Sollen Journalisten übertreiben oder verharmlosen?
Journalisten wissen, dass Katastrophenmeldungen immer auf größeres Interesse stoßen als „normale“ Berichte. Deshalb gilt schon immer der Grundsatz: „Nur schlechte Meldungen sind „Gute“ Meldungen“. Ein Kommentar von Franz Alt
Ein Beispiel: „Heute ist ein Flugzeug abgestürzt“ ist selbstverständlich eine Meldung. Aber „Heute ist kein Flugzeug abgestürzt“ ist natürlich keine Meldung.
Was aber heißt diese Faustregel für die Berichterstattung über den Klimawandel?
Wir leben in einer Kultur der Angst und der Krisen: Angst vor Terrorismus, Angst vor der Flüchtlingskrise, Angst vor Kriegen. Und jetzt auch noch Angst verbreiten vor der Klimakrise?
In der vergangenen Woche publizierte das US-Magazin „New York“ eine Horrorgeschichte über den Klimawandel. Titel: „Die unbewohnbare Erde“. Autor David Wallace-Wells setzte dabei voraus, dass der Ausstoß von Treibhausgasen unvermindert so weiter geht wie heute. Und dass deshalb auch die Permafrostböden auftauen werden, deren Methan 24 mal so klimaschädlich ist wie das heute wichtigste Treibhausgas CO2.
Die Konsequenzen dieses möglichen, aber nicht wahrscheinlichen Szenarios: Die Erde erwärmt sich um bis zu 12 Grad. Die Ozeane vergiften sich selbst, viele Regionen werden unbewohnbar. Die Weltwirtschaft schrumpft um 50%. Hunderte Millionen Menschen müssen fliehen.
Der Artikel wurde im Land des Klimaleugners Donald Trump heftig diskutiert. Das war auch die Intention des Autors. Aber die Kritiker, keineswegs nur Klimaleugner, warfen dem Autor „Panikmache“ und „Übertreibung“ vor. Angst motiviere nicht zum Klimaschutz. David Wallace-Wells verteidigte seinen Artikel mit dem Argument, er wolle wachrütteln.
Nur: Gelingt Wachrütteln durch eine Horrorgeschichte oder stumpft eine Horrorgeschichte nicht eher ab, weil sie Angst und Verzweiflung nährt? Darüber streitet die Kommunikationswissenschaft.
Meine 50-jährige Erfahrung als Journalist lehrt mich, dass zu einer wirklichen Aufklärung – und Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung ist der Job von Journalisten – die Darstellung der Probleme, aber genau so auch das Aufzeigen von Chancen gehört. Und diese zweite Aufgabe von aufklärerischem Journalismus wird oft, zu oft, vernachlässigt. Gerade beim Thema Klimawandel.
Einige Beispiele: Fast niemand berichtet, dass sich seit dem Jahr 2.000 weltweit der Anteil des Solarstorms verhundertfacht hat und der Anteil des Windstroms verzwölffacht. Ebenso weiß hierzulande fast niemand, dass Costa Rica und Island sich bereits heute mit nahezu 100% erneuerbarer Energie selbst versorgen und dass Deutschland seit dem Jahr 2.000 seinen Anteil an erneuerbarem Strom versiebenfacht hat. Und dass die bevölkerungsreichsten Länder China und Indien von Kohlestrom abrücken und jetzt riesige Summen in Solar- und Windenergie investieren.
Oder: Dass in den USA zurzeit die Branche der erneuerbaren Energien 24 schneller wächst als die Gesamtwirtschaft. Bis heute sind seit 1990 weltweit mehr als zehn Millionen neue Jobs bei den erneuerbaren Energien entstanden und – nach Berechnungen des Internationalen Instituts für Erneuerbare Energien – sollen es bis zum Jahr 2030 24 Millionen neue Jobs sein.
Oder: In den nächsten 15 Jahren muss die Hälfte aller AKW in der Welt – aus Sicherheits- und Altersgründen stillgelegt werden. Aber die Mehrheit der Menschen wird noch immer von Meldungen verunsichert, wonach eine „Renaissance der Atomkraft“ bevorstehe. Wirkliche journalistische Aufklärung besagt das exakte Gegenteil.
Sollen Journalisten übertreiben oder verharmlosen?
Wenn die Regierungen das Pariser Klimaabkommen umsetzen, dann kann das in der Zeitschrift „New York“ aufgezeigte Katastrophen-Szenario noch verhindert werden. Das aufzuzeigen ist so wichtig und richtig wie das Aufklären über die Gefahren des Klimawandels.