Bundestag berät Klimagesetz: Klima-Ampel künftig im „Kollektiv“
Nicht mehr einzelne Ministerien, sondern die Bundesregierung als Ganzes soll künftig für die Einhaltung der Klimaziele sorgen. Die entsprechende Reform des Klimaschutzgesetzes wird heute erstmals im Bundestag beraten. Die Ampel will damit Klimapolitik in die Zukunft verschieben.
Im Dezember 2019 war es so weit: Das Klimaschutzgesetz trat mit der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft. Svenja Schulze, damals Umwelt- und heute Entwicklungsministerin, frohlockte: „Ab jetzt sind alle Ministerien Klimaschutzministerien.“
Das paukte sie der Öffentlichkeit Tag für Tag ein. Für die CO2-Reduktion seien jetzt alle Ministerien zuständig. Oder: „Mein Klimaschutzgesetz macht den Klimaschutz für alle verbindlich“, wie eine Agentur damals Schulze zitierte. Und so weiter.
Zur jetzigen, ziemlich umstrittenen Reform „ihres“ Klimagesetzes hat die SPD-Ministerin bisher öffentlich nichts gesagt.
Wenn der Bundestag heute den Entwurf fürs neue Klimagesetz erstmals berät, ist Streit programmiert, vor allem auch um die Vorschrift, die Schulze so sehr lobte: die unmittelbare Verantwortung der Ministerien für Fortschritte im Klimaschutz.
Für sechs Bereiche – Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfall – listet das noch geltende Gesetz auf, wie viel Treibhausgas jeder der Sektoren in jedem Jahr bis 2030 ausstoßen darf.
Wird das CO2-Limit nachweislich gerissen, hat das zuständige Ministerium bisher ein Sofortprogramm vorzulegen, um die Überziehung auszugleichen. Nur gut ein halbes Jahr ist Zeit, um die Maßnahmen auszuarbeiten.
Nötige Verschärfungen auf die lange Bank geschoben
Nachsteuerung nennt sich dieser Vorgang. Er soll künftig zeitlich gedehnt werden, sogar ziemlich weit gedehnt.
In Zukunft soll es so laufen: Überzieht Deutschland in zwei aufeinanderfolgenden Jahren die erlaubte Gesamtmenge an Klimaemissionen, wird offiziell eine Zielverfehlung festgestellt. Die Regierung muss dann spätestens zum Ende des dritten Jahres ein angepasstes Klimaschutzprogramm vorlegen, mit dem sich die gesetzlichen Klimaziele einhalten lassen.
Für die Ampel könnte das einen famosen Zeitplan ergeben. Wird beispielsweise in den Jahren 2024 und 2025 das Klimabudget überzogen, muss erstmal gar nichts passieren. Erst Ende 2026 müsste ein verschärftes Programm vorliegen, das dann ab 2027 wirkt.
Regulär wird im Herbst 2025 der nächste Bundestag gewählt. Bis dahin verschafft sich die Ampel mit der Neuregelung also Ruhe bei der Klimapolitik. Allerdings verstreicht auch wieder Zeit ungenutzt.
„Es besteht die Gefahr, dass die Nachsteuerung so verzögert erfolgt, dass der nötige Klimapfad für 2030 nicht mehr zu erreichen ist“, kritisiert Michael Kalis vom Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (Ikem) den Gesetzentwurf.
Kalis ist Jurist und Mitautor einer jetzt veröffentlichen Studie zur Wirkung des Klimaschutzgesetzes, in Auftrag gegeben vom zivilgesellschaftlichen Bündnis Klima-Allianz Deutschland.
Bisherige Sektorziele werden weitgehend entwertet
Rein formal stehen die sechs Sektorziele weiter im Gesetz. Der jetzt oft zu hörende Vorwurf, die Ziele für die einzelnen Ressorts würden abgeschafft, entspricht nicht ganz den Tatsachen.
Als Maßstab, ob die Klimaziele für 2030 und die Folgejahre erreicht werden, sollen künftig aber nur noch die jährlichen Gesamtemissionen zählen. Entsprechend können die Emissionen der sechs Bereiche munter miteinander verrechnet werden – in der Annahme, dass irgendwo mehr CO2 eingespart wird, als das Sektorziel vorgibt, und sich damit Überziehungen in anderen Sektoren ausgleichen lassen.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Jörg Staude) 2023 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!