Ein Jahr GroKo – Kabinett Merkel zu träge beim Umweltschutz
Mit Blick auf ein Jahr Große Koalition geht es aus NABU-Sicht in wichtigen Bereichen des Umweltschutzes viel zu langsam voran.
Die schwarz-rote Koalition unter Kanzlerin Merkel ist insgesamt zu träge in Umweltbelangen und muss deutlich mehr Tempo beim Schutz von Arten und Lebensräumen, beim Klimaschutz, in der Verkehrspolitik und bei Maßnahmen gegen Ressourcenverschwendung an den Tag legen. Europaweit ist Deutschland Bremser statt Vorreiter im Umweltschutz.
„Insektenschwund, Klimakrise, Plastik- und Verpackungsflut dulden keinen Aufschub. Kanzlerin Merkel und die meisten ihrer Ministerinnen und Minister haben offenbar nicht erkannt, wie wichtig der Umweltschutz für unser Überleben ist. Wenn überhaupt etwas passiert, dann nur als Reaktion auf Gerichtsurteile und gesellschaftlichen Druck“, sagte NABU-Präsident Olaf Tschimpke. An erster Stelle muss die Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik stehen, die derzeit in Brüssel verhandelt wird. Die Verteilung der knapp 60 Milliarden Euro Agrarsubventionen im Jahr, 114 Euro pro Bürger, kann zum Rettungsanker oder aber Todesurteil für Insekten und Feldvögel werden. Doch die Bundesregierung steckt den Kopf in den Sand, während andere EU-Regierungen vorangehen. Die guten Vorschläge von Bundesumweltministerin Schulze für ein „Aktionsprogramm Insektenschutz“ sowie das ebenfalls im Koalitionsvertrag stehende Klimaschutzgesetz drohen in den Ressortabstimmungen mit dem Agrar-, Wirtschafts- oder Verkehrsministerium verwässert oder gänzlich kassiert zu werden.
„Mal wieder fehlt beim Klimaschutz ein Machtwort von Bundeskanzlerin Merkel. Denn bisher weigern sich die verantwortlichen Minister aus den Unionsreihen, ihren Job zu machen“, so Tschimpke. Verkehrsminister Andreas Scheuer, Wirtschaftsminister Peter Altmaier, Agrarministerin Julia Klöckner und Bauminister Horst Seehofer würden das im Koalitionsvertrag vereinbarte Klimaschutzgesetz blockieren und blieben bisher konkrete Maßnahmen schuldig, die in ihren Bereichen zu messbaren CO2-Einsparungen führen. Es sei fraglich, ob Merkel überhaupt noch das Ruder rumreißen kann, um die Union wieder auf Klimaschutz-Kurs zu bringen.
Klöckner und Scheuer haben beim Umweltschutz bisher wenig zu bieten. Im Gegenteil: Julia Klöckner hat ihre Chance verpasst, das traditionell blockierende Agrarministerium zu einem „Lebensministerium“ zu machen. Sie hält stur am althergebrachten Modell der Agrarpolitik fest, das Steuergeld verschwendet und für die Natur nachteilig ist. Sie verteidigt die pauschalen Direktzahlungen, die Fläche statt Leistung belohnen. Und das, obwohl selbst ihr wissenschaftlicher Beirat zu einer schnellen Abkehr von diesem Modell rät.
„Ich erwarte von Frau Klöckner beim EU-Agrarrat Mitte März endlich klare Vorschläge und ein vehementes Eintreten für eine naturverträgliche Agrarpolitik. Während Frankreich und die Niederlande Mindestbudgets für die Umweltförderung vorschlagen, hat das Agrarministerium hier nichts im Angebot“, so der NABU-Präsident. Der NABU fordert Angela Merkel und Finanzminister Olaf Scholz zum Eingreifen auf: Bei den EU-Haushaltsverhandlungen der Regierungschefs müssen sie dafür sorgen, dass jährlich 15 Milliarden Euro zweckgebunden für die Naturschutzförderung werden. Zwar hat Julia Klöckner für das Verbot dreier bienenschädlicher Neonikotinoide gestimmt, doch sind Mittel dieser Insektizidklasse weiterhin auf dem Markt. „Frau Klöckner wird ihrem Ausspruch bei Amtsantritt ‚was der Biene schadet, muss vom Markt‘ bislang nicht gerecht. Es fehlt eine Strategie zur Pestizid-Reduktion“, so Tschimpke.
Alleine in Deutschland fehlen nach Angaben der Bundesregierung jährlich fast eine Milliarde Euro für das Erreichen der EU-Naturschutzziele. Schon jetzt laufen 16 Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland wegen Umwelt-Defiziten. Der Möchtegern-Musterschüler schiebt wichtige Naturschutzmaßnahmen auf die lange Bank, wie die Sicherung der Natura-2000-Gebiete. Beim Gewässerschutz müssen Bund und Länder eine erhebliche Schippe drauflegen, um zu zeigen, dass sie die EU-Vorgaben ernst nehmen. Ein guter Schritt dazu ist das Bundesprogramm Blaues Band, eine gemeinsame Initiative des Bundesumwelt- und des Bundesverkehrsministeriums, das nun mit Leben gefüllt werden muss.
Auch in der Debatte um den Umgang mit dem Wolf konnten sich Bundesumweltministerium und Bundesagrarministerium nicht einigen. Ein vielversprechender Antrag der GroKo zum bundesweiten Wolfsmanagement aus dem vergangenen Jahr blieb auf der Strecke. Insbesondere das Agrarministerium geht stattdessen eigene Wege und zeigt sich alles andere als lösungsorientiert. Ministerin Klöckner beharrt weiterhin auf rechtswidrigen und sinnlosen Forderungen nach Bejagung, anstatt sich endlich für den Herdenschutz und damit für ihr eigenes Klientel der Weidetierhalter einzusetzen. An sorgfältigem, fachgerechten Herdenschutz mit bundeseinheitlichen Standards führt aus NABU-Sicht kein Weg vorbei.
Minister Scheuer muss erklären, wie die CO2-Emissionen im Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 um 42 Prozent im Vergleich zu 1990 gemindert werden können und welchen Beitrag sein Ressort zum Klimaschutzgesetz leisten wird. „Allein mit ein bisschen Verkehrslenkung, veränderter Ampelschaltung und einer neuen Mobilitäts-App wird das kaum gelingen“, so Tschimpke. Der NABU fordert eine deutliche Reduzierung des Individualverkehrs bei gleichzeitiger Umstellung auf elektrische Antriebe auf Basis erneuerbarer Energien. Ebenso ist es dringend nötig Bus-, Bahn- und Radverkehr erheblich zu verbessern, so dass der Umstieg auf diese umweltverträglichen Verkehrsträger möglich und attraktiv wird.
Beim Ressourcenschutz ist ein Schritt erfolgt. Der im November veröffentlichte 5-Punkte-Plan des Bundesumweltministeriums „Nein zur Wegwerfgesellschaft“ liefert erste gute Ansatzpunkte, um den Plastik- und Verpackungsmüll zurückzudrängen. Dazu gehören die Förderung von Leitungswasser als Trinkwasser oder die Ankündigung einer bundesweiten Recyclat-Initiative. Der Plan muss nun in der Praxis wirken, vor allem auch durch die konsequente Förderung von Mehrweglösungen und Abfallvermeidung. Hier müssen Handel und Industrie bis Herbst Angebote vorlegen, sonst sind gesetzliche Maßnahmen notwendig.