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Ampel verletzt Klimagesetz: Deutschland wird Klimaziele für 2030 deutlich verfehlen

Das Umweltbundesamt veröffentlicht heute den Projektionsbericht 2023. Demnach wird Deutschland die bis 2030 erlaubten CO2-Emissionen um bis zu 331 Millionen Tonnen überziehen. Zeitgleich präsentiert der Klima-Expertenrat seine Einschätzung des Klimaschutzprogramms der Regierung.

Seit Wochen warten die Medien in Deutschland auf den sogenannten Projektionsbericht 2023. Alle zwei Jahre – und von jetzt an jedes Jahr – muss die Bundesregierung anhand einer Prognose klären, ob Deutschland mit der aktuellen Politik seine Klimaziele erreicht.

Vor zwei Monaten, Mitte Juli, gab es erste Medienberichte über einen Entwurf der Projektion 2023. Zuletzt soll das Papier in der Ressortabstimmung zwischen den Ministerien geschmort haben. Nunmehr gab das Umweltbundesamt den aktuellen Projektionsbericht ab 10 Uhr am heutigen Dienstag frei.

Beobachtern erscheint dies keineswegs zufällig. Gerade heute stellt auch der Expertenrat für Klimafragen seine Stellungnahme zum Klimaschutzprogramm 2023 sowie seinen Prüfbericht zu den Problemsektoren Gebäude und Verkehr vor.

Ganz offensichtlich soll mit der gleichzeitigen Veröffentlichung des Projektionsberichts der zu erwartenden Kritik des Expertenrats die Spitze genommen werden. Dazu passen die in den letzten Wochen verstärkten Bemühungen besonders von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die ins Abseits geratene Klimapolitik der Ampel in ein besseres Licht zu rücken.

Ergebnis bestätigt Ankündigung des Ministers

Der Projektionsbericht bestätigt denn auch bisherige Angaben aus dem Wirtschaftsministerium: Mit den derzeit geltenden klimapolitischen Maßnahmen lässt sich die bestehende Emissionslücke zum Klimaziel für 2030 nur zu 70 Prozent schließen. Falls weitere konkret geplante, jedoch noch nicht im Klimaschutzprogramm festgeschriebene Maßnahmen einbezogen werden, kann die Lücke zu 80 Prozent geschlossen werden, heißt es weiter im Bericht.

Was hatte Habeck schon am 21. Juni anlässlich des Kabinettsbeschlusses zum Klimaschutzprogramm gesagt? „Wir schließen die Klimaschutzlücke, die die Vorgängerregierung uns hinterlassen hat, um bis zu 80 Prozent.“ Damit rücke das 2030er Klimaziel in Reichweite, so Habeck. Dieses Ziel ist eine Reduktion der CO2-Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990.

Dass der, wie das Umweltbundesamt betont, von einem „unabhängigen Forschungskonsortium“ erarbeitete Bericht jetzt Habecks zwei Monate alte Aussage bestätigt, ist sicher ganz im Sinne der Regierung.

Das Problem dabei: Das Klimaschutzgesetz beruht auf dem sogenannten Budgetansatz. Das Klimaziel muss nicht nur im Jahr 2030 eingehalten werden, sondern in jedem Jahr bis dahin muss der CO2-Minderungspfad stimmen.

Auch die von Habeck angeführte Emissionslücke bezieht sich nicht aufs Zieljahr 2030, sondern geht auf den Projektionsbericht 2021 zurück. Und der beziffert die CO2-Lücke für den gesamten Zeitraum von 2021 bis 2030 auf 1,1 Milliarden Tonnen.

Verkehr verantwortet rund zwei Drittel der Lücke

Und auch wenn diese Lücke mit jetzigen oder künftigen Maßnahmen zu 70 oder 80 Prozent geschlossen wird, bleiben mehrere hundert Millionen Tonnen an Emissionen „übrig“.

Laut dem jetzigen Projektionsbericht werden die ohnehin problematischen Bereiche ihre Vorgaben deutlich reißen: Der Verkehr überzieht sein bisheriges Budget bis 2030 um bis zu 210 Millionen Tonnen, der Gebäudesektor um bis zu 96 Millionen und die Industrie um bis zu 83 Millionen Tonnen.

Dass gerade der Verkehr klimapolitisch auf Abwegen ist, zieht ein weiteres Desaster nach sich. Laut dem Projektionsbericht wird Deutschland seine Klimapflichten auf europäischer Ebene, die sich aus der Lastenteilungsverordnung ergeben, im Abrechnungszeitraum von 2021 bis 2030 möglicherweise um bis 299 Millionen Tonnen verletzen.

Passiert hier nichts Entscheidendes, wird Deutschland für einen Großteil dieser Emissionen freie Emissionsrechte bei anderen Ländern oder auf dem freien Markt kaufen müssen. Das kann sehr teuer werden.

In Europa hilft es nicht, dass Energiewirtschaft, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft ihre jeweiligen Ziele hierzulande laut Projektionsbericht übererfüllen werden. In Deutschland erlaubt es die von der Ampel beschlossene Reform des Klimaschutzgesetzes, dass diese Sektoren künftig das Versagen in anderen Sektoren teilweise kompensieren können.

Ganz unter den Tisch fällt dabei übrigens, dass die Landwirtschaft nur deswegen so viel einspart, weil der Weltklimarat vor einiger Zeit die Klimawirkung von Lachgas-Emissionen aus der Düngung neu bewertet hat. Dadurch bekommt der deutsche Agrarsektor bis 2030 rund zehn Millionen Tonnen CO2 in seinem Emissionsbudget praktisch geschenkt.

In sechs Jahren fast einen halben Jahresausstoß einsparen

Trotz allem überzieht Deutschland sein CO2-Budget, das aus dem Klimagesetz resultiert, bis 2030 um bis zu 331 Millionen Tonnen, rechnet der Projektionsbericht am Ende zusammen. So wird das Ziel der Netto-Treibhausgasneutralität bis 2045 aus heutiger Sicht nicht erreicht, stellt der Bericht fest.

Der neue Projektionsbericht zeige deutlich, dass zusätzliche Maßnahmen nötig seien, um die Klimaziele noch zu erreichen, betonte Umweltbundesamts-Präsident Dirk Messner am Dienstag. In den nächsten sechs Jahren müssten Treibhausgasemissionen in einem Umfang zusätzlich reduziert werden, die etwa 40 Prozent der Emissionen Deutschlands im Jahr 2022 entsprächen, umriss Messner die Aufgabe.

Seine Behörde macht keine eigenen Einsparvorschläge, sondern zitiert aus anderen Studien, wonach unter anderem mehr Schienenverkehr, eine Reform der Kfz-Steuer sowie die Beschränkung fossiler Heizungen nötig wären, um die Lücke bis 2030 zu schließen.

Über das klimagesetzliche Budget hinaus reißt Deutschland ganz klar auch die eigenen Vorgaben im Bereich Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forst, fachsprachlich LULUCF. An den Zielen, diese Emissionen bis 2040 oder 2045 um 35 beziehungsweise 40 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent zu senken, werden laut Projektionsbericht jeweils zehn bis 20 Millionen Tonnen fehlen.

Die Ampel-Regierung wird das noch weniger stören als die 331 Millionen Tonnen. Und das nicht nur wegen der geringeren Zahlen: Die Ziele im Landnutzungssektor haben keinen Gesetzesrang.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Jörg Staude) 2023 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

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