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„Das Auto ist ein Armutsmodell“

Heiner Monheim ist Professor für Raumentwicklung an der Universität Trier (Deutschland), engagiert sich in Bürgerinitiativen, seit er 16 ist, und studierte Soziologie, Geographie, Geschichte, Politik, Stadt- und Regionalplanung. Monheim war im Bundesministerium für Raumordnung und Bauwesen tätig, ist Mitgründer des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) und des Verkehrs Club Deutschland (VCD). Interview von Andreas Hobi mit Heiner Monheim

Seine teils kontroversen Ansichten werden dem Einen oder Anderen von euch sicher gefallen! 😉 So vertritt er zum Beispiel die Meinung “Je dümmer die Region – desto mehr Autos” und spricht von vergoldeten Bussen und Bahnen, wo man mit weissen livrierten Handschuhen begrüsst wird.

Wie werden wir uns künftig fortbewegen?

Monheim: Wir sind zwar vorne dran mit Appellen beim Klimagipfel, aber im Alltag bauen wir weiter wie wild Straßen und Parkhäuser und organisieren Rettungsprogramme für die Autoindustrie. Das führt in die Ineffizienz der Staugesellschaft, und die ist nicht sympatischer, wenn die Autos Elektromotoren haben. Auf den Globus projeziert hat die Autoindustrie Szenarien, wo in Kürze die Milliarde, 2020 auch zwei Milliarden erreicht werden sollen. Ein klassischer Grundsatz sozialdemokratischer Verkehrspolitik war: Nicht das Auto ist das Problem, sondern sein falscher Gebrauch. Dies ist ein fataler Irrtum: Das Auto ist das Problem. Viele Autos werden auch viel gebraucht, deshalb ist eine Zukunft nur denkbar mit viel weniger Autos.

Warum bekommen wir das nicht in den Griff?

Monheim: Es gibt Städte, die haben viel weniger Autoverkehr, meistens sind die Leute dort überdurchschnittlich klug und überdurchschnittlich reich. Das Auto ist ein Armutsmodell. New York hat ganz wenige Autos, Universitätsstädte haben wenige Autos. Das Ruhrgebiet hat viele Autos, das Saarland hat viele Autos. Je dümmer die Regionen sind, desto mehr Autobahnen und Autos. Das ist traurig, aber wahr, weil Beton das Hirn ziemlich vernebelt, und in den meisten politischen Gehirnen ist noch ganz viel Beton verarbeitet. Sie müssen warten, bis das Betonhirn ausgestorben ist, das ist die Tragik.

Haben Sie schon mal ein Betonhirn überzeugt?

Monheim: Ja, natürlich, ich kann Ihnen 200 bis 300 Superbeispiele aufzählen, wo lokal Dinge verändert werden. Keins ist das Paradies. Das klassische deutsche Beispiel ist Freiburg. Universitätsstadt, kluge Stadt, reiche Stadt. Es gibt einen hohen Fußgängerverkehr, hohen Fahrradverkehr, hohen öffentlichen Verkehr, und einen geringen Autoverkehr. Trotzdem investiert die Region gerade in das bescheuertste Projekt, das man sich vorstellen kann, einen Tunnel unter Freiburg. Das Übel der Straßenverkehrsplanung ist, es ist immer Wahnsinn mit Methode, es gibt keinen Weg zurück.

Wie kommen wir denn aus dem Stau raus?

Monheim: In Wien legt im Schnitt jeder Bürger 620 Fahrten mit öffentlichem Verkehr im Jahr zurück, damit sind sie Europameister. Vor 30 Jahren ist dort die Reichsbrücke in die Donau gestürzt, und als die weg war, verschwanden alle Staus aus Wien. Wenn immer Straßen verschwinden, verschwinden auch die Staus.

Aber sie verlagern sich ja nur.

Monheim: Nein, eben nicht, das ist das Interessante. Eine Kollegin hat 30 solcher Sonderfälle untersucht, und danach war immer das Ergebnis: Die Leute sind umgestiegen auf den öffentlichen Nahverkehr.

