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hinter-den-schlagzeilen.de | Foto: Thomas Karsten | Konstantin Wecker

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Konstantin Wecker: Die gefährliche Gleichsetzung von Rechts und Links

Konstantin Wecker ruft nach dem Anschlag von Hanau dazu auf, die faschistische Gefahr endlich klar zu benennen und den Boden, auf dem sie wachsen kann, auszutrocknen.

Zu viele vermeintlich brave Bürger und Politiker sind den Parolen der fremdenfeindlichen Kräfte viel zu weit entgegengekommen. Gerade Union und FDP haben sich nicht erst seit der versuchten Regierungsbildung von Erfurt an die AfD angeschmiegt – dass sie es teilweise nicht aus Überzeugung, sondern aus Opportunismus taten, macht es nicht besser. Das „Manifest“ des Täters von Hanau mit seinen expliziten, rassistisch motivierten Vernichtungsfantasien macht deutlich, dass politische Motive für die Tat nicht mehr ernsthaft geleugnet werden können. Diese sind aber nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs, der auch von großen Teilen der politischen „Mitte“ gebildet wird. Statt sich dem Morden konsequent entgegen zu stellen, versuchen viele immer noch verzweifelt, sich gegen Links genauso konsequent abzugrenzen. Konstantin Wecker ruft zum Widerstand aus der Perspektive radikaler Menschlichkeit auf. 

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Von Konstantin Wecker

Liebe Freundinnen und Freunde,

während die Medien erregt darüber diskutieren, welcher nordrhein-westfälische Mann Deutschland künftig regieren soll, und während die Linken-Phobie der Thüringischen CDU noch immer eine Regierungsbildung verhindert, hat ein aufgehetzter Rassist in Hanau zugeschlagen. Neun Menschen fielen dem furchtbaren Anschlag zum Opfer.

Es versteht sich von selbst, dass die AfD mit der Tat nun nichts zu tun haben will und kräftig abwiegelt. „Das ist weder rechter noch linker Terror, das ist die wahnhafte Tat eines Irren“, sagte der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen, der bisher nicht durch psychologische Expertisen aufgefallen war. Und Alexander Gauland ergänzte: „Bei einem völlig geistig Verwirrten sehe ich kein politisches Ziel, insofern bin ich vorsichtig bei dem Begriff Terror. Und von Links und Rechts wollen wir hier gar nicht reden. Das ist ein Verbrechen.“

Doch, Herr Gauland, wir müssen von Links und Rechts reden. Nur die letztgenannte politische Richtung kanzelte über Jahre so massiv Menschen anderer Herkunft und Hautfarbe ab und betonte, dass diese nichts in unserem Land zu suchen hätten. Wenn labile Menschen so häufig von vermeintlich honorigen Herren hören, ihre syrischen oder nigerianischen Nachbarn wären gefährlich und sollten eigentlich gar nicht hier sein, dann kann es passieren, dass diese sich berechtigt, ja verpflichtet fühlen, das „Recht“ in ihre eigenen Hand zu nehmen.

Tobias Rathjen, der Attentäter von Hanau, war Bankkaufmann und Sportschütze – ohnehin eine seltsame Mischung. Während seiner Banklehre war Rathjen Betroffener eines Banküberfalls. Auf der Polizeistation musste er dutzende von Karteikarten mit Bildern von Kriminellen durchsehen. Ihm fiel auf, dass dies hauptsächlich Ausländer waren. Seine Schlussfolgerung daraus beschreibt er in seinem Bekennerschreiben : „Zunächst stellte sich mir die grundsätzliche Frage, wie es sein kann, dass solche Volksgruppen überhaupt in meinem Land sind? Diese Menschen sind äußerlich instinktiv abzulehnen und haben sich zudem in ihrer Historie nicht als leistungsfähig erwiesen. Umgekehrt lernte ich mein eigenes Volk kennen, als ein Land, aus dem das Beste und Schönste entsteht und herauswächst, was diese Welt zu bieten hat.“

Dass Rathjen seine These vom „besten und schönsten“ Volk – selbst wenn Deutschland jemals so großartig gewesen wäre – durch seine eigene Tat auf das Furchtbarste Lügen straft, kommt ihm offenbar nicht in den Sinn. Er fährt fort, bestimmte Personen hätten „dazu beigetragen, dass wir nun Volksgruppen, Rassen oder Kulturen in unserer Mitte haben, die in jeglicher Hinsicht destruktiv sind. (…) Da aber diese Völker besonders zahlreich auf diesem Planeten vertreten sind und offensichtlich nicht bereit sind auf eine weitere Vermehrung freiwillig zu verzichten bzw. im Gegenteil sich erstaunlicherweise sogar besonders toll finden, obwohl sie es nicht sind, muss also ein Problem gelöst werden.“ Er hält auch nicht damit hinter dem Berg, wie er sich diese Lösung vorstellt und nennt ein paar dutzend Völker, die nach seiner Ansicht „komplett vernichtet werden müssen“. Man müsse nach der Eliminierung dieser „schlimmsten“ Völker noch die Feinarbeit erledigen und auch in Deutschland aufräumen, weil „nicht jeder der heute einen deutschen Pass besitzt reinrassig und wertvoll ist“.

Dabei wirkt Rathjens in seinem Tonfall nicht „irre“, vielmehr zeugt sein Schreiben von geordnetem Denken, das jedoch mit äußerster emotionaler Kälte und Menschenverachtung vorgetragen wird. Er schaut auf Teile der Menschheit herab wie ein unreifer, sadistischer Bub, der sich entschließt, einen Ameisenhaufen abzufackeln, weil ihn die Tierchen nerven. Nun erzähle mir doch keiner mehr, diese Thesen seien nicht rechts! Wenn überhaupt etwas rechtes Denken in seiner Reinform verkörpert, dann ist es diese These vom unwerten Leben, das bedauerlicherweise auch noch auf seiner Vermehrung besteht anstatt verschämt und sozialverträglich auszusterben. Viele sind mitschuldig geworden und dürfen hier die Tat ihres geistigen Ziehsohns bestaunen: von Thilo Sarrazin der die These von einer vererbbaren Dummheit der Muslime salonfähig gemacht hat, über Pegida-Gründer Bachmann, der die Bewohner eines Flüchtlingsheims als „Dreckspack“ und „Viehzeug“ beschimpfte, bis hin zu Gauland und Meuthen selbst, die hier die verfolgte Unschuld geben.

Die Morde von Hanau kamen nicht aus dem luftleeren Raum. Da tickte ein gekränkter Spießbürger aus, weil ihm interessierte Kreise aus wahltaktischen Gründen sein Deutschsein als Selbstwert-Prothese aufgeschwatzt hatten. Und Politiker der Altparteien, die sich trotz massiven Bürgerrechts- und Sozialabbaus gern als Demokratie-Bewahrer inszenieren, bliesen zu oft, zu lange ins gleiche Horn. Gerade 2018, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsdebatte, gab es ja fast keinen mehr, der – wenn er nicht von Natur aus rechts war – nicht wenigstens versucht hat aus wahltaktischen Gründen ein partielles Rechtssein zu simulieren.

Auf dem Rücken von Migranten und Flüchtlingen hetzten vor allem Politiker aus Union und FDP im Sinne ihrer Vorbeter wie Gauland und Höcke. Der Händedruck von Erfurt zwischen Kemmerich und Höcke hat das national-neoliberale Bündnis nicht erst aus der Taufe gehoben, er hat dieses lediglich symbolisch sichtbar gemacht. Politiker vieler Parteien wollten Rechte da abholen, wo sie standen. Sie sind ihnen dabei so weit entgegengekommen, dass es zu einer verhängnisvollen Toleranz und Verbrüderung kam. Jetzt, da Abgrenzungserklärungen strategisch geboten scheinen, fehlt insbesondere Unions- und FDP-Politikern die notwendige Glaubwürdigkeit als antifaschistische Kämpfer.

Nachgerade absurd scheint vor diesem Hintergrund, dass sich Politiker der so genannten Mitte noch immer damit quälen, eilfertig die Äquidistanz zum rechten wie linken Rand einzuhalten. So als sei Bodo Ramelow ein Geistesbruder von Anders Breivik, der lediglich auf der anderen Seite des politischen Spektrums stünde. Noch immer, in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dem Anschlag, bestehen „Etablierte“ auf der verhängnisvollen Gleichsetzung von rechter Menschenfeindlichkeit und einer vermeintlichen linken Gefahr. Die neue Zukunftshoffnung der CDU, Norbert Röttgen, sagte bei der Präsentation seiner Kandidatur: „Wenn es nach einer Seite keine Grenzen mehr gibt, dann wären wir nicht mehr die Partei der Mitte. Also ziehen wir Grenzen zur AfD und ihrem Denken und ihrer Sprache; aber wir ziehen – nebenbei aus ganz anderen Gründen – eine klare Grenze auch zur Linkspartei.“

Unverständlicherweise positionierte sich sogar ein ehemaliger SPD-Vorsitzender unmittelbar nach den Morden von Hanau in dieser Art: „Der Feind der Demokratie steht rechts“, leitete Sigmar Gabriel einen Tweet ein, fuhr aber dann sogleich fort: „Es lässt sich nicht abstreiten, dass linke Chaoten auf Polizisten eindreschen, Autos und Mülltonnen in Brand setzen und immer wieder hohe Sachschäden verursachen. Alles schlimm genug und nicht zu verharmlosen.“ Erst dann kehrt der Ex-Außenminister zur rechten Gefahr zurück. Nun, Sigmar Gabriel will in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank und bewegt sich zielsicher in die Richtung, aus der Friedrich Merz gerade kommt: hin zum großen Kapital. Die SPD kann froh sein, dass sie ihn los ist.

Unsere „Mitte“-Politiker müssen endlich Schluss machen mit dieser verhängnisvollen Gleichsetzung. Sie müssen vor allem jetzt den Boden austrocknen, auf dem solche rassistische Taten wachsen können. Ein Boden, den – ich muss es leider so deutlich sagen – etliche unter ihnen zu bereiten halfen. Wer es ernst damit meint, dass Anschläge wie in Halle und Hanau nie wieder passieren dürfen, muss jetzt seine ganze Kraft dafür einsetzen, dass die dunkle Epoche des neudeutschen Faschismus-Revivals rasch zu Ende geht. Er muss der rassistischen Erzählung der Zehner-Jahre, die es vermocht hat, humanere Kräfte argumentativ in die Defensive zu drängen, etwas anderes entgegensetzen: eine Philosophie radikaler Menschlichkeit und allumfassenden Mitgefühls, der Gleichheit und Gleichwertigkeit allen menschlichen Lebens, der Unverletzlichkeit der Würde.

Die durch Hass deformierte Seele sät den Tod; liebevolle Menschen halten sich an das Leben. Das Leben grenzt nicht aus, es umarmt und schließt ein. Und es ist vor allem eines: bunt.

Quelle

Lebenshaus Schwäbische Alb | Konstantin Wecker 2020 |  Quelle:


Hinter den Schlagzeilen

– 21.02.2020.

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