Österreich soll CO₂-Budget bekommen
Mit einem neuen Klimaschutzgesetz und darin enthaltenen Emissionsbudgets soll Österreich bis 2040 klimaneutral werden. Schon über den Gesetzentwurf ist ein heftiger Streit entbrannt.
Seit über einem Jahr regieren die Grünen in Österreich mit – in einer Koalition mit der konservativen ÖVP. Während große Teile der Regierungspolitik deutlich die Handschrift der ÖVP tragen, pochen die Grünen von Anfang an auf ihre Gestaltungsmacht in der Klimapolitik.
Das dafür erarbeitete Klimaschutzgesetz wurde jetzt geleakt – noch bevor es mit der ÖVP abgestimmt werden konnte. Das sorgt für Kritik und wirft Fragen auf.
Bis dato ist Österreich von seinem selbstgesteckten Klimaziel – netto null CO2-Emissionen 2040 – weit entfernt. Als eines der wenigen EU-Mitglieder hat das Land die Emissionen in den letzten 30 Jahren noch gesteigert.
Das unter Leitung der grünen Umweltministerin Leonore Gewessler entworfene neue Klimagesetz soll nun eine Serie an Maßnahmen einleiten, die bei Verfehlungen quasi automatisiert mehr Klimaschutz in Gang setzen.
In der Tageszeitung Der Standard wurde der bekannt gewordene Gesetzentwurf umrissen. Danach will die Umweltministerin der vernachlässigten Klimapolitik der letzten Jahrzehnte mit einem dreistufigen Verfahren ein Ende setzen.
In einem ersten Schritt wird für jeden Sektor und jedes Bundesland ein jährliches CO2-Budget festgelegt. Für jede zu viel emittierte Tonne des klimaschädlichen Gases müssen Bund und Länder zahlen. Die Strafzahlungen landen in einem „Zukunftsinvestitionsfonds“, der wiederum dem Klimaschutz dienen soll.
In einem zweiten Schritt soll ein Klimakabinett mit einem wissenschaftlichen Beirat die jeweiligen Emissionen prognostizieren. Fällt die Prognose schlecht aus, werden von der Bundesregierung umgehend Vorschläge für Sofortmaßnahmen in dem betreffenden Sektor geliefert.
Sollte die Regierung keine ausreichenden Maßnahmen beschließen, tritt in einem dritten Schritt ein Notfallmechanismus in Kraft. Bei Überschreitung der CO2-Höchstwerte wird automatisch die Besteuerung fossiler Energieträger um 50 Prozent erhöht – Benzin, Erdgas, Heizöl werden also teurer.
Mit den drei Maßnahmen soll es Österreich gelingen, in jährlich wachsenden Schritten die CO2-Emissionen bis 2040 auf null herunterzufahren.
„Ideologiegetriebene Bestrafungsfantasie“
Ministerin Gewessler hat auch Forderungen der Klimabewegung in ihren Gesetzentