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Götz Warnke | dgs.de

© Götz Warnke | dgs.de | Der neue KIA EV6 beherrscht schon das bidirektionale Schnell-Laden mit CCS,

Bi-Di-Laden – Das E-Auto als Speicher

Jedes Energiesystem braucht seine Energiespeicher. Ein Bericht von Götz Warnke

Im fossilen System sind das Kohlebunker, Öllager, und die in den vergangenen Monaten mit gemischten Gefühlen betrachteten sowie jetzt unter staatliche Kontrolle gestellten Gaskavernen. Im System der Erneuerbaren Energien sind das Wärme- und Stromspeicher. Solche Speicher sind sowohl im Großen (national) als auch im Kleinen (lokal) notwendig, wie uns im Alltag der Warmwasserspeicher unserer Heizung oder der Akku in unserer Bohrmaschine immer wieder vor Augen führen.

In einem Energiesystem, das weitgehend elektrifiziert wird, werden insbesondere Stromspeicher benötigt; das müssen dann nicht unbedingt wenige, große und zentrale (z.B. Pumpspeicherkraftwerke) sein; es reichen auch viele kleine, steuerbare Einheiten. Hier kommt das E-Auto ins Spiel: Millionen Fahrzeuge mit einer Batteriekapazität von durchschnittlich ca. 50 kWh je Fahrzeug bilden zusammengenommen einen gewaltigen Stromspeicher. Um jedoch die konventionellen Speicher zu ersetzen oder zu ergänzen, müssen die E-Auto-Akkus das Gleiche können wie andere Speicher auch: nämlich nicht nur Energie aufnehmen/einspeichern, sondern auch Energie abgeben/ausspeichern. Dieses bezeichnet man als bidirektionales Laden.

Beim bidirektionalen Laden gibt es verschiedene Einsatzmöglichkeiten des Autos als Speicher, die dann zusammen genommen als Vehicle-to-X (V2X) bezeichnet werden:

  • Vehicle-to-Grid (V2G): Hier dienen die Fahrzeuge zur Stabilisierung des großen Stromnetzes, indem sie nach dessen Bedarf Strom in ihre Akkus ein- oder ausspeichern. Die Ein-/Ausspeicherleistung liegt bei ca. 11 kW Gleichstrom.
  • Vehicle-to-Home (V2H): Hier dient das E-Auto zur (Not-)Stromversorgung meist des eigenen Heims, etwa um am Wochenende tagsüber den Strom der eigenen Solaranlage aufzunehmen, und dann damit nachts die Wärmepumpe kostengünstig zu betreiben.
  • Vehicle-to-Vehicle (V2V): Dabei wird ein anders Fahrzeug durch das E-Auto geladen, wie z.B. ein weiteres E-Auto, ein Boot, ein Camper oder ein Leichtflugzeug. Möglich ist aber auch, dass Baumaschinen im Einsatz durch die die Baustelle befahrenden LKWs geladen werden.
  • Vehicle-to-Utility (V2U)*: Hierbei versorgt das E-Auto elektrische Werkzeuge auf der Baustelle oder einen Elektrogrill abseits vom Stromnetz mit Wechselstrom (in Europa 230V/10A). Ein Beispiel dafür ist in den USA der neue, elektrische Ford F 150 Lightning, der gleich mehrere Steckdosen hat.

Die wohl wichtigsten Fähigkeiten des bidirektionalen Ladens beim E-Auto sind die Netzstabilisierung für die gesamte Gesellschaft, die Aufnahme von sonst abgeregeltem regenerativen Strom und die Bereitstellung eines kostengünstigen Speichers für den E-Auto-Besitzer, denn die Kilowattstunde eines E-Auto-Akkus kostet nur rund ein Viertel bis ein Sechstel von der eines „normalen“ Heimspeichers.

Waren beim Thema bidirektionales Laden bisher in der EU die Niederlande vorn, während Deutschland als Heimat der Verbrennerbauer praktisch das Schlusslicht bildete, beginnt sich auch hierzulande bei diesem wichtigen Thema etwas zu bewegen. Zwar hatte es 2018 bis 2020 bereits im Rahmen des staatlich geförderten SINTEG-Schaufensterprojektes ein V2G-Projekt gegeben, an dem Tennet, Nissan und MobilityHouse beteiligt waren, aber die weitere Entwicklung erwies sich anfangs als zäh. Doch mittlerweile sind die hiermit zusammenhängenden Fragestellungen auch in der Hochschulforschung angekommen, so u.a. im Technologietransferzentrum Elektromobilität (TTZ-EMO) der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt oder beim von der Uni Lübeck begleiteten ReNuBiL-Projekt.

