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© Franz Alt „Die außergewöhnlichste Liebe aller Zeiten“ – Die wahre Geschichte von Jesus, Maria Magdalena und Judas | Herder Verlag

Franz Alt: Papst Franziskus hat Maria Magdalena zur ersten Päpstin erklärt

Am Verhältnis zur Frau erkennt man den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft oder einer Kirche, sagt der Journalist Franz Alt. Jesus und Maria Magdalena lebten eine Ganzheit vor. «Sie sind die Archetypen einer geschwisterlichen Kirche der Zukunft», so Alt. Der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung hat Franz Alt näher zu Jesus gebracht.

In Ihrem Buch schreiben Sie darüber, dass es nur ein Evangelium gibt, das nach einer Frau benannt ist, nach Maria Magdalena. Sie bezeichnen es als «spirituelle Schatzkammer». Warum?

Franz Alt*: Am Verhältnis zur Frau erkennt man den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft oder einer Kirche. Eine Kirche kann nur so frei sein, wie die Frauen in ihr frei sind. Die Freiheit der Frau in der katholischen Kirche ist bis heute beschränkt. Nach 2000 Jahren Männerkirche ist es höchste Zeit für die volle Gleichstellung und Gleichberechtigung der Frau auch in Weiheämtern, also für eine Päpstin, für Bischöfinnen und Priesterinnen.

Ihr Untertitel des Buches heisst «Die Kirche ist weiblich».

Alt: Genau. Die Zukunft der Kirche ist weiblich oder sie ist gar nicht. Jesus träumte von einer geschwisterlichen Kirche. Das ist die Essenz dieses Evangeliums. Das Evangelium nach Maria Magdalena bietet einen ganz neuen Zugang zur Spiritualität, wie sie ihr Freund Jesus gemeint und die beiden gemeinsam vorgelebt haben. Nur deshalb hat Papst Franziskus Maria Magdalena im Jahr 2016 als «Apostelin der Apostel» bezeichnet. Damit hat er sie zur ersten Päpstin erklärt.

Das geht vermutlich etwas zu weit.

Alt: Tatsächlich hat der Meister aus Nazareth in Maria Magdalena seine spirituelle Meisterin gefunden. Sie lebten die aussergewöhnlichste Liebe aller Zeiten vor. Er ging in ihre Schule und sie ging in seine Schule.

«Das war eine typische Verdrängungsgeschichte mitten im Hoch-Patriarchat.»

Was bedeutet Maria Magdalena Ihnen persönlich und was fasziniert sie am Evangelium nach Maria?

Youtube.com | Screenshot | FranzAlt
Youtube.com | Screenshot | Franz Alt

Alt: Das Verhältnis zwischen Jesus und seiner Gefährtin und Freundin Maria Magdalena ist Vorbild für heutige Paare, auch für meine Frau und mich. Diese Gewissheit entnehme ich diesem Evangelium, das 1896 im Wüstensand von Ägypten gefunden wurde, aber von den christlichen Kirchen leider noch nicht ernst genug genommen wird. Für mich ist dieses Evangelium die Frohbotschaft für das dritte Jahrtausend. Vorbildlich für jedes heutige Liebespaar. Die Mystikerin Maria Magdalena sieht – wie Jesus – mit den Augen des Herzens.              

Sie nennen die Geschichte der Maria Magdalena ein «grandioses Beispiel kirchlicher Verdrängungsgeschichte». Können Sie das etwas näher beschreiben?

Alt: Nur weil dieses Evangelium beinahe 2000 Jahre unbekannt war oder verdrängt wurde, konnten sich die christlichen Kirchen als Männerkirchen entwickeln, was ganz wesentlich zu ihren derzeitigen Bedeutungslosigkeiten geführt hat. Wenn die heutigen Austrittswellen aus den Kirchen in Europa so weitergehen wie zur Zeit, dann gibt es in 50 Jahren hierzulande keine christlichen Kirchen mehr. Im Jahr 591 nannte der damalige Papst Gregor I. Maria Magdalena eine Prostituierte. Das war eine typische Verdrängungsgeschichte mitten im Hoch-Patriarchat, das von einer reinen Männerkirche natürlich noch gestützt wurde. Wir erleben gerade, dass und wie Männerkirchen sich selbst abschaffen. Sie predigen die Kirchen leer.

Was ist aus dem Evangelium nach Maria über diese Frau zu lesen?

Alt: Maria Magdalena steht für die volle weibliche Präsenz der Liebe. Und Jesus war der Mann an ihrer Seite. Nach seinem Tod war sie innerhalb des Apostelkreises heftig umstritten. Wie im Evangelium nach Maria Magdalena spannend nachzulesen, hatte sie aber in der Urkirche bald eine Führungsfunktion inne. Doch für die spätere Männerkirche war Maria Magdalena zu weiblich, zu weise, zu innig mit Jesus, zu selbstbewusst, zu intelligent und zu stark.

Die Papyrusfragmente des Evangeliums der Maria gelangten zum Schweizer Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung. Was fand dieser heraus?

Alt: Das weiss ich nicht. Dieses Evangelium ist auf koptisch überliefert und wurde erst nach Jungs Tod übersetzt. Aber viele Gedanken und Überzeugungen dieses Evangeliums finde ich in Jungs Tiefenpsychologie wieder. Zum Beispiel seine Lehre von den Archetypen oder dass jeder Mann auch weibliche Seelenanteile besitzt und jede Frau männliche Seelenanteile, die gelebt werden sollen, um zur Ganzheit zu reifen. Jesus und Maria Magdalena lebten diese Ganzheit vor. Sie sind die Archetypen einer geschwisterlichen Kirche der Zukunft. Archetypen sind herausragende Individuen, die ein neues kollektives Bewusstsein ankündigen, das zuerst ignoriert, dann belächelt und schliesslich bekämpft wird. Bis es schliesslich allgemeines Vorbild ist.

«Zur Liebessehnsucht von Menschen gehört selbstverständlich auch die Sexualität.»

Sie schreiben, dass Carl Gustav Jung Ihre innere Quelle wieder zum Fliessen gebracht hat. Wie?

Alt: Durch eine Traumtherapie nach C. G. Jung habe ich gelernt, auf meine Träume zu achten und dadurch mich besser zu verstehen. Meine Quelle ist Jesus, aber der grosse Schweizer Tiefenpsychologe C. G. Jung verschaffte mir einen besseren Zugang zu dieser Quelle. Ähnlich wie die tiefenpsychologische Theologie von Eugen Drewermann.

Im Philippusevangelium erfahren die Lesenden etwas über Jesu Blick auf die Sexualität. Was denn?

Alt: Die drei apokryphen (nicht offiziellen) Evangelien nach Philippus, Thomas und Maria Magdalena fordern alle Jesus-Nachfolger auf, Gott in ihrem Innern zu suchen – ohne Kleriker oder Kirchen auch nur zu erwähnen. Nur so gewinnen wir ein Bild von der jesuanischen Religion der Liebe. Zur Liebessehnsucht von Menschen gehört selbstverständlich auch die Sexualität. Das meinte sicherlich auch Papst Franziskus, als er kürzlich sagte, dass Sexualität ein Gottesgeschenk ist. Die aramäisch-orientalische Welt des wunderbaren jungen Mannes aus Nazareth kannte keine Trennung des Heiligen und des Natürlichen, zu dem selbstverständlich auch die Sexualität gehört. In diesen apokryphen Evangelien gilt Maria Magdalena als die Frau, die Jesus am besten und tiefsten verstanden hat.

Warum ist für Sie die spirituelle Krise die «Krise unseres Jahrtausends»?

Alt: Neulich wurde ich gefragt, warum uns Gott verlassen hat. Meine Antwort: Gott verlässt uns nie, aber wir verlassen zu oft Gott. Die Gottlosigkeit unserer Zeit ist die wahrscheinlich grösste Katastrophe unserer Tage. Daraus resultiert der menschliche Grössenwahn, der uns die Atombombe bescherte und damit die Möglichkeit unserer Selbstvernichtung.

Was muss die Kirche unternehmen, um nicht an Relevanz zu verlieren und Glaubwürdigkeit zurückgewinnen zu können?

Alt: Die katholische Kirche und viele ihrer Theologen brauchen eine neue Reflexion über die Würde der Frau und darüber, was Jesus wirklich gesagt hat. Er sprach Aramäisch, aber leider sind alle viereinhalb Milliarden Bibeln der Welt aus dem Griechischen übersetzt und damit oft falsch. Die christlichen Kirchen brauchen endlich eine Übersetzung der wichtigsten Jesus-Worte aus dem Aramäischen. Wenn nämlich die Worte nicht stimmen, ist die ganze Botschaft falsch. Die christlichen Kirchen haben Zukunft, wenn sie selbst mehr Bewusstsein des Traumpaars Jesus und Maria Magdalena leben und vermitteln. Dann gewinnen sie wieder Relevanz und Glaubwürdigkeit. Also mehr Jesus und mehr Maria Magdalena wagen. Welch eine Zukunftsaufgabe.

Quelle

Erstveröffentlichung Katholische Kirche Schweiz – Religion, Politik, Gesellschaft 2024 | Jacqueline Straub | *Franz Alt ist deutscher Journalist und Buchautor. Sein Buch «Ich habe einen Traum. Die Zukunft der Kirche ist weiblich» ist im Herder Verlag erschienen. Das Interview wurde schriftlich geführt.

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