Welche Konzepte könnte sich Deutschland abschauen?

Monheim: Sie müssen Japan, Schweiz, die Niederlande und Dänemark miteinander kreuzen. In der Schweiz haben viele Leute Autos, aber sie nutzen viel öffentlichen Verkehr. Das ist eine Frage der Mobilitätskultur. Holland plant für 2012 als erstes europäisches Land eine landesweite Pkw-Maut mit vier Steuerungselementen. Erstens, große, stinkende Pkw zahlen mehr. Zweitens zahlt man mehr, wenn man zu Spitzenzeiten unterwegs ist. Punkt drei, wo besonders viel Verkehr ist, ist es besonders teuer, und viertens zahlen vier Menschen im Auto weniger als einer. Das ist Marktwirtschaft. Verkehr ist Zwangswirtschaft zum Wohle der Autoindustrie. Das geht schon damit los, wenn sie ein Haus bauen, müssen sie Parkplätze bauen, selbst, wenn sie gar kein Auto haben. Es gibt viele absurde Regelungen aus der Zeit, als es hieß, wir brauchen mehr Autos. Und keiner ändert das.

Wie machen das die Niederlande?

Monheim: Der Chef der Kommission war der Chef des niederländischen ADAC. Die Verkehrsministerin hat sich das klug ausgedacht. Während der ADAC hier eine Autolobby ist, ist er dort eher eine Mobilitätslobby.

Und was können wir von Japan lernen?

Monheim: Die Japaner haben den sparsamen Umgang mit Fläche verinnerlicht. Die Fahrbahnen sind schmaler, der Verkehr wird überwiegend über Niedriggeschwindigkeit organisiert, und sie haben eine restriktive Park- und Autozulassungspolitik. Sie dürfen in Ballungsräumen ein Auto nur kaufen, wenn sie es unterbringen können. Das ist oft zehn Kilometer von der Wohnung entfernt, deshalb ist Japan ein Land der Sonntagsfahrer. So wie wir das früher auch waren, in den 1950er Jahren, bis der Autoverkehr den Fußgängerverkehr ersetzte.

Wie sieht denn Ihre Vision aus?

Monheim: Wenn wir das ganze Geld nehmen, das wir zur Zeit ins Autosystem stecken, und neu verteilen für Fuß-, Fahrrad- und öffentlichen Verkehr: Dann können Sie vergoldete Busse und Bahnen mit Diamantnadeln vorne im Kühlergrill bezahlen, wo sie mit weißen livrierten Handschuhen begrüßt werden, und sie kriegen den Kaffee an den Platz gebracht.

Und wo wollen sie das ganze Geld sparen?

Monheim: Beim öffentlichen Verkehr fällt jedem das Stichwort Defizit ein. Aber das Defizit des Autoverkehrs beträgt 160 Euro pro Kopf und Jahr, nur auf kommunaler Ebene. Ich habe tausende Sitzungen mit Bürgermeistern und Landräten hinter mir. Da geht es um vier neue Busse in einer Kleinstadt, und wir kommen zu dem Ergebnis, das können wir uns nicht leisten. Dann kommt der Tagesordnungspunkt neues Parkhaus, das kostet zwölf Millionen und wird locker durchgewunken. Sie brauchen deutlich weniger Beton und Asphalt, sie können den Schilderwald weitgehend beseitigen, denn es fahren nicht primär Idioten durch die Gegend, sondern ausgebildete Menschen mit zivilisierter Fahrkultur. Wir könnten ein paradiesisches Verkehrssystem haben. Das ist öfters schon mal ausgerechnet worden, aber das darf man offiziell nicht.

Auch im Privaten ist vielen Leuten der öffentliche Verkehr zu teuer.

Monheim: Ja, aber der BMW hat 45.000 Euro gekostet. Dafür kann man sich zehn Jahre lang eine Bahncard 100 leisten.

Das hat ja sicher auch etwas mit Besitz zu tun. Die Bahn gehört uns nicht.

Monheim: Kann man aber so machen. In den Frühzeiten der Bahnblüte haben sich die Leute im wahrsten sinne des Wortes Abteile gekauft.

Wie erreichen wir, dass es wieder so wird?

Monheim: Nicht mit Verzichtsethik und moralischem Impetus, sondern nur, wenn wir die schöne neue Welt gut bebildern. Es gibt ja eine Reihe von Städten, die haben das schon ein bisschen hingekriegt. Das hängt ganz stark an Personen, die zentrale Frage ist die Psychologie. Jeden Tag gibt die Autoindustrie weltweit 240 Millionen Euro in Kommunikation zum Auto aus.

Wenn man solche Dinge weiß, warum ist es so schwer, die Leute zu überzeugen?

Monheim: Wir hauen uns Schlagwörter um die Ohren, sind in unseren Schützengräben vergraben. Das Thema ist hoch ideologisiert, und wir hören überhaupt nicht mehr zu. Es ist eine psychologische Frage, und dann kommt natürlich die Lobby-Geschichte, da stecken Abermilliarden drin. Und der öffentliche Verkehr ist in Deutschland extrem schlecht aufgestellt. Der durchschnittliche Manager ist selbst begeisterter Autofahrer.

Sie haben schon ein paar Mal Städte als Beispiele genannt. Wenn ich aber doch auf dem Dorf wohne und mich frei bewegen will, wie mache ich das?

Monheim: Das vergoldete Publicar holt sie ab. Aber wir sind alle argumentativ in der Pampa, tatsächlich sitzen wir in Städten und fahren Kurzstrecken. Argumentiert wird aber immer mit den armen Pendlern.

Haben Sie Hoffnung, dass es was wird?

Monheim: Natürlich. Lassen Sie die Staus noch dreimal so lang werden, irgendwann macht es keinen Spaß mehr. In der Wirtschaft hört man immer, Innovation und Effizienz sind wichtig. Der Verkehr ist das Gegenteil. Wahrscheinlich kommt die Innovation aus der Wirtschaft: wenn die Bosse ein neues Geschäft wittern.

Ist ihre Vision denn lukrativ?

Monheim: Diese neue Verkehrswelt, von der ich träume, hat mehr Arbeitsplätze als die alte. Komfortabler öffentlicher Nahverkehr, Leihfahrradsysteme, für das in Paris allein 4000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Mobilitätsservice, Sie bekommen in jedem Bus ihre Zeitung… Das kostet weniger als wir heute ausgeben und bringt sehr viel mehr als wir heute dafür kriegen: mehr Arbeitsplätze, mehr Lebensqualität und weniger Klimaschock.

Und wann dürfen wir uns darauf freuen?

Monheim: Ich fürchte, ich erleb’s nicht mehr, ich geh auf die 64 zu. Aber in diesem Jahrzehnt wird sich viel ändern, was die Holländer machen, wird Schule machen. Es gibt viel kommunale Intelligenz, die aber unter den widrigen Umständen eines Herrn Tiefensee oder Herrn Krause als Verkehrsminister steht. Das waren alles Betonköppe. Solange die Rahmensetzungen definiert sind von «was fehlt sind Autos», ist es schwer, Erfolg zu erzielen. Aber irgendwann sagen ein paar kluge Köpfe, das Geschäftsmodell ist am Ende, lasst uns ein neues Mobilitätsmodell erfinden. Irgendwann kommt das.

Heiner Monheim ist Professor für Raumentwicklung an der Universität Trier mehr

Er engagiert sich in Bürgerinitiativen, seit er 16 ist, und studierte Soziologie, Geographie, Geschichte, Politik, Stadt- und Regionalplanung. Er war im Bundesministerium für Raumordnung und Bauwesen tätig, ist Mitgründer des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) und des Verkehrs Club Deutschland (VCD).

Quelle

Andreas Hobi | „schweizweit.net“ 2011Das Interview wurde uns von „schweizweit.net“ zur Verfügung gestellt.

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