Im Herbst 2021wurde die deutsche „Initiative Bidirektionales Laden“ gegründet; ihre 17 Mitglieder sind in erster Linie Energieversorgungsunternehmen, aber auch Netzbetreiber, Ladeinfrastrukturfirmen und sonstige Stakeholder. Anfang März diesen Jahres veröffentlichte die Initiative ein 38seitiges „Positionspapier zu notwendigen regulatorischen Anpassungen im Kontext des bidirektionalen Ladens“, das mit zahlreichen Forderungen zur Änderung bestehender Gesetze und Verordnungen abschließt.

Inzwischen ist das Thema „Bidirektionales Laden“ auch in der Autoindustrie angekommen, die die entsprechenden Fahrzeuge ja immerhin bauen muss. So traten auf der parallel zur Battery Conference 2022 in Münster stattfindenden Konferenz „Vehicle-to-grid, Vehicle-to-home und Smart Charging“, die ebenfalls vom Haus der Technik/Essen umsichtig organisiert war, neben Dr. Stefan Lösch vom Fraunhofer IFAM („Techno-Economical Potential of V2H“) und Benedikt Tepe/TU München u.a. auch drei Vertreter großer Autokonzerne auf:

  • Michael Keller/Volkswagen („The EV as fully integrated grid servant“) verwies nicht nur auf die Bedeutung des Speicherpotentials von E-Autos: mit dem 2020 allein in Deutschland abgeregelten Windenergiestrom von 6.200 GWh könnten 2,6 Millionen E-Autos ein ganzes Jahr fahren. Er verdeutliche auch die Wichtigkeit der neuen Norm ISO 15118-20 Ed1, die mehr als jede andere Norm in der Welt verschiedene Lademöglichkeiten – drunter auch BiDi- und Wireless-Laden – beinhalte. Zudem zeigte er das mit verschiedenen Partnern geplante VW-Lade-Ökosystem auf.
  • BMW (Xaver Pfab, Mark Pilkington) präsentierte das u.a. mit der Forschungsstelle für Energiewirtschaft/FfE (Adrian Ostermann) durchgeführte Gemeinschaftsprojekt „Bidirektionales Lademanagement“ (BDL). Dabei wurden 20 privat genutzte BMW i3 (42 kWh-Akku) für bidirektionales Laden ertüchtigt, sowie verschiedene 11kW-Gleichstrom-Wallboxes mit intelligentem Lademanagement eingesetzt. Das in der zweiten Jahreshälfte 2021 durchgeführte Projekt zeigte u.a. den hohen Anteil (größer 50%) von selbstgenutztem PV-Strom. 2022 soll das Projekt mit 30 kommerziell genutzten BMW i3 fortgesetzt werden. Insgesamt gehen die Projektpartner davon aus, dass es 2035 in Deutschland 20 Millionen E-Autos gibt, die mit ihren durchschnittlichen 50-kWh-Akkus zusammen eine Speicherkapazität von 1.000 GWh – und damit das 25fache aller deutschen Pumpspeicher-Kraftwerke – bieten.
  • Honda ist bisher durch mangelndes Typenangebot nicht gerade als Treiber der Mobilitätswende aufgefallen. Doch Martin Stadie von Honda R&D Europe (Deutschland) zeigte, dass es firmenseitig durchaus vielfältige Konzepte und Projekte in dieser Richtung gibt. Da ist einerseits das „Smart Company Eco System“ am deutschen Standort in Offenbach/Main, das u.a. darauf abzielt, auch über bidirektionales Laden einen möglichst hohen Anteil des Stroms der eigenen PV-Installationen auf Firmen- und Carportdächern zu nutzen. Andererseits ist man in verschiedenen europäischen Forschungsprojekten involviert: so bei V2x Suisse oder mit dem firmeneigenen Projekt e:progress in Großbritannien.

Fazit:
Das bidirektionale Laden als entscheidende Technik zur Integration der (E-)Mobilität in die Sektorenkoppelung kommt voran – nicht nur im europäischen Ausland wie beispielsweise in den fortschrittlichen Niederlanden, sondern inzwischen auch in Deutschland.

* Bisweilen wird hier noch der Begriff Vehicle-to-Load (V2L) verwendet, der insofern irreführend ist, als dass die Load-Funktion natürlich auch V2V und V2H betrifft, zumindest sofern beim letzteren ein Heimspeicher vorhanden ist.

Quelle

Der Bericht wurde von der Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. (Götz Warnke) 2022 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden | SONNENENERGIE 02/2022 | Das Inhaltsverzeichnis zum Download!

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