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Energiecharta-Vertrag: Austritt unausweichlich

Bereits eine Million Menschen haben in Europa eine Petition gegen den Energiecharta-Vertrag unterschrieben. Verhandlungen Anfang März für eine Reform brachten jedoch Ernüchterung. Ein Austritt mehrerer Staaten scheint die einzige Lösung zu sein.

Anfang März fanden erstmals in diesem Jahr Verhandlungen für eine Reform des Energiecharta-Vertrages statt. Der luxemburgische Energieminister Claude Turmes äußerte nach der Verhandlungsrunde am sechsten März via Twitter jedoch sein großes Bedauern, dass bislang keine Fortschritte für eine Reform des Energiecharta-Vertrages erzielt wurden. Neben Luxemburg setzen sich auch weitere europäische Staaten wie Frankreich, Spanien, Österreich, die Niederlande und Belgien für eine Reform des Energy-Charter-Treaty – kurz ECT – ein.

Der Vertrag wurde ursprünglich geschlossen, um Investitionen westlicher Konzerne in den ehemaligen Ostblockstaaten anzuregen und abzusichern. Konzerne können so Staaten vor eigens geschaffenen Schiedsgerichten verklagen, wenn sie enteignet werden. Als Enteignung gilt bereits, wenn ein Staat neue Regeln aufsetzt, die die Investitionsbedingungen verschlechtern. Bereits im letzten Jahr gab es mehrere Verhandlungsrunden für eine Reform des ECT – ohne Ergebnis. Inzwischen wächst jedoch der Druck.

Neben einigen europäischen Mitgliedsstaaten spricht sich auch das EU-Parlament in einem gemeinsamen Beschluss dafür aus, dass der Schutz von Investitionen in fossile Brennstoffe im Rahmen der Modernisierung des Vertrags über die Energiecharta beendet werden sollte.

Druck auf die Verhandlungen übt ebenfalls ein breites zivilgesellschaftlichen Bündnis in Europa aus. Ende Februar setzten sie eine Petition auf, mit dem Aufruf an EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten den Energiecharta-Vertrag zu stoppen. Und die Resonanz ist riesig: Nach zwei Wochen haben schon über eine Million Europäer die Petition unterzeichnet. In Deutschland tragen unter anderem urgewald und campact die Petition. Sonja Meister von urgewald sagte dazu: „Dieser Vertrag schützt in hochgefährlicher Weise fossile Infrastruktur europaweit im Wert von fast 350 Milliarden. Dies entspricht auf die Einwohnerzahl umgerechnet in Deutschland 671 Euro pro Kopf.“

„Die Verhandlungen konzentrierten sich auf kleine Detailpunkte und ignorierten den Elefanten im Raum völlig.“ Anna Cavazzini, Europaabgeordnete der Grünen/EFA

Doch aus der letzten Verhandlungsrunde der 51 Staaten, die Teil des ECT sind, ging nur ein kurzes Kommuniqué hervor, in dem dringend nötige Reformen nicht aufgeführt wurden. Anna Cavazzini, Abgeordnete der Grünen/EFA in der EU, leitet eine Beobachtergruppe zu den ECT-Verhandlungen im Handelsausschuss des Europaparlaments und sagte auf Anfrage der energiezukunft: „Die Verhandlungen konzentrierten sich auf kleine Detailpunkte und ignorierten den Elefanten im Raum völlig: den anhaltenden Schutz von Investitionen in fossile Brennstoffe und schmutzige Energie.“

Zuletzt verklagte RWE die Niederlande, wegen des dort beschlossenen Kohleausstiegs bis 2030, auf Schadensersatz von bis zu zwei Milliarden Euro. Nach Ansicht des Energiekonzerns würde der Kohleausstieg hohe Verluste bedeuten, da RWE Kohlekraftwerke in den Niederlanden früher als geplant abschalten müsste.

Auch Deutschland ist betroffen. Wegen des beschlossenen Atomausstiegs verklagte der schwedische Energiekonzern Vattenfall Deutschland auf Schadenersatz von 4,7 Milliarden Euro. Inzwischen ist dieser Fall zu den Akten gelegt, da Deutschland sich mit Vattenfall und anderen Energiekonzernen im Rahmen des Atomausstiegs auf eine Entschädigung von 2,4 Milliarden Euro einigte. Zwar urteilte auch das Bundesverfassungsgericht, dass Anspruch auf Entschädigung bestehe, doch die Höhe der Zahlung ist wohl vor dem Hintergrund der Rechtsstreitigkeiten zwischen Vattenfall und Deutschland vor dem internationalen Schiedsgericht zu sehen. Mit 1,425 Milliarden Euro erhält Vattenfall entsprechend einen Großteil der Entschädigung.

Die hohen Entschädigungssummen für den Kohleausstieg in Deutschland könnten ebenfalls auf den ECT und der Angst vor möglichen Regressansprüchen zurückzuführen sein. So enthält der Kohleausstiegsvertrag zwischen Bund und Energiekonzernen folgenden Paragrafen: „Die Vertragsparteien sind sich einig, dass die Gesellschaften auf Forderungen und Ansprüche aus dem Energiecharta-Vertrag verzichten.“

„Die Bundesregierung scheint nicht bereit, über einen Ausstieg zu diskutieren.“ Anna Cavazzini, Europaabgeordnete der Grünen/EFA

„Der Vertrag hat Deutschland bereits Milliarden gekostet. Dennoch scheint die Bundesregierung nicht bereit, über einen Ausstieg zu diskutieren“, teilte Anna Cavazzini nach der Verhandlungsrunde Anfang März mit. Eine erfolgreiche Reform sei jedoch angesichts der erforderlichen Einstimmigkeit der Vertragsmitglieder unwahrscheinlich.

Diese Einschätzung teilt auch Pia Eberhardt von der Organisation Corporate Europe Observatory (CEO), die die Verhandlungen zum ECT seit langem intensiv begleitet. Es gebe Länder wie Japan, Kasachstan und einige osteuropäische Länder, die überhaupt keinen Veränderungsbedarf sehen. „Und wirklich jedes Komma kann nur im Konsens verändert werden“, sagte Eberhardt im Gespräch mit der energiezukunft. Signifikante Änderungen, die Klagen gegen Klimaschutz verhindern, seien daher unwahrscheinlich.

Ein Austritt von Staaten scheint daher die logische Konsequenz. Italien vollzog diesen Schritt bereits 2016. Das habe das System damals erschüttert, so Eberhardt. Die Abkehr einzelner Staaten sei gut um Denkprozesse anzustoßen. Inzwischen gebe es Bestrebungen den ECT auf noch mehr Staaten auszuweiten. Diese könnten durch den Austritt einzelner Länder abgeschreckt werden, hofft Eberhardt.

Doch trotz Ausstiegs wird Italien aktuell vor einem internationalen Schiedsgericht verklagt. Die britische Öl- und Gasfirma Rockhopper verklagte Italien, nachdem das italienische Parlament 2016 alle neuen Öl- und Gasaktivitäten vor der Küste des Landes verbot. Da war Italien bereits aus dem ECT ausgestiegen, doch Länder können noch 20 Jahre nach Ausstieg verklagt werden, wenn die Investitionen der Firmen vor Austritt aus dem Vertrag getätigt wurden.

„Wir hoffen auf einen gemeinsamen Austritt der EU mit weiteren europäischen Ländern.“ Pia Eberhardt, Corporate Europe Observatory

Wirklich zielführend sei daher nur ein gemeinsamer Ausstieg mehrerer Länder, so Eberhardt. So könnten auch die Staaten untereinander erklären, dass Klagen gegen vergangene Investitionen nicht mehr rechtmäßig seien. „Wir hoffen natürlich auf einen gemeinsamen Austritt der EU mit weiteren europäischen Ländern“, sagte Eberhardt.  Davon sei man zwar noch weit entfernt, doch vor einem Jahr hätte die Option eines Austritts noch nicht mal zur Debatte gestanden, so Eberhardt weiter. Inzwischen kokettieren vor allem Spanien und Frankreich öffentlich mit einem Austritt, sollte es nicht entscheidende Reformen geben.

Auch die Zivilgesellschaft wird den öffentlichen Druck weiter erhöhen. Zu den bereits gesammelten eine Million Unterschriften von EU-Bürgern gegen den ECT erklärte Cavazzini: „Es ist ein erstaunlicher Erfolg. Die jüngste Serie von öffentlichkeitswirksamen Klagefällen zu Kohle, Gas und Atomenergie hat in der breiten Öffentlichkeit für viel Empörung gesorgt, und die Menschen mobilisiert. Das ist der beste Weg, um genug Druck zu erzeugen, um schnelles Handeln von den Mitgliedsstaaten und der EU zu erreichen.“ Am 22. April findet ein Treffen der Energieminister der Europäischen Union statt. Dann sollte der ECT und das weitere Vorgehen in den Verhandlungen Thema sein.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion “energiezukunft“ (mf) 2021 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | energiezukunft | Heft 29 / 2019 | „Urbane Energiewende“ |  Jetzt lesen | Download

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