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Ein wegweisendes BVerfG-Urteil für die Windkraft – und ausgerechnet der BWE kritisiert

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat erneut Klimaschutz und erstmals auch die Bürgerenergien erheblich gestärkt.

In der Begründung des jüngsten Urteils ist die Bedeutung der Erneuerbaren Energien für die „legitimen Gemeinwohlziele[n] des Klimaschutzes (Art. 20a GG), des Schutzes der Grundrechte vor den nachteiligen Folgen des Klimawandels und der Sicherung der Stromversorgung“ klar hervorgehoben. „Dies dient zugleich der verfassungsrechtlichen Pflicht, Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie das Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) auch durch eine Verringerung des Ausstoßes von CO2 vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen“, so das Gericht.

Insbesondere um die Akzeptanz für Erneuerbare Energien in der Gesellschaft zu stärken, die gerade bei der Windkraft in den letzten Jahren gelitten hat, hat das BVerfG die wichtige Rolle der Bürgerenergien und kleinteiligen Investitionen erkannt und mit diesem Urteil sogar massiv gestärkt. Dies ist besonders bedeutsam, weil in der öffentlichen Debatte in den Medien, im Bundestag, in den kommunalen Gremien und der öffentlichen Verwaltung, die teilweise in der Bevölkerung vorhandenen Inakzeptanzen akzeptiert wurden und häufig sogar zur Grundlage für die Anlehnung besserer Gesetze oder konkreter Genehmigungen vor Ort ausgenutzt wurden – und dies, obwohl doch von wissenschaftlichen Untersuchungen und aus der Praxis bekannt ist, dass eine lokale Verankerung von Projekten einhergeht mit starker Unterstützung vor Ort.

Ab sofort können Betreiber von Windkraftanalagen auch vom Landesgesetzgeber gesetzlich dazu verpflichtet werden, Bürger*innen und Kommunen im Umkreis finanziell zu beteiligen, um so die dringend erforderliche Akzeptanz für Windkraft an Land zu erhöhen. Dieses phänomenale Urteil des BVerfG ist wegweisend und zugleich überaus bedeutsam für den weiteren Ausbau von Erneuerbaren Energien und damit auch für weltweiten Klimaschutz.

Dieses Urteil steht damit diametral entgegen politischen Handlungen anderer Landesregierungen, die lautstarke Proteste von kleineren Teilen der Bevölkerung gegen Windkraft mit der Begründung der Inakzeptanz genutzt haben, um großflächige Verhinderungen des Baus von Windkraftanlagen zu verordnen, so wie in Bayern das 10H-Gesetz oder in NRW der 1000-Meter-Abstand. Im Sinne des Geistes des jüngsten BVerfG-Urteils hätten Bayern und NRW schon 2016 wie Mecklenburg-Vorpommern besser Gesetze zur Bürgerbeteiligung erlassen sollen, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen, statt mit Abstandsverbotsgesetzen den Klimaschutz und den Ausbau der Erneuerbare Energien zum Schaden des Gemeinwohles massiv zu behindern.

Hintergrund des Urteils ist, dass in Mecklenburg-Vorpommern ein Windkraftbetreiber, der dort acht neue Windräder bauen wollte, Verfassungsbeschwerde erhoben hat gegen das in dem windträchtigen Bundesland seit 2016 geltende Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz (BüGembeteilG). Laut dem Landesgesetz in Mecklenburg-Vorpommern sind die Betreiber von Windenergieanlagen dazu verpflichtet, Windparks über eine extra dafür gegründete Projektgesellschaft zu betreiben und Anwohner*innen und Gemeinden im Umkreis von fünf Kilometern mit mindestens 20 % an deren Ertrag zu beteiligen. Dies kann entweder durch den Erwerb von Unternehmensanteilen oder durch den Erwerb von Sparprodukten erfolgen.

Dass ausgerechnet ein Windkraftbetreiber gegen eine Regelung der Akzeptanzschaffung für sein Gewerbe klagte, ist nur mit Kopfschütteln zu betrachten. Sind doch gerade Windkraftbetreiber darauf angewiesen, eine hohe Akzeptanz in der örtlichen Bevölkerung ihres Projektes zu haben, damit Bau und Genehmigung erleichtert werden und keine Klagen dagegen erhoben werden. Viele weitsichtigere Unternehmen beteiligen die Menschen dagegen sogar freiwillig und haben damit gute Erfahrung gemacht.

Geklagt hatte das Unternehmen aus Mecklenburg-Vorpommern, da das Landesgesetz aus seiner Sicht seine Berufsfreiheit verletzen würde und das Bundesland ferner – so argumentierte das Unternehmen – nicht die Kompetenz zum Erlass eines solchen Gesetzes hätte.

Diese Klage wies der Erste Senat des BVerfG nun entschieden zurück und erklärt: „Das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz ist formell und überwiegend auch materiell verfassungsgemäß.“

Ferner ist die „Gesetzgebungskompetenz des Landes“ gegeben und durch die Pflicht zur Gründung von Projektgesellschaften und finanziellen Beteiligung von Bürger*innen und Gemeinden wird das Grundrecht auf Berufsfreiheit nicht eingeschränkt.

Die weitreichende Bedeutsamkeit des BVerfG-Urteils liegt dabei nicht nur in dem Beschluss selbst, sondern vor allem in der Begründung dieser Entscheidung.

Denn zum einen begründet das BVerfG seinen Beschluss auf hervorragende Weise mit der essenziellen Notwendigkeit des Klimaschutzes:

„Unmittelbarer Zweck dieser Pflichten ist die Verbesserung der Akzeptanz für neue Windenergieanlagen an Land zur Förderung des weiteren Ausbaus dieser erneuerbaren Energie. Damit dient das Gesetz – wie jede Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien – den legitimen Gemeinwohlzielen des Klimaschutzes (Art. 20a GG), des Schutzes der Grundrechte vor den nachteiligen Folgen des Klimawandels und der Sicherung der Stromversorgung. Der klimaschädliche Ausstoß von CO2 verringert sich in dem Maße, in dem die herkömmliche Stromerzeugung auf erneuerbare Energien umgestellt und der Verbrauch fossiler Energieträger in anderen Sektoren wie Verkehr, Gebäude oder Industrie durch Strom aus erneuerbaren Energien oder durch unter Verwendung solchen Stroms erzeugte „grüne“ Energieträger wie zum Beispiel Wasserstoff ersetzt wird. Dies dient zugleich der verfassungsrechtlichen Pflicht, Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie das Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) auch durch eine Verringerung des Ausstoßes von CO2 vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen.“

Auch wenn das BVerfG darauf eingeht, dass „der Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger eine beträchtliche Intensität“ aufweist, stehe dies laut BVerfG in keinem Verhältnis zur Dringlichkeit der mit den Pflichten verbundenen Gemeinwohlzwecken des Klimaschutzes:

„Die damit verfolgten Gemeinwohlziele des Klimaschutzes, des Schutzes von Grundrechten vor Beeinträchtigungen durch den Klimawandel und der Sicherung der Stromversorgung sind hinreichend gewichtig, um den mit der Beteiligungspflicht verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger aus Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigen zu können.“

Zweitens wird im Rahmen des Beschlusses deutlich, dass es insbesondere die Kleinteiligkeit und Dezentralität von Maßnahmen ist, die in Summe zur Erreichung des 1.5-Grad-Ziels führen:

„Gerade weil der Klimawandel durch zahlreiche, für sich genommen oftmals geringe Mengen an Treibhausgasemissionen verursacht wird, kann er auch nur durch Maßnahmen zur Begrenzung all dieser Emissionen angehalten werden. Es liegt hier in der Natur der Sache, dass einzelnen Maßnahmen für sich genommen nicht die allein entscheidende Wirkung zukommt. Weil der Klimawandel aber nur angehalten werden kann, wenn all diese vielen, für sich genommen oft kleinen Mengen von CO2-Emissionen lokal vermieden werden, kann einer einzelnen Maßnahme nicht entgegengehalten werden, sie wirke sich nur geringfügig aus.“

Drittens verdeutlicht der Beschluss die zentrale Rolle der Bürgerenergie für die Akzeptanz der Energiewende innerhalb der deutschen Bevölkerung:

„Offenkundig stößt der Ausbau der Windenergie an Land auf Akzeptanzprobleme. Diese sind nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Einschätzung des Gesetzgebers dort geringer, wo Windenergie durch lokal verankerte, auf das einzelne Projekt bezogene Gesellschaften unter kommunaler und bürgerschaftlicher Teilhabe erzeugt wird. Das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz sichert mit entsprechenden Verpflichtungen der Vorhabenträger eine bürgerschaftliche und kommunale Teilhabe an lokalen Projekten zur Erzeugung von Windenergie erstmals hoheitlich auch dort, wo sie eigeninitiativ nicht zustande kommt. Das Gesetz kann daher als Modell für vergleichbare Regelungen zur Sicherung einer akzeptanzsteigernden bürgerschaftlichen und kommunalen Beteiligung am Ausbau der Windenergie dienen.“

Angesichts dieses wegweisenden BVerfG-Urteils für den Klimaschutz ist die Kritik des Bundesverbands Windenergie (BWE) vollkommen unverständlich und irritierend. Anstatt das Urteil des Ersten Senats als Steilvorlage für den rapiden Ausbau von Erneuerbaren Energien zu nutzen, meint Geschäftsführer Wolfram Axthelm:

„Das Urteil enttäuscht. Damit bleibt der Dissens zwischen unterschiedlichen, den Wettbewerb verzerrenden Landesregelungen bei einem gleichzeitig bundeseinheitlichem Ausschreibungssystem bestehen. Diesen Dissens hat das Bundesverfassungsgericht rechtlich nicht aufgelöst. Hier bleibt die Politik gefordert. Es gibt eine bundeseinheitliche Regelung zur Beteiligung. Es gilt zu vermeiden, dass parallel erlassenes Landesrecht den notwendigen, zügigen Ausbau der Windenergie blockiert.“

Offensichtlich hat der BWE im Gegensatz zum BVerfG nicht verstanden, dass man nur mit dem schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien – und dafür braucht es nämlich massenhafte bürgerliche Aktivitäten – zur Erreichung des 1.5-Grad-Ziels kommt.

Dass der BWE diese Stellungnahme kundgibt, ist in zweierlei Hinsicht entlarvend: Offensichtlich ist es ihm wichtiger, abstrakt einen bundesweiten Wettbewerb in einem verfehlten und die bürgerliche Akzeptanz vernichtenden Ausschreibungssystem aufrecht zu erhalten, statt schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie Akzeptanzverbesserung in der Gesellschaft dafür zu unterstützen.

In einer Studie im Auftrag der Energy Watch Group vom Dezember 2020 wurde bereits nachgewiesen, dass die unter den Merkel-Regierungen eingeführten Ausschreibungen genau wegen der Verringerung der Beteiligungsmöglichkeiten der örtlichen Akteure zu immer größerer Inakzeptanz vor Ort – insbesondere bei der Windkraft – führte, was den Ausbau der Erneuerbaren Energien insgesamt massiv dezimierte. So ist der Ausbau der Windkraft an Land in Deutschland von ca. 5,5 GW im Jahr 2017 nach der Umstellung auf Ausschreibungen auf unter 1 GW im Jahr 2019 gesunken. Die Investitionsflaute hält heute noch an – zum Nachteil des Gemeinwohls Klimaschutz.

Es ist bezeichnend, dass die führenden Verbände der Erneuerbare-Energien-Branche – BWE, BEE, BSW und Fachverband Biogas – sich nie offensiv zur Abschaffung der Ausschreibungen an die Politik gewandt haben, so wie sie deren Einführung achselzuckend hinnahmen. Sie haben damit die immer größer werdenden Inakzeptanzen in der Gesellschaft mit geschehen lassen und so den Niedergang des Ausbaus der Erneuerbaren Energien mitzuverantworten. Das reine Beklagen von Inakzeptanzen in der Gesellschaft reicht eben nicht aus.

Bis heute gehen sie das verfehlte Instrument, das die Kraft der Bürgerenergien limitiert, nicht an. Stattdessen akzeptieren sie es.

Damit reihen sich die Verbände ein in das Konzert derjenigen, die den Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv begrenzen, weil sie die Ursache der Akzeptanzverringerung in der Gesellschaft, die Umstellung auf Ausschreibungen und damit die Umstellung auf Großfinanzstrukturen mitmachen – anstatt auf die enorme Kraft bürgerlicher Investitionen zu setzen. Sie haben nicht begriffen, wie wichtig die Bürgerenergien für die Entfesselung und Mobilisierung unserer Gesellschaft für die Energiewende sind.

Und die BWE-Kritik am BVerfG-Urteil geht eben genau in diese Richtung. Sie zeigt, dass auch der BWE nicht verstanden hat, wie wichtig die Bürgerenergien sind. Stattdessen schützt er die Geschäftsmodelle seiner Mitglieder aus den Großfinanzstrukturen.

Quelle

Hans-Josef Fell 2022Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG

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