Ein Tempolimit für die Bahn
Verkehrsexperten fordern eine Verdreifachung des Schienenverkehrs bis 2030. Alle Personen- und Güterzüge sollen dafür im Gleichtakt fahren – teilweise langsamer, aber deutlich häufiger.
Die Ampel-Koalition will den Schienenverkehr stärken, so steht es im Koalitionsvertrag. Stichworte: Bis 2030 doppelte Verkehrsleistung im Personenverkehr, Halbstundentakt zwischen den Metropolen, bessere Anbindung von Oberzentren, mehr Verbindungen ins Ausland. Das Netz soll erweitert, Strecken sollen reaktiviert und elektrifiziert werden. Die Bahn soll 25 statt 18 Prozent des Güterverkehrs transportieren.
Gute Ansätze seien das, meinen Mobilitätsexperten, aber nicht ausreichend, um die für das 1,5-Grad-Klimaziel nötige Verkehrswende einzuleiten.
Eine Gruppe von Verkehrsexperten um den Raumplaner Heiner Monheim fordert eine weit aktivere Verlagerung des Straßenverkehrs auf die Schiene. Deren Kapazität könne mit einer „ökologischen Neuausrichtung der Bahnpolitik“ relativ kurzfristig verdoppelt und bis 2030 sogar verdreifacht werden, rechnen sie vor.
Hauptansatz dafür: eine Harmonisierung der Durchschnittsgeschwindigkeiten der Züge bei etwa Tempo 120 für den Personen- wie auch den Güterverkehr, gekoppelt mit einer deutlich dichteren Zugfolge.
„Für die Bahnkunden heißt das: Die Züge fahren dann zwar langsamer, aber man kommt schneller am Ziel an“, sagt Monheim, Chef eines Raumplanungsinstituts und emeritierter Professor der Universität Trier, gegenüber Klimareporter°. Das Konzept:
- Alle Züge im Bahnnetz fahren harmonisiert mit im Schnitt 120 Kilometern pro Stunde – und können dann in einem viel engeren Takt und deutlich energieeffizienter verkehren.
- Maximaltempo der Züge ist 200 Stundenkilometer, also deutlich weniger als die 300, die derzeit auf den Neu- und Ausbaustrecken der Bahn gefahren werden können.
- Im Fernverkehr wird im Gegenzug mindestens ein Halbstunden-Takt eingeführt, auf den Hauptachsen wie Hamburg–Hannover oder Berlin–Erfurt sogar ein Zehn-Minuten-Takt.
Großprojekte nehmen dem Ausbau die Mittel weg
Vorteile hat das Konzept laut Monheim sowohl für den Personen- als auch den Güterverkehr. Das dichtere Taktangebot werde für die meisten Fahrgäste auch bei teilweise langsamer fahrenden Fernzügen zu kürzeren Reisezeiten und zu deutlich weniger Verspätungen führen, erläutert er.
„Bisher kommt es durch die unterschiedlichen Geschwindigkeiten von Fern-, Regional- und Güterverkehr häufig zu Problemen in der Fahrplangestaltung und im Betriebsablauf. Diese Probleme können minimiert werden.“
Künftig würden etwa die Güterzüge eingereiht in den Rhythmus der Reisezüge mitfahren, während sie bisher von den ICE- und IC-Zügen häufig aufs Abstellgleis gedrängt werden. „Damit Speditionen die Bahn nutzen, müssen die Güterzüge zuverlässiger und ohne lange Wartezeiten ans Ziel kommen. Nur so können die Waren in attraktiven Zeiten befördert werden“, heißt es in dem Alternativkonzept.
Die Expertengruppe kritisiert die bisherige Bahnpolitik und die Ausbaustrategie der DB AG. „Die Bahn wurde immer nur als Ergänzung zum Auto ausgebaut, nie mit dem Ziel, große Anteile des Verkehrs auf die Schiene zu verlagern.“
Noch liege die Priorität bei Großprojekten des Hochgeschwindigkeitsverkehrs und bei Prestigebahnhöfen wie Stuttgart 21, der Fehmarnbelt-Querung oder der Verlegung des Bahnhofs Hamburg-Altona. Solche Projekte seien extrem teuer, brächten wenig für das Gesamtnetz und dauerten sehr lange.
Wegen des massenhaften Einsatzes von Stahlbeton für die vielen Tunnel, Brücken und unterirdischen Bauwerke seien die Projekte selbst „große CO2-Schleudern“.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2022 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!