Klimaneutral ins Verderben?
Warum die klimapolitischen Ziele bis 2050 nicht mit Paris vereinbar sind
Am 12. Dezember 2015 wurde das Pariser Klimaabkommen beschlossen. Darin verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, die weltweite Temperaturerhöhung auf möglichst 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Fast fünf Jahre später ist aus dem Klimawandel die Klimakrise geworden, und trotz zunehmender Proteste für mehr Klimaschutz bleibt die Politik weit hinter den Notwendigkeiten adäquater Klimapolitik zurück.
Die derzeitige Zielvorgabe der Politik heißt Klimaneutralität 2050 (Netto-Null), mit der Behauptung, dass dieser Plan für die Einhaltung der Pariser Ziele ausreicht. Doch leider bleibt von dieser Theorie bei genauerem Hinsehen nicht viel übrig.
Die wissenschaftliche Faktenlage, dass Klimaneutralität bis 2050 für die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels nicht ausreicht, ist erdrückend. So hat der Copernicus Climate Change Service der EU kürzlich festgestellt, dass die Atmosphärentemperatur in den zwölf Monaten ab September 2019 bereits bei knapp 1,3°C über dem vorindustriellen Niveau lag, und Berechnungen des Weltklimarats (IPCC) zeigen, dass von einer Erderwärmung von 1,5°C bereits im Jahr 2030 auszugehen ist. Der Temperatursprung im letzten Jahrzehnt betrug knapp 0.2 °C. In diesem Jahrzehnt bis 2030 wird er wegen höherer Treibhausgaskonzentration und anspringenden Kipppunkte wahrscheinlich noch darüber liegen, womit alles dafür spricht, dass 1,5°C um 2030 schon überschritten sein werden.
Gleichzeitig sieht das politische Ziel der Klimaneutralität bis 2050 laut einschlägiger Szenarien ab 2030 – also nach Überschreiten von 1,5°C – noch immer eine Nutzung fossiler Rohstoffe und damit weitere Treibhausgasemissionen vor. Solche Szenarien hinterfragen die Wirksamkeit des Ziels nicht und führen zu der irrtümlichen Annahme, dass sich mit der Zielvorgabe effektiver Klimaschutz betreiben lässt.
Selbst wenn in Deutschland von 2021 bis 2050 die gegenwärtigen Emissionen kontinuierlich auf Null gesenkt werden, entstünden in diesem Zeitraum nahezu weitere zehn Gigatonnen alleine an CO2-Emissionen. Dies entspricht ca. dem Dreifachen (Faktor 2,84) der Menge, die vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) auf Basis der IPCC-Angaben als Obergrenze für die Erreichung des 1,5°C-Ziels angegebenen wurde.
Was uns also wirklich bevorstünde? Eine Klimakatastrophe jenseits von 3°C, in der die menschliche Zivilisation, wie wir sie heute kennen, nicht mehr existieren kann. Wie nahe wir schon an diesem unumkehrbaren Punkt sind, wird in der politischen Welt, den Medien und teilweise sogar in der Wissenschaft nicht wahrgenommen oder schlichtweg ignoriert. Wer wie die Europäische Kommission behauptet, mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 könnte das Pariser Abkommen eingehalten werden, täuscht die Öffentlichkeit. Die Umstellung der Wirtschaft bis 2030 ist möglich, erfordert aber starken politischen Willen. Es ist, wenn auch mit größten Anstrengungen, technisch und ökonomisch möglich, eine weltweite Nullemissionswirtschaft in Verbindung mit großem Kohlenstoffsenken bis 2030 aufzubauen.
Dafür ist politischer Wille notwendig, der eine klare Agenda vorgibt, die – getragen von klimapolitisch sensiblen Medien – durch nachhaltige Wirtschaftsstrukturen, Bildungs- und Aufklärungsarbeit und die Anstrengungen jedes und jeder Einzelnen unterstützt wird.
Die Gelegenheit ist günstiger denn je. Die entscheidenden Technologien der Elektrifizierung und der Erneuerbaren Energien werden nicht nur immer billiger, sondern ermöglichen auch eine dezentrale Transformation, die weniger auf die zeitraubende Entwicklung gigantischer Infrastrukturen angewiesen ist.
Dazu müssen alle staatlichen Subventionen fossiler Energien umgehend eingestellt und jeglichen Investitionen in fossile Rohstoffnutzung die staatliche Unterstützung entzogen werden. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie der Aufbau einer kohlenstoffsenkenden Land- und Forstwirtschaft muss auch durch staatliche Forschungsanreize für Nullemissionstechnologien vorangetrieben werden.
Wir brauchen Studien und Untersuchungen, die sich an den Notwendigkeiten klimawissenschaftlicher Erkenntnisse orientieren und dementsprechend das katastrophale Klimarisiko berücksichtigen. Das bedeutet, dass politische Zielvorgaben wie das Erreichen von Klimaneutralität bis 2050 als unzureichend zurückgewiesen werden und auch, dass Szenarien entwickelt werden, die aufzeigen, wie Nullemissionen bis 2030 erreicht werden können. Das heute klar ersichtliche drohende Abgleiten des Planeten in eine unkontrollierbare Klimakatastrophe lässt uns keine andere Wahl.
Quelle
Hans-Josef Fell 2020 | Präsident der Energy Watch Group (EEC) und Autor der EEG | Dieser Text wurde am 12. Dezember ebenfalls unter dem Titel „Klimaneutral ins Verderben“ als Gastbeitrag von Thure Traber und Hans-Josef Fell in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht. Er beschreibt die Kernaussagen des ebenfalls am 12. Dezember veröffentlichten Politikpapiers der Energy Watch Group „Der Pfad einer Klimaneutralität ab 2050 verfehlt die Klimaziele von Paris“ – Thure Traber ist leitender Wissenschaftler der EWG. Beide veröffentlichen heute eine Studie zu dem Thema.