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Deutschland fehlt eine Energieeffizienzpolitik

In Deutschland verbrauchen Haushalte und Industrie seit einigen Jahren weniger Energie. Von einer Kehrtwende kann aber keine Rede sein. Das geht hervor aus der im Juli vom Umweltbundesamt veröffentlichten Studie Energieeffizienz in Zahlen, die der Berliner Energieexperte Hans-Joachim Ziesing gemeinsam mit Forschern des Öko-Instituts und des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung erstellt hat. Im Interview erklärt der promovierte Volkswirt, wo es Effizienzfortschritte gab und was nötig ist, damit die Bundesregierung ihre Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele erreicht.

Herr Dr. Ziesing, der Energieverbrauch in den deutschen Privathaushalten sinkt seit dem Jahr 2000. Wie kommt das?

Viele Haushalte haben in effizientere Heizungen und eine bessere Wärmedämmung investiert. Außerdem ist Energie in den vergangenen Jahren deutlich teurer geworden. Das hat viele Menschen zum Energiesparen animiert. Man sollte diese Einsparungen aber nicht überschätzen. Wir verzeichnen keine drastische Wende der Energienachfrage und sind weit entfernt von dem, was langfristig nötig ist.

Was ist langfristig nötig?

Nehmen Sie den Altbaubestand in Deutschland. Nach dem Willen der Bundesregierung soll der klimaneutral werden. Technisch ist das möglich. Hievten wir den Gebäudebestand durch Sanierungen auf den Stand der aktuellen Energieeinsparverordnung, könnten schon 60 Prozent des Raumwärmeverbrauchs eingespart werden. Um zu Klimaneutralität zu kommen, reichen 60 Prozent nicht. Der verbleibende Energiebedarf muss deswegen nicht nur möglichst emissionsfrei gedeckt, sondern auch drastisch reduziert werden.

Sehen Sie weitere Möglichkeiten für mehr Energieeffizienz in den Haushalten?

Bei den Elektrogeräten etwa ist es so, dass davon immer mehr am Netz hängen, auch wegen des Trends zu Ein-Personen-Haushalten. Ich frage mich, ob jedes Gerät wirklich gebraucht wird. Der Gesetzgeber trimmt die Geräte zwar über Richtlinien auf mehr Effizienz. Das ist aber sehr schwerfällig und nicht sehr wirksam. Die Umsetzung dauert, die Verbrauchsgrenzwerte könnten höher sein. Hier wird deutlich, dass wir in Deutschland keine richtige Stromeffizienzpolitik haben. Da muss die Politik sich viel mehr kümmern, sonst wird sie ihre Klimaschutzziele verfehlen.

Was empfehlen Sie der Bundesregierung?

Das Ordnungsrecht in Gang setzen. Schon heute müssen Bauherren bei größeren Renovierungen in Altbauten bestimmte Verbrauchswerte einhalten, bei Neubauten sowieso. Die Vorgaben könnte die Politik sukzessiv verschärfen. Außerdem sollte sie den Immobilieneignern mehr finanzielle Anreize für energetische Sanierungen geben. Fünf Milliarden Euro jährlich, wie von der Deutschen Energieagentur vorgeschlagen, halte ich für angemessen. Sinnvoll wären auch bessere steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten von Sanierungskosten. Das blocken die Bundesländer aus Angst vor Einnahmeausfällen.

Wie steht es um die Energieeffizienz in der Industrie? In der Industrie verzeichnen wir Fortschritte, aber keine radikalen. Das ist je nach Sektor sehr unterschiedlich. Gerade Unternehmen der energieintensiven Industrie wie etwa Betonwerke versuchen steigende Energiekosten durch mehr Effizienz aufzufangen.

Hat der europäische Emissionshandel den Effizienzdruck auf die Industrie erhöht?

Noch nicht in ausreichendem Maße. Energiewirtschaftliche Konsequenzen gab es in den bisherigen Perioden des Emissionshandels noch zu wenig. Die Zertifikatspreise sind weiterhin niedrig. In der laufenden Handelsperiode gelten für Industrie und Elektrizitätswirtschaft noch vergleichsweise komfortable Regelungen, zumal es 2009 krisenbedingt in der Industrie zu einem deutlichen Rückgang des Energieverbrauchs wie der Emissionen gekommen ist, was zu einer spürbaren Überallokation beigetragen hat. Insofern sind da noch keine dramatischen Dinge passiert. Abzuwarten bleibt, wie es nach dem Jahr 2012 aussieht, wenn die Vorgaben zur CO2-Reduzierung steigen und die CO2-Rechte verstärkt versteigert werden. Noch wird die Industrie eher liebevoll behandelt.

Die Bundesregierung möchte mit den Einnahmen aus dem CO2-Handel künftig den Energie- und Klimafonds speisen. Mit dem Fonds soll auch Energieeffizienz gefördert werden. Reichen die Erlöse des CO2-Handels dafür?

Wenn ich mit einem CO2-Preis von zehn bis 15 Euro pro Tonne rechne, sind das vielleicht zwei bis drei Milliarden Euro im Jahr, bei steigenden CO2-Preisen mehr. Diese Summe wäre hilfreich, aber nicht die Lösung. Damit werden wir schon die energetische Sanierung des Gebäudestands nicht stemmen können. Deutschland fallen hier die niedrigen Klimaschutzziele der Europäischen Union auf die Füße. Hätte die sich nicht für eine 20-prozentige CO2-Senkung bis 2020 entschieden, sondern für das lange diskutierte Minus von 30 Prozent, hätten wir höhere CO2-Preise. Das 30-Prozent-Ziel wäre langfristig hilfreicher. Wenn der Europäische Rat den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent senken will, muss nach 2020 viel passieren, wenn bis dahin nur 20 Prozent geschafft wurden.

Wenn die Erlöse aus dem CO2-Handel nicht reichen – was schlagen Sie vor? Wir müssen parallel Märkte für Energieeffizienz schaffen, über die Einführung ‚Weißer Zertifkate’ nachdenken.

Anbieter von Energie würden in diesem Modell zum Kauf von Energiesparmaßnahmen verpflichtet, die sie bei ihren Kunden einlösen könnten.

Und dadurch entstünde eine Nachfrage nach Effizienz auf Seiten der Energieanbieter. Es muss nicht jeder Haushalt zum Energiesparen verpflichtet werden. Aber man muss die Versorgungsunternehmen einbinden, etwa über solche Modelle. Zu mehr Effizienz könnte außerdem die von der EU vorgelegte Energieeffizienzrichtlinie beitragen. Da hat aber leider das Bundeswirtschaftsministerium schon erheblichen Widerstand angemeldet. Ich halte das für einen groben Fehler.

Droht die Bundesregierung mit ihrem in der Nachhaltigkeitsstrategie festgelegten Energieeffizienzziel zu scheitern?

Die gesamtwirtschaftliche Effizienz stieg in den vergangenen Jahren zwischen 1,6 und 1,8 Prozent im Jahr. Mit der Nachhaltigkeitsstrategie strebt die Bundesregierung eine Verdopplung der Energieproduktivität bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 an. Das ist sehr ambitioniert, verlangt dies doch einen jährlichen Effizienzschub von mindestens drei Prozent, ab sofort. Je länger wir mit einer ehrgeizigen Effizienzpolitik warten, desto mehr müssen wir später zulegen. Das wird nicht günstiger. Die vielen liebenswürdigen, kleinen Effizienzmaßnahmen der Bundesregierung sind zwar willkommen. Sie reichen aber bei Weitem nicht zum Erreichen ihres Ziels, die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Deswegen sollte die Bundesregierung verstärkt marktwirtschaftliche Instrumente entwickeln, höhere finanzielle Anreize setzen und über ein schärferes Ordnungsrecht nachdenken.

Quelle

Rat für Nachhaltige Entwicklung 2011

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