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Die Ampel zerfällt beim Klimaschutz

Statt wie geplant ein umfassendes Klimasofortprogramm für 2022 vorzulegen, haben die verantwortlichen Ampel-Ressorts heute getrennte Sofortmaßnahmen für Verkehr und Gebäude vorgestellt. Schnelle und spürbare CO2-Einsparungen sind in beiden Bereichen nicht in Sicht.

Klimapolitisch zerfällt die Ampel-Koalition vor der Sommerpause. Der Plan war eigentlich, spätestens heute das umfassende Klimaschutz-Sofortprogramm 2022 vorzulegen. Von dem kursieren seit Anfang April hundert Seiten starke Entwürfe in den Medien.

In das ambitionierte Gesamtprogramm sollten auch die Maßnahmen einfließen, die heute laut Klimaschutzgesetz für Verkehr und Gebäude zu verkünden waren. Denn beide Bereiche hatten 2021 ihr vorgegebenes Klimabudget überzogen – die Gebäude um zwei Millionen und der Verkehr um 3,1 Millionen Tonnen CO2.

Doch der Plan der Ampel scheiterte. Der Abstimmungsprozess zum Klima-Sofortprogramm sei bis zum 13. Juli noch nicht abgeschlossen, stand am heutigen Mittwoch im Gebäude-Maßnahmenkatalog zu lesen.

Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen bestätigte gegenüber den Medien, dass die Diskussionen um das Gesamtprogramm zwischen den betreffenden Ministerien noch andauern. Deswegen legten Wirtschafts- und Bauressort jetzt ein Sofortprogramm allein für Gebäude vor.

In dem klimapolitisch besonders trägen Sektor wirken Maßnahmen oft nicht sofort. Zudem sind nicht nur die zwei Millionen Tonnen Überziehung auszugleichen, sondern das CO2-Budget für Gebäude im Klimagesetz sinkt auch weiter.

Deswegen rechnet Graichen damit, dass sich bis Mitte der 2020er Jahre gewissermaßen ein „Emissionsberg“ aufbaut, der dann bis 2030 wieder abgetragen werden muss.

Heute überziehen, morgen einsparen

Graichen bezifferte die gesamte Überziehung des CO2-Budgets bei den Gebäuden auf rund 150 Millionen Tonnen. Mit den jetzt beschlossenen Maßnahmen könne der Bereich dann etwa 2026 oder 2027 wieder auf dem Pfad sein, um 2030 eine Punktlandung hinzubekommen. In den folgenden Jahren werde man noch überziehen und dafür später mehr einsparen, beschrieb Graichen das geplante Vorgehen.

Hauptmittel soll dabei, wie schon vorher kolportiert wurde, ein Verbot des Einbaus neuer Gasheizungen schon ab 2024 sein. Konkret steht das Verbot allerdings nicht im Sofortprogramm, sondern nur indirekt. So soll mit einer Novelle des Gebäudeenergiegesetzes festgeschrieben werden, dass ab Anfang 2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll – und das geht dann nicht mehr mit Gas, klammert man Biogas einmal aus.

So ein faktisches Verbot wäre wirksam, denn gegenwärtig wird immer noch bei jedem dritten neuen Gebäude und bei drei von vier bestehenden Gebäuden fossil betriebene Heizsysteme eingebaut, vor allem Erdgas-Kessel, so steht es im Sofortprogramm zu lesen. Auch der Erneuerbaren-Anteil an der Gebäudewärme stagniere mehr oder weniger auf einem sehr niedrigen Niveau – 15 Prozent waren es im Jahr 2021.

Graichen wies am Mittwoch darauf hin, dass der Gebäudesektor zwar bis 2030 sein CO2-Budget voraussichtlich um jene 150 Millionen Tonnen überziehen wird – im Verkehrssektor liege aber die Differenz zwischen dem heutigen Stand und dem Ziel für 2030 sogar bei 270 Millionen Tonnen. Mit dieser Menge liegt der Verkehr, vereinfacht ausgedrückt, über dem Budget des Klimagesetzes.

Das, betonte Graichen, sei die eigentliche Frage – und nicht die, wie die Emissionen des vergangenen Jahres aussehen.

Wissing setzt auf Homeoffice und klimaneutralen Sprit

Die langfristige Überziehungs-Perspektive interessiert Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) aber offenbar wenig. Sein Ressort konzentrierte sich beim Sofortprogramm darauf, die letztjährige Überschreitung von 3,1 Millionen Tonnen auszugleichen – und das nicht in diesem oder im nächsten Jahr, sondern bis 2030.

Als wichtigstes Mittel, um bei den CO2-Emissionen wieder ins Lot zu kommen, sieht das Verkehrsressort den Ausbau digitaler Arbeitsformen an. Der durch Corona ausgelöste Digitalisierungsschub – Arbeiten zu Hause statt im Büro – soll durch unter anderem durch gesetzliche Grundlagen fürs mobile Arbeiten verstärkt werden, heißt es in Wissings Sofortprogramm.

Eine zweite Maßnahme ist, die Treibhausgas-Minderungsquote um einen Prozentpunkt bis 2030 zu erhöhen. Bei der umstrittenen Quote muss die Mineralölindustrie nachweisen, dass sie fossile durch klimaneutrale Kraftstoffe ersetzt und so CO2 spart. Die Ölbranche kann sich dabei den Einsatz von Biomethan oder E-Ladestrom mehrfach als CO2-Einsparung anrechnen.

Diese Wege nennen sich „Erfüllungsoptionen“. Wissing will sie nun erweitern: um strombasierte Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, und noch mehr „fortschrittliche Biokraftstoffe“. Letzteres ist Agrosprit, der aus Rest- und Abfallstoffen hergestellt wird.

Insgesamt soll das Maßnahmenpaket im Verkehr bis 2030 um die 13 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Damit wären zwar die Mehremissionen von 2021 rechnerisch ausgeglichen, der Sektor würde aber weiterhin seine CO2-Ziele bis 2030 krachend verfehlen.

„Wir brauchen ehrliche, kurzfristig wirksame Maßnahmen“

Für Jürgen Resch, den Chef der Deutschen Umwelthilfe, ist der Maßnahmenplan des Verkehrsministers denn auch ein „Offenbarungseid der FDP“. Wissing wolle über nicht vorhandene „klimafreundliche Kraftstoffe“ Millionen Tonnen CO2 einsparen. „Wir brauchen ein Ende der Taschenspielertricks und den Einstieg in ehrliche, kurzfristig wirksame Maßnahmen“, sagte Resch. Davon finde sich nichts im Programm.

Resch kritisiert aber auch SPD und Grüne. Die Ampel-Partner akzeptierten weiterhin die „faktische Richtlinienkompetenz“ der FDP im Klimaschutz. Resch: „Es reicht nicht, die Menschen zum Kaltduschen aufzufordern.“

Auch Grünen-Fraktionsvize Julia Verlinden zeigte sich am Mittwoch unzufrieden mit Wissings Vorlage. Seit April sei bekannt, dass die Verkehrsemissionen – trotz pandemiebedingt reduzierter Mobilität – nicht auf dem Zielpfad seien.

„Ob die heute vom Verkehrsminister Wissing vorgelegten Maßnahmen diesen Sektor wieder auf Kurs mit den vereinbarten Klimaschutzzielen bringen, ist mehr als fraglich“, sagte Verlinden. Auch für sie zeigen die eher langfristig ausgerichteten Vorhaben, dass die Dringlichkeit beim Klimaschutz immer noch verkannt werde.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Jörg Staude) 2022 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

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