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Das Paris Protokoll oder „Der Klimakaiser ist ja nackt!“

Essay in Anlehnung an Hans Christian Andersen. Von Lutz Wicke

Das Märchen über „des Kaisers neue Kleider“ findet heute eindrucksvoll seine Parallele auf der Bühne der Weltklimapolitik. Alle Protagonisten aus Hans Christian Andersens Geschichte treten auf, wenn es um das sogenannte Paris Protokoll geht – jenes Dokument, das die Weltgemeinschaft in Frankreichs Hauptstadt Ende 2015 beschließen will, um die Erderwärmung zu stoppen. Zur Erinnerung noch einmal die Kurzfassung des eindrucksvollen Märchens:

Es handelt von einem eitlen Kaiser, der sich von zwei Betrügern neue Gewänder weben lässt. Die schlauen Lumpen machen ihm vor, ihre wunderbaren Kleider könnten nur jene sehen, die nicht dumm seien. Tatsächlich geben die Betrüger nur vor, zu weben. Aus Eitelkeit und innerer Unsicherheit tun der Kaiser und sein Hofstaat jedoch so, als wären auf den Webstühlen prächtige Stoffe zu sehen und der Herrscher lässt sich in die neuen Gewänder kleiden. Auch die Zuschauer bei einem festlichen Umzug schweigen verunsichert. Der Schwindel fliegt auf, als ein kleines Kind ruft, „der Kaiser ist ja nackt“! Das Wort verbreitete sich in der Menge und zuletzt ruft das ganze Volk die Wahrheit heraus. Der Kaiser aber entscheidet, dies aushalten zu müssen. Er und der Hofstaat setzen die peinliche Parade fort.

So nackt wie der Kaiser, eingekleidet in prächtige Gewänder, die nicht existieren, ist auch die gegenwärtige Klimapolitik. Und wie in Andersens Märchen liegt dies auch offen zutage: Der Klima-Vertrag, der derzeit für Paris vorbereitet wird, ist im Kern fehl konstruiert und kann sein Ziel, die Erderwärmung aufzuhalten, nicht erfüllen. Denn er setzt lediglich auf Absichtserklärungen der Nationen über unverbindliche Klimaschutzbeiträge. Diese „Intended Nationally Determined Contributions“ (INDCs) sind an kein globales Klimaziel gebunden. Auch nicht an jenes fest vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf eine Zunahme von maximal zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu beschränken. Was mit der Sammlung der Absichtserklärungen im Paris Protokoll allerdings gelingt ist: Der Öffentlichkeit wird der Eindruck vermittelt: „Alles wird gut, wenn genügend Staaten ausreichende Klimabeiträge anbieten.“

Genau wie im Märchen wissen alle verantwortlichen Politiker und Wissenschaftler, dass sich das Klima so nicht retten lassen wird. Ihre prächtigen Gewänder existieren gar nicht. Doch um dies nicht zugeben zu müssen, wird die hüllenlose Klimaparade Richtung Paris fortgesetzt, als wenn nur noch Details geklärt werden müssten. Und auch die ehrfurchtsvolle Masse verdrängt Selbstzweifel und schweigt oder lobt sogar jedes noch so kleine Hoffnungszeichen, um nicht in den Verdacht zu geraten, dumm oder zu pessimistisch zu sein. „The Show“ – oder der „Klimazirkus“, wie Franz Alt sagt – „must go on!“

Doch halt – ruft da nicht doch jemand? Hermann Ott, ehemals klimapolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag und heute am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie, hat den Schwindel bereits nach der letzten UN-Klimakonferenz in Lima angeprangert: „Warum steht denn keiner auf und brüllt: Der Kaiser ist ja nackt!“

Sein Ruf ist allerdings bislang ohne Reaktion geblieben. Dabei ist für jeden, der wirklich hinschaut, leicht Folgendes zu erkennen: Die Verantwortlichen der Weltklimapolitik, die Wissenschaftler, Diplomaten und Politiker, arbeiten an ihren Webstühlen an Maßnahmen, um die Klimakatastrophe zu verhindern. Sie müssen dabei aber – wie schon in der Vergangenheit beim Kyoto Protokoll – das Dilemma lösen, dass alle Vereinbarungen einstimmig beschlossen werden müssen, aber niemand sich ins eigene Fleisch schneiden will. Das zwingt sie auf einen kleinsten, gemeinsamen Nenner: Die INDCs. Nach den Worten von Hans Joachim Schellnhuber (PIK Potsdam) wird der „Klimaklingelbeutel“ herumgereicht, der mit Ankündigungen gefüllt wird: „Jeder gibt so wenig wie er kann“. Und wer sein Versprechen nicht erfüllt – wobei jede innen-, sozial- oder wirtschaftspolitische Veränderung in einem Land dazu führen kann – braucht keine Sanktionen zu fürchten.

Nun hat sich die Weltgemeinschaft mehrfach „versprochen“, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu beschränken und gefährliche Klimastörungen zu verhindern. Das Paris Protokoll aber folgt dem Motto: „Schau’n wir mal, ob und was dabei herauskommt.“ Noch mindestens bis 2030 bleibt der Klingelbeutel leer, weil mehr entnommen als reingelegt wird. Das hört sich flapsig und ironisch an – ist aber bittere Realität. Genauso wie es die Realität ist, dass deshalb das System voraussichtlich zu einer Erderwärmung von fast vier Grad bis 2100 führen wird, wie es der „Climate Action Tracker“, einem Think Tank europäischer Top-Klimainstitute vorausberechnet.

Und so handeln die verantwortlichen Klimapolitik-Weber hier – anders als die Betrüger im Märchen – zwar aus den besten Motiven heraus. Doch wer ihre Gewänder überwirft, bleibt nackt. Das vereinbarte Klimaziel wird um Längen verfehlt. Die zu erwartende Klimakatastrophe wird nicht verhindert. Und die etwa 20.000 Teilnehmer der Klimakonferenz in Paris müssten das genauso sehen wie überhaupt alle Klimaschützer weltweit. Doch wir scheinen alle derselben kollektiven Realitätsverweigerung zu unterliegen wie Kaiser, Hofstaat, Erzähler und Bevölkerung im Märchen.

Als wenn das Faktenverschleiern und der Schwindel über die Unwirksamkeit des INDC-Systems nicht schon genug wäre: Dem nackten Klimakaiser „Paris Protokoll“ wird von Politikern (so u.a. auch von Angela Merkel) und von Klimaaktivisten auch noch die „Krone“ eines „völkerrechtlich verbindlichen Klimaabkommens“ aufgesetzt. Damit wird der auf den entscheidenden Klimadurchbruch hoffenden Öffentlichkeit vorgegaukelt, mit dem Paris Protokoll würde etwas wirklich Klimaentscheidendes geschaffen. Falsch, völlig falsch: „Dank“ der INDCs wird in Paris völkerrechtlich verbindlich die größtmögliche Unverbindlichkeit in der Klimapolitik vereinbart. Passend bezeichnete unlängst der US-Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz die Verhandlungen über das Paris Protokoll als „Charade“ – was sich ins Deutsche passend zu Andersens Märchen mit „Farce“ übersetzen lässt – oder gar mit „Affentheater“ – , aufgeführt mit 20.000 Teilnehmern der Konferenz in Paris und vor Millionen weiterer Klimaschützer weltweit!

Was aber wäre, wenn wir endlich ehrlich zugeben würden, dass der Kaiser unbekleidet ist? Wir könnten und sollten mit der Pariser Klimaprozession fortfahren – schließlich dürften im Paris Protokoll auch wirklich wichtige Punkte wie das Zwei-Grad-Ziel, die finanziellen Ausgleichsmechanismen im Rahmen des Green Climate Fund und eventuelle „Loss and Damage“-Regelungen (erneut) fixiert werden. Und die internationale Klimapolitik braucht schließlich eine neue rechtliche Basis.

Nach Paris aber muss ein neues System zum Schutz des Klimas entwickelt werden – ein „Beyond Paris Protokoll“. Wahrscheinlich auf der Basis eines globalen Kohlenstoffpreises oder eines globalen Emissionshandelssystemes, wie das Stiglitz, Edenhofer, Stern, Schellnhuber, der Autor dieses Essays und andere vorschlagen. Auf jeden Fall aber ohne die hier beschriebenen elementaren „Klingelbeutel“-Schwächen des laufenden Kyoto- und des zukünftigen Paris Protokolls. Es wird leider Jahre dauern, bis ein solches neues System entwickelt und etabliert werden kann. Deshalb müssen wir sofort nach Paris damit beginnen, endlich Klima-Kleider zu weben, die uns tatsächlich vor der desaströsen Klimakatastrophe bewahren.

Vertiefte Informationen entnehmen Sie bitte dem wissenschaftlichen Grundsatzartikel in et – Energiewirtschaftliche Tagesfragen vom Juni 2015:
Mut zur Klima-Wahrheit: Zwischenlösung Paris Protokoll – Fokus auf 2025! Lutz Wicke und Markus C. Schulte von Drach

Prof. Dr. Lutz Wicke
Quelle

Prof. Dr. Lutz Wicke | Institut für UmweltManagement (IfUM) 2015  | Lutz Wicke ist Direktor des Instituts für UmweltManagement an der ESCP Europe Berlin.

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