gegangen und wodurch?
Nach der Aufklärung vor 300 Jahren hat die Menschheit große technische und wirtschaftliche Sprünge gemacht. Die Atombombe als solche ist ja eine tolle Erfindung. Ein Atomkraftwerk ist als solches eine tolle Erfindung. Die Frage ist nur, welche Folgen hat das. Spätestens seit Tschernobyl mussten wir lernen, dass Atomenergie nicht geht.
Wir müssen unsere Grenzen anerkennen. Wir leben nicht in einer grenzenlosen Welt. Wir leben in einer begrenzten Welt. Das weiß jeder, der sein eigenes Leben betrachtet, 80 oder 100 Jahre und dann ist Schluss. Es gibt kein grenzenloses Wachstum. Außer beim Krebs. Und der Krebs macht nicht gesund, sondern er führt zum Tod. Das Wachstum, das wir heute im Bereich der Ökonomie anstreben, mit immer größerem Wachstum – das ist eine Verkrebsung der Wirtschaft. Das Einzige, was ewig wächst, ist der Krebs. Alles andere ist begrenzt. Was wir brauchen, ist mehr Qualität in der Wirtschaft. Also eine bessere, eine ökologische, eine nachhaltige.
- Kein Wachstum mehr?
Wachstum ja, aber intelligentes Wachstum. Geistiges, moralisches, ethisches Wachstum, kulturelles Wachstum. Da sollten wir unbegrenzt wachsen. Aber da sind wir weitgehend infantil geblieben. In geistlichen Bereichen, wachsen wir kaum.
Aber dort, wo unser Wachstum von Natur aus begrenzt ist, im materiellen Bereich, da spielen wir Gott und glauben, ewig wachsen zu können. Das ist eines unserer Grundprobleme unserer Zeit. Wir sind schon zu Großem berufen. Davon bin ich als Christ überzeugt.
- Wie meinen Sie das?
Jeder Mensch ist zu Großem berufen. Das hat uns Jesus gesagt. Jesus hat einen Satz gesagt, über den ich noch nie eine Predigt gehört habe. Sicher kein Zufall. „Alles, was ich kann, könnt ihr auch. Ja sogar noch mehr.“
Dieser Mann war sich wahrscheinlich der künftigen technischen Entwicklung bewusst. Er wusste, dass man im technisch materiellen Bereich unendlich viel machen kann. Aber er hat immer auch die Ethik und die Verantwortung eingefordert. Das haben wir weitgehend verdrängt. Wir reden ständig vom Frieden und führen Kriege. Schiiten und Sunniten beten zum selben Allah – um ihren jeweiligen Sieg. Ja, was soll der arme Allah da machen?
Wir haben nicht verstanden, was Jesus wirklich gemeint hat. Nämlich: Ihr seid verantwortlich. Es gibt keine Fremdlösung.
Jesus ist nicht ans Kreuz gegangen, um uns zu erlösen, sondern einen Weg zu zeigen. Einen Weg, den jeder von uns selber gehen muss.
- Die Kirchen sehen das anders.
Das haben auch die Kirchen missverstanden. Die Kirchen haben so getan, als wäre Jesus unser Erlöser und damit ist der Fall erledigt.
Gerade nicht! Deshalb sind die Kirchen reingefallen auf die Nazis, weil sie Jesus nicht verstanden haben. Und das ist bis heute so.
Gerade in den Kirchen haben sie die Lehre, von einer Mission für eine bessere Welt und die Verantwortung, die wir übernehmen müssen, nicht verstanden.
- Zwei haben es verstanden. Johannes Paul II. und Franziskus. Johannes Paul hat die Verantwortung auf die Menschen geschoben, beim Aufstand in Polen und damit hat er maßgeblichen Anteil an der Wiedervereinigung.
- Franziskus führt konsequent die Kirche wieder an die Basis.
Richtig.
- Andererseits zerstört die ungebändigte Form des Kapitalismus alles. Das konnte sich erst mit dem Fall der Mauer ausbreiten. Das, was wir heute erleben – davor haben Honecker und Ulbricht immer gewarnt.
- Aber sie haben nicht erkannt, dass das gar nicht unser Kapitalismus war. Und heute leben wir in einer Welt, in der der Kapitalismus mit seiner Gewinnmaximierung, mit seinem Jagen nach Renditen das Menschliche immer mehr zerstört.
Das bringt kaum einer besser auf den Punkt als Franziskus in seiner Enzyklika LAUDATO SI’ (Über die Sorge für das gemeinsame Haus – die Redaktion). Es ist mit das beste Dokument zur Überwindung dieser extrem kapitalistischen Welt. Der Kapitalismus ist kein bisschen besser als der alte Sozialismus. Er ist genauso menschenverachtend, geht über Leichen. Wir leben in einer Zeit, die unendlich reich ist. Trotzdem verhungern jeden Tag zehntausend Menschen. Wir versuchen den Mars zu erobern, anstatt die Probleme auf dieser Welt zu lösen.
- Das könnten wir problemlos…
… könnten wir. Wir haben alle Voraussetzungen.
Wir haben die Voraussetzungen für eine intelligente Energiewende. Wir haben die Voraussetzungen für eine intelligente Verkehrswende. Wir brauchen keine Zehn-Liter-Autos mehr. Wir haben längst Alternativen.
Wir haben die Voraussetzungen für eine ökologische Landwirtschaft. Wir brauchen nicht die Chemie, die unsere Böden zerstört.
Wir haben auf der Welt unzählige Beispiele dafür, dass es anders geht. Trotzdem, da gebe ich Ihnen Recht, geht die Entwicklung viel zu langsam.
Deshalb brauchen wir die konservative Revolution
- Aber alles dreht sich um Geld.
Wenn das Geld wichtiger ist als der Mensch, dann ist das nun mal die Ausgeburt des Brutalkapitalismus in unserer Zeit. Dann haben wir viele Dinge missverstanden.
- Das ist doch schon bei uns im Strafgesetzbuch so geregelt. Sie bekommen höhere Strafen für einen Bankraub als für fahrlässige Tötung oder Totschlag. Das ist doch ein Umkehren der Werte.
Da brauche ich mir doch nur unsere Autoindustrie anzuschauen, unsere Schlüsselwirtschaft.
Herr Stadler ist verurteilt und hinter Gittern. Herr Winterkorn darf nicht nach Amerika reisen, sonst wird er verhaftet. Herr Zetsche steht auch mit einem Bein im Gefängnis, weil er im Dieselskandal genauso gemauschelt hat wie die anderen.
Daran sieht man doch, wie wir in einer Sackgasse gelandet sind. Und die Politik legt die Hände in den Schoß und tut nichts gegen die Autoindustrie…
- … im Gegenteil, sie schützt sie noch…
…sie schützt sie noch. Jetzt komme ich wieder mit Eigenverantwortung: Viele von uns kaufen immer noch die alten Schrottautos. Das bedeutet weiter: Wir unterstützen die Kriminalität der deutschen Autobauer, wenn wir noch die alten Zehn-Liter-Autos kaufen und fahren.
An diesem Beispiel wird deutlich: Die gesamte Gesellschaft muss sich ändern. Es reicht nicht, wenn wir immer nur sagen, ja die Politiker müssten doch…
Natürlich müssten die Politiker schärfere Gesetze erlassen, aber wir selber sind verantwortlich für den Schrott, von dem wir wissen, dass er Schrott ist und auch noch kaufen. Solange wir den Schrott kaufen, solange wird er produziert. Das sind die Gesetze des Marktes, in dem wir leben. Die Bewusstseinsrevolution, die ich fordere, ist die Basis für eine Veränderung der Gesellschaft. Da ist jeder einzelne Mensch und erst recht jeder einzelne Christ gefragt.
- Was war für Sie der entscheidende Punkt, dass Sie zum Kämpfer geworden sind?
Die Friedensbewegung. Durch die Friedensbewegung habe ich gelernt, dass solange wir Atombomben bauen, der Atomkrieg möglich ist. Das bedeutet immer das Ende der Menschheit. Ein Atomkrieg würde heißen, es wäre der letzte Krieg in der Menschheitsgeschichte, weil es danach keine Menschen mehr gäbe, die noch Kriege führen können. Das ist die Gefahr des Atomkriegs.
Das hat Gorbatschow vor 30 Jahren klar erkannt. Wenn ich ihn treffe, dann zitiert er ständig die Bergpredigt.
Der ehemalige Kommunist in Moskau zitiert die Bergpredigt, sagt, dieser Jesus von Nazareth spricht doch von Feindesliebe.
Feindesliebe, so Gorbatschow, heißt nicht, lass dir alles bieten.
Dieser Jesus war viel zu klug, um zu meinen, lass dir alles bieten. Feindesliebe könnte meinen, sei klüger als dein Feind. Wenn der meint, Atombomben bauen zu müssen, dann muss ich das nicht unbedingt nachmachen. Setz dich an einen Tisch mit ihm und rede.
Feindesliebe bedeutete für Gorbatschow also in den Neunzigern, sei klüger als dein Feind. Hab den Mut zum ersten Schritt – zur Abrüstung. Und Gorbatschow ist nach Reykjavik gefahren, zu Reagan und hat gesagt, alle Atombomben müssen wir abschaffen. Da hat Reagan zunächst spontan ja gesagt, dann waren seine Leute wieder dagegen und dann haben sie sich geeinigt, wenigstens mal 80 Prozent der Atomwaffen abzuschaffen.
Die Tatsache, dass wir, Herr Pfundtner, heute hier sitzen und miteinander reden können, ist vielleicht Michail Gorbatschow zu verdanken. Denn wir wissen heute ganz genau, dass wir oft vor einem Atomkrieg standen.
Das Schlimme: Trotz aller dieser positiven Erfahrungen, durch Gorbatschow und am Schluss auch durch George Bush, dem Älteren, fangen Herr Trump und dieser Herr Kim, Putin, die Chinesen wieder an, atomar aufzurüsten.
- Weil einer Angst vor dem anderen hat.
Jeder. Aber keiner durchschaut die Angst und fragt sich, warum hat der andere Angst vor mir. Lass uns doch miteinander reden. Das ist doch vernünftiger als atomar schon wieder nachzurüsten.
- Was halten Sie vor diesem Hintergrund von Donald Trump?
Also, er ist schon ein ziemlich Böser. Er ist einer, der einen Egotrip fährt, wie kaum ein anderer. Und er ist ein permanenter Lügner. Er sagt heute immer das Gegenteil von dem, was er gestern gesagt hat. Die New York Times listet das ganz genau auf. Die Journalisten dort haben hunderte seiner Lügen seit seiner Amtszeit aufgezeigt. Das ist unglaublich.
Aber manchmal, zum Beispiel sein Treffen mit dem Kim, da dachte ich wieder an Goethe: „Da ist eine Kraft, die Böses will und trotzdem Gutes schafft.“
Ich bin froh, dass dieses Treffen stattgefunden hat. Damit sind wir noch nicht über den Berg und die atomare Gefahr in Nordkorea ist nicht gebannt. Kim macht wahrscheinlich weiter. Aber trotzdem ist das besser, als wenn das Treffen nicht stattgefunden hätte.
Oder, dass er sich mit Putin trifft und versucht, eine Kommunikation mit ihm auf einer Ebene aufzubauen, die andere so nicht zustande gebracht hätten. Und wenn es auch auf einer Ebene ist von Gauner zu Gauner.
Dass sie trotzdem Vertrauen aufbauen und unterm Strich – obwohl sie vielleicht gar nicht wollen – etwas Gutes schaffen können. Die Dialektik der Geschichte spielt auch bei Herrn Trump sicher eine weit größere Rolle, als er sich das selber vorstellen kann. Ich glaube nicht, dass er die Intelligenz besitzt, um das zu durchschauen.
- Ist er vielleicht sogar ein Vorreiter für eine neue Art der Politik?
Könnte sein, ich schließe nichts aus. Ich sehe ja auch, dass er trotz aller blöden Ansichten, die er hat, manchmal etwas Gutes schafft.
- Sie geben den Lobbyisten eine Großteil der Schuld an dem menschlichen Desaster. Wie können wir diese Macht brechen?
Indem die Politiker mutiger werden. Indem Politiker endlich wirklich verstehen, dass sie nicht von wenigen Lobbyisten gewählt sind, von der Autolobby zum Beispiel, sondern vom Volk!
Natürlich gibt es Ausnahmen. Zum Beispiel unsere Kanzlerin. Auch ich habe Angela Merkel oft kritisiert, aber ich habe ein paar Dinge mit ihr erlebt, die mich hoffnungsvoll stimmen…
- Erzählen Sie.
Drei Tage nach Fukushima hat sie mich angerufen und gesagt: „Alt, ich stehe jetzt in einer ähnlichen Situation, wie Sie nach Tschernobyl.“
Ich bin ja damals wegen der Atomenergie aus der CDU ausgetreten.
„Um Gottes Willen Frau Merkel, wollen Sie aus der CDU austreten?“, fragte ich zurück.
„Auf keinen Fall, aber wir müssen mal reden. Ich möchte von Ihnen gern wissen, was in Ihnen nach Tschernobyl vorging. Warum Sie damals aus der CDU ausgetreten sind? Ich schätze Sie sehr und möchte das gerne wissen.“
Das habe ich ihr erklärt und sie meinte, es würde ihr nach Fukushima genauso gehen: „Ich kann nach dieser Katastrophe – ich habe mir drei Tage lang am Fernseher die Bilder angesehen – die ich als Physikerin nicht für möglich gehalten habe…“
Da habe ich gespürt, hier ist eine Politikerin, die will etwas Großes ändern. Und das hat mich interessiert
„Ich habe das jetzt drei Tage gesehen. Ich kann Atomkraft nicht mehr verantworten.“
„Frau Merkel, das glauben Sie doch selber nicht. Sie wollen doch jetzt aus der Atomenergie aussteigen, weil in Baden-Württemberg ein grüner Ministerpräsident gewählt wurde. Und Sie wollen das nicht auf Bundesebene. Das ist doch Ihre Motivation.“
„Herr Alt, da muss ich Sie enttäuschen. Der größte Fehler in meiner Zeit als Bundeskanzlerin war bisher, dass ich die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert habe. Ich meine es ernst. Ich werde Sie sehr enttäuschen, wenn Sie meinen, ich mache das nur aus taktischem Kalkül.“
„Und Ihre Partei?“, habe ich gefragt.
Da sagt sie einen Satz, den ich nie für möglich gehalten hätte:
„Ist mir völlig egal, dann sollen die mich abwählen.“ Wörtlich. „Ich werde meinem Gewissen folgen und ich kann vor meinem Gewissen Atomenergie nicht mehr länger verantworten!“
Fand ich stark.
- Wie später in der Flüchtlingsfrage.
Genau. Ihre Haltung in diesen beiden Fragen verdient Respekt. Nicht nur von mir. In der Flüchtlingsfrage bin ich voll auf ihrer Seite und sage immer, „bitte mehr Merkel als Seehofer.“
- Vielleicht nur Merkel?
Christlich gesehen haben Sie völlig recht. Das war 2015 nochmal die Pfarrerstochter, die ihr Gewissen entdeckt hatte. Das find ich toll. Und das hat Nachwirkungen in der gesamten Gesellschaft bis heute. Warum gehen Tausende jetzt wieder für die Flüchtlinge auf die Straße. Das hat Auswirkungen, nicht zuletzt wegen der Merkelschen Haltung. Da hatte sie mal Haltung gezeigt.
Übrigens: Ich fand, sie war auch eine hervorragende Klimakanzlerin. Erinnern Sie sich? Nachdem Angela Merkel mit Umweltminister Sigmar Gabriel in Grönland das schmelzende Eis gesehen hatte, hat sie das Gesetz für erneuerbare Energien konsequent umgesetzt.
Und auch bei der Gründung der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien spielte unsere Kanzlerin eine Schlüsselrolle.
- Den zweiten Teil des Interviews bringen wir Anfang Februar 2019.
- Das ganze Interview lesen Sie in der Januarausgabe der stadtgottes. Bestellen Sie sich hier Ihr kostenloses Probeheft
- Franz Alt: „Lust auf Zukunft: Wie unsere Gesellschaft die Wende schaffen wird“
- Leseprobe (pdf)
- Franz Alt (Herausgeber), Michail Gorbatschow (Autor) „Kommt endlich zur Vernunft – Nie wieder Krieg!: Ein Appell von Michail Grobatschow an die Welt“
Quelle
Erstveröffentlichung „stadtgottes“ | Autor
Thomas Pfundtner 2019