Arktis: Das Eis gibt den Weg frei
Die Meereis-Ausdehnung der Arktis ist in diesem Sommer rekordverdächtig weit zurückgegangen, sodass sowohl die Nordost-Passage als auch die Nordwest-Passage befahren werden können.
Klimawissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung nehmen diese Veränderungen in der Nordpolarregion zum Anlass, um mit Partnern aus neun europäischen Ländern über die Perspektiven und Folgen einer verstärkten kommerziellen Nutzung der Arktis zu forschen. ACCESS heißt dieses zukunftsweisende Projekt, dessen zweiter Workshop am 5. und 6. September in Bremen stattfindet.
Die Arktis erlebt in diesem Sommer zum fünften Mal in Folge einen überdurchschnittlichen Rückgang des Meereises. Aktuelle Beobachtungen und Einschätzungen der Klimawissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft deuten darauf hin, dass die Negativ-Rekordmarke aus dem Jahr 2007 in greifbare Nähe rückt.
„Diese Entwicklung überrascht uns nicht. Der Rückgang in diesem Sommer fügt sich ein in die Reihe der Jahre seit 2007. Wir haben inzwischen sehr wenig Eis in der Arktis. Hinzu kommt, dass nicht nur die Ausdehnung des Eises abnimmt, sondern auch die Eisdicke“, sagt Prof. Dr. Rüdiger Gerdes, Meereis-Experte am Alfred-Wegener-Institut.
Wo das Eis schwindet, öffnen sich dem Menschen neue Wege in und durch die Arktis. In diesem Sommer sind zum Beispiel sowohl die Nord-West-Passage als auch der Seeweg nördlich Russlands eisfrei. Ein Zustand, der Begehrlichkeiten weckt, wie die Wissenschaftler wissen. „Es bieten sich nun ganz neue Möglichkeiten, die Arktis kommerziell zu nutzen“, sagt Gerdes. Veränderungspotenziale sieht er vor allem in der Schifffahrt, in der Tourismus-Branche, der Fischerei und bei der Rohstoffausbeutung.
„Natürlich ermöglicht der Rückgang des Eises auch den Zugriff auf Ressourcen, die bisher nicht zugänglich waren – und zwar nicht nur auf dem Meeresboden, sondern auch an Land, denn jetzt stehen Schifffahrtswege zum Abtransport von Rohstoffen zur Verfügung“, erklärt der Meereis-Experte.
Gerdes und seine Kollegen registrieren schon jetzt eine gewisse Aufbruchsstimmung in der Wirtschaft. Gerdes: „Unsere Arbeit ist sehr gefragt und es fällt auf, dass Interesse an Meereis-Vorhersagen inzwischen auch aus Sektoren kommt, von denen wir dies gar nicht gewohnt sind. Wirtschaftswissenschaftler oder Fischereibiologen wollen nun von uns wissen, wie sich das Meereis ändern wird.“
Die Klimaforscher engagieren sich deshalb gemeinsam mit 26 Partnern aus neun europäischen Ländern in dem neuen Projekt „ACCESS: Arctic Climate Change, Economy and Society“ (Arktischer Klimawandel, Wirtschaft und Gesellschaft).
Aufgeteilt in fünf Arbeitsgruppen wollen die Forscher darin folgende Leitfragen beantworten:
- Wie werden sich Transport, Tourismus, Fischerei und Ressourcenausbeutung in der Arktis zukünftig gestalten?
- Welche Risiken für Natur und Mensch bergen diese Entwicklungen und mithilfe welcher Regelungen können diese Risiken begrenzt werden?
Die Klimawissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes setzen dabei auf ihre Kernkompetenzen. Sie liefern den anderen ACCESS-Projektpartnern Klimabeobachtungen, Modellberechnungen und Meereis-Prognosen. Diese Vorhersagen und Klimaszenarien beruhen zum einen auf Satellitendaten; zum anderen auf Eisbeobachtungen und Dickenmessungen, welche die Forscher bei ihren regelmäßigen Expeditionen in die Arktis machen.
Zunächst einmal gilt es für Gerdes jedoch, eine solide Gesprächsbasis zu finden. Aus diesem Grund lädt er am 5. und 6. September zum ACCESS-Workshop in das Bremer „Haus der Wissenschaft“ ein. „Wir wollen Nicht-Fachleuten vermitteln, was Klimamodelle leisten, wo Unsicherheit bestehen, und was wir aus den errechneten Szenarien herausziehen können“, sagt der Meereis-Physiker.
Weitere deutsche Partner im ACCESS-Projekt sind unter anderem das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die Hamburgische Schiffbau-Versuchsanstalt sowie das Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Die Gesamtleitung hat die französische Université Pierre et Marie Curie (UPMC) übernommen.
Quelle
Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung 2011