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Energiewendenwende

Wir brauchen Deeskalation, oder „Immer die gleichen Verdächtigen“ – Ein Kommentar von Matthias Hüttmann

Fragen Sie genau bei dem Arzt nach Hilfe, wegen dessen Fehldiagnose Sie schwerwiegend erkrankt sind? Wohl kaum. Zumindest eine zweite Meinung einzuholen ist bekanntlich hilfreicher und wird meist auch so praktiziert. In Sachen verfehlter Energiepolitik verhalten sich viele jedoch wie die sprichwörtlich dümmsten Kälber, die ihren Metzger selber wählen.

Dabei ist es zwar hinlänglich bekannt: Das Gedächtnis des Menschen kann in unterschiedliche Arten eingeteilt werden. Und das Kurzzeitgedächtnis lässt sich deutlich vom Langzeitgedächtnis abgrenzen. Denn während wir im Alltag oft im Kurzzeitgedächtnis unterwegs sind, speichern wir nur im Langzeitgedächtnis dauerhaft etwas ab. Rufen wir unseren gesammelten Erlebnisfundus ab, so nutzen wir unsere Fähigkeit des Erinnerns. Weshalb das auf unser Beurteilungsvermögen bisweilen kaum eine Rolle zu spielen scheint, ist immer wieder verwunderlich. Womöglich ist das eine Form der kognitiven Dissonanz, bei der wir Entscheidungen vor allem aus Bequemlichkeit treffen, da es ansonsten anstrengender oder unangenehmer werden könnte.

Karikatur: Richard Mährlein

Die aktuellen politischen Debatten sind ein gutes Beispiel dafür, dass der bequeme Weg, über dessen Konsequenzen wir wohlweißlich Bescheid wissen, dem vernünftigeren und durchdachten vorgezogen wird. Wirklich nervig wird es aber, wenn die Lösungen genau bei den inkompetenten Protagonisten angefragt werden, welche die momentane Situation maßgeblich mit zu verantworten haben. Ihre Lösungsvorschläge ähneln dann, wenig überraschend, genau denen, die uns ins Schlamassel geritten haben. Auch wenn die Eskalation in der Ukraine nicht direkt durch die Vorgängerregierungen verursacht wurden, so wurden die Konsequenzen der herbeigeführten Abhängigkeiten durchaus bewusst in Kauf genommen. Nur weshalb sollten ausgerechnet die Saboteure der Energiewende, die bekanntlich nicht nur auf Regierungsbänken ihren Platz haben, plötzlich kompetente Ratgeber sein? Sicher, auch auf dieser Seite könnte es, gerade wegen der zahlreichen Fehleinschätzungen, zu Einsichten kommen. Aber leider ist genau dies nicht der Fall. Vielmehr werden genau die gleichen Rezepte verschrieben, die unser energetisches Immunsystem so sehr geschädigt haben. Da wird auch keine Platitude gescheut.

Am aufdringlichsten ist die Beharrlichkeit, mit der ein Weiterbetrieb von Atomkraftwerken gefordert wird. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass dieser Vorschlag im Wesentlichen politisch motiviert ist und auf einer sehr dünnen Faktenbasis basiert. So geistern immer wieder Fantasiezahlen durch die Medien, werden Gefälligkeitsgutachten beauftragt und unverblümt Ängste geschürt. Sei es, dass die Gefahr von Blackouts an die Wand gemalt wird oder auch die Mär vom strompreissenkenden Atomstrom erzählt wird. Denn ob die Kernreaktoren nun laufen oder nicht: Den Strompreis beeinflusst das praktisch nicht. Die Strompreisbildung richtet sich nach den teuersten Kraftwerken. Und wie stabil Atomkraft im Kernenergievorzeigeland Frankreich funktioniert, wird gerade jetzt wieder deutlich vor Augen geführt.

Ganz schräg wird es, wenn Kritik an der zögerlichen Energiewende von denen geäußert wird, die sich aufopferungsvoll dafür eingesetzt haben, dass diese ins Stocken geraten ist. Oder besser gesagt, nie Fahrt aufgenommen hat. Ein Paradebeispiel dafür ist sicher Markus Söder. Ungeniert verspricht er immer mehr Windräder, die in immer kürzerer Zeit im Land der 10-H-Regelung errichtet werden sollen. Waren es mal 500, wurden kurze Zeit daraus 800 und mittlerweile gar 1.000 Anlagen. Krasser kann so ein Versprechen wider besseres Wissen eigentlich kaum sein, da in Wirklichkeit unter seiner und der Vorgängerregierung immer weniger Windräder gebaut und genehmigt wurden. Es ist genau genommen sogar so, dass je weniger gebaut wird, umso mehr angekündigt wird. Man kompensiert sein Versagen sozusagen mit unlauteren Ankündigungen.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer kann das aber auch. So kritisiert er die Energiepolitik der Bundesregierung und tituliert deren geplante Energiewende als gescheitert. Er ist sich dabei auch nicht zu schade, sich als Verfechter der Energiewende darzustellen, da der Ausbau der Erneuerbaren Energien ja überall eine Selbstverständlichkeit sei. Dass in seinem Bundesland letztes Jahr exakt ein Windrad Jahr errichtet wurde:  geschenkt.

Aber warum nur wird jede noch so krude Äußerung von vielen Medien geadelt? Warum finden genau die, die schon lange vor dieser Situation gewarnt haben und Lösungswege aufgezeigt haben kaum Gehör? Werden diese medial deshalb nicht ernst genommen, weil wir genau das hören wollen, oder weil wir unabhängig von allen gemachten Erfahrungen immer noch an die Kompetenz genau dieser Protagonisten glauben? Das bleibt eines der Geheimnisse unserer Gesellschaft. Hier werden Mythen und Vorurteile gepflegt. Zum Beispiel das der fleißigen Süddeutschen und der weitsichtigen Politik, die letztendlich aber nichts anderes, als ein Festhalten an alten Lösungen ist. Hier soll eine Welt konserviert werden, die nicht mehr existiert. Wenn sich etwa Bayern als Motor der Wirtschaft sieht, dreht es sich im Licht betrachtet nur um die Facetten von Verbrennungsmotoren.

Es ist sehr bedauerlich, dass es in diesen Kreisen weder Reue, Selbstkritik, Fehlerkultur oder gar Scham zu geben scheint. Schuld sind immer die anderen. Statt gemeinsam nach Lösungen zu suchen, haben viele nichts Besseres zu tun, als – möglicherweise aus einem gekränkten Ego heraus – zu maulen und zu pöbeln. Und wenn einem gar nichts mehr einfällt, dann werden Argumente zur Ideologie erklärt.

Wir brauchen jedoch vielmehr eine Kompetenzoffensive und Deeskalation. Wer in solchen Zeiten Angst schürt, will nicht helfen, sondern Menschen, die bereits unter der Situation leiden, lediglich benutzen.

Steigbügelhalter
Was mich persönlich fassungslos macht ist: Dass gar nicht bedacht wird, wie sehr man dadurch Kräften in die Hände spielt, die nur an Unzufriedenheit und Groll interessiert sind. Dass in Europa diese Saat aufgeht ist ja kaum zu übersehen. Aber wahrscheinlich glauben wir uns immer noch im Paradies, ohne zu merken, dass wir darum kämpfen müssen. Denn wer in der Demokratie schläft, ….

Quelle

Der Kommentar wurde von der Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. (Mattias Hüttmann) 2022 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung von Matthias Hüttmann weiterverbreitet werden! | SONNENENERGIE 03/2022 

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