Lust auf Zukunft
In Heiligenfeld bei Bad Kissingen findet vom 6. bis 9. Juni 2024 der Kongress „Offenheit – Chance zwischen den Zeiten“ statt. Dabei hält Franz Alt den Vortrag „Lust auf Zukunft“. Aus diesem Anlass gab er den Veranstaltern dieses Interview:
Sie schreiben auf in Ihrem Buch „Lust auf Zukunft: Wie unsere Gesellschaft die Wende schafft“, dass wir uns in einer Wendezeit, in einer Zeitenwende befinden. Wie meinen Sie das?
300 Jahre lang – seit der Aufklärung – glaubten wir, dass uns materille Fortschritte allein retten würden. Deshalb haben wir auf rein materielles Wachstum gesetzt und das, was wirklich unendlich wachsen könnte, vernachlässigt: Die Seele, den Geist, die Religion und die Kultur. Das Ergebnis dieses materialistischen Fortschrittsglaubens ist die Atombombe. Wir müssen jetzt lernen, dass wir mit dem Verstand allein niemals zur Vernunft kommen. Wir brauchen eine zweite Aufklärung und ein Zeitalter des Geistes. Das ist die eigentliche Zeitenwende. Durch den reinen Rationalismus und Materialismus ist die Welt aus dem Gleichgewicht geraten.
Wichtig ist, dass es uns gelingt, eine Welt in Balance zu schaffen: Balance zwischen Mann und Frau, Balance zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen Geist und Materie, zwischen arm und reich, zwischen innen und außen und viele weitere Balancen. Das Gleichgewicht zwischen bipolaren Verhältnissen ist das Erfolgsrezept für eine bessere Zukunft, sagt Jesus seiner Gefährtin Maria Magdalena im Maria Magdalena-Evangelium – das einzige Evangelium, das nach einer Frau benannt ist, für mich d a s Evangelium, also die Frohbotschaft, für das dritte Jahrtausend.
Unser größtes Problem unserer Zeit ist der Klimawandel, sagten Sie in der Sendung „WIR – Wissen ist relevant“. Können Sie das verdeutlichen, was steht auf dem Spiel?
Zur Zeit rotten wir jeden Tag 180 Tier- und Pflanzenarten für alle Zeit aus, obwohl wir wissen, dass es ohne Tiere und Pflanzen auch keine Menschen geben kann. Das ist ein Naturgesetz. Jeden Tag produzieren wir 50.000 Hektar Wüste mehr und täglich verlieren wir ca. 80.000 Tonnen fruchtbaren Boden und werden eine Viertel Million Menschen mehr. Jedes Kind lernt heute in der Schule, dass diese Entwicklung keine Zukunft haben kann. Auf dem Spiel steht das Überleben allen Lebens auf unserem Planeten.
Immer wieder wird Verzicht als Lösung gesehen. Welcher Verzicht ist notwendig und wie kann man Menschen dazu bewegen auf etwas zu verzichten bzw. sie zu etwas bewegen?
Mit Verzichtsparolen gewinnen Sie kaum jemand für den Kampf gegen den Klimawandel. Es geht um intelligenteres Verhalten des homo sapiens. Es geht um Gewinn für alle. Vor allem um Gewinn für die Armen in den südlichen Ländern und um Gewinn für die heute noch nicht Geborenen.
Zwei Beispiele: Ich hatte zwei Jahre lang jeden Montag eine Fernsehsendung in Berlin zu moderieren. Wenn ich von Baden-Baden aus, wo ich wohne, nach Berlin und zurück das Flugzeug nutze, emittiere ich 470 Kg CO2, das Haupttreibhausgas. Wenn ich dieselbe Strecke mit dem Auto fahre, emittiere ich 360 Kg CO2, mit der Bahn 130 Kg. Moderiere ich aber meine Sendung über das Internet, emittiere ich ca. 5 Kg CO2.
Außerdem ist das Internet weit sicherer als Flieger, Auto oder sogar Bahn und gesünder sowieso. Internetkonferenzen sind doch kein Verzicht, sie sind ein Gewinn. Lediglich ein bisschen Vernunft ist gefragt, wenn wir uns umweltfreundlicher und klimafreundlicher verhalten wollen. Sogar Autofahren ist heilbar. Auch ich habe lange gebraucht, um diese schlichte Erkenntnis zu realisieren.
Oder: Wir gewinnen auf unserem Hausdach über Solaranlagen seit 30 Jahren etwa so viel Strom wie wir verbrauchen und einen Teil unserer Wärme. Das ist umweltfreundlich und spart Geld. Denn die Sonne schickt uns nie eine Rechnung. Auch das ist Gewinn und hat nichts mit Verzicht zu tun. Es geht um mehr ökologische Intelligenz.
Trotz Klima und Krieg, haben junge Menschen weniger Zukunftssorgen als während der Pandemie, zeigt eine Umfrage im Spiegel und beruft sich auf die Jugendstudie 2022 der Vodafone Stiftung. Die jungen Menschen sind zukunftshungrig. Sehen Sie darin eine Chance?
Die weltweite Klimabewegung Fridays for Future, von einem 15-jährigen Mädchen aus Schweden, Greta Thunberg, durch eine simple Aktion mit einem selbst bemalten Pappschild in Bewegung gesetzt, lässt mich hoffen. Auch ich setze auf informierte und engagierte Jugend und auf technologischen Fortschritt, zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien. Der Preis für die Produktion einer Kilowattstunde Solarstrom ist in Deutschland seit dem Jahr 2.000 um 87% gefallen. Solarstrom ist schon heute Sozialstrom. Das hat sich aber noch viel zu wenig herumgesprochen.
Zu diesen Themen habe ich in den letzten Jahren über 100 Fernsehsendungen produziert und in 50 Ländern über 3.000 Vorträge gehalten. Ich sehe weltweit – bei allen Problemen – auch große Fortschritte. Die ehrgeizigen Ziele des Pariser Klimaabkommens sind noch erreichbar. Allerdings: Wir müssen das Tempo zur Rettung des Weltklimas durch den Ausbau der erneuerbaren Energien mindestens verdreifachen.
Aber das ist möglich – genau so wie Frieden möglich ist, wenn wir an Abrüstungsvorbilder wie Michail Gorbatschow denken. Wie orientieren uns zu wenig an solchen wundervollen Vorbildern. Wir haben primär mentale Probleme. Die Mauer in Berlin oder die deutsche Teilung schienen uns ewig und wurden trotzdem friedlich überwunden.
Aus aktuellem Anlass des Krieges in der Ukraine und Israel, stellt sich für mich die Frage: Wie kann Offenheit zu Frieden beitragen?
Dazu habe ich das Buch geschrieben „Frieden ist noch immer möglich – Die Kraft der Bergpredigt“. Wenn nach 1945 nach Jahrhunderten Kriegen zwischen Frankreich und Deutschland Frieden möglich war, dann ist auch zwischen Russland und der Ukraine oder zwischen Israel und Palästina Frieden möglich. Wir müssen dafür allerdings die schlichte Tatsache lernen, dass auch „die Anderen“ Menschen sind.
Wir alle sind eine Menschheit, wir alle leben auf einem Planeten und unter einer Sonne. Als Kinder Gottes sind wir alle Schwestern und Brüder. Das müssen wir endlich lernen.
Auch Frieden im Nahen Osten ist möglich. Nach dem barbarischen Terror der Hamas mag dies naiv klingen, ist es aber nicht. Die jüdische Religion und die islamische Religion sind in ihrem Ursprung friedlich. Aber in der Tat sind sie es oft nicht. Das gilt leider auch für das Christentum. Diese drei monotheistischen Religionen könnten die Basis für eine friedliche Entwicklung im Nahen Osten sein.
„Du sollst nicht töten“ ist das Ur-Ethos aller Religionen. Im Friedensprojekt der Europäischen Union hat sich diese Erkenntnis endlich durchgesetzt. In den letzten 70 Jahren hat noch nie ein Land der EU ein anderes EU-Land militärisch angegriffen. Das geht auch anderswo.
Davon ist auch der weltbekannte israelische Dirigent Daniel Barrenboim und sein Stellvertreter, ein Palästinenser, überzeugt. Beide leiteten das West-Eastern Divan Ochestra, das zur Hälfte aus israelischen und palästinensischen Musikern besteht. Dass israelische und palästinensische Musiker gemeinsam auftreten ist von immensem Wert. Barrenboim: „Israelis werden nur Sicherheit haben, wenn Palästinenser Hoffnung spüren.“ Deshalb habe ich zusammen mit dem Dalai Lama das Buch geschrieben „Ethik ist wichtiger als Religion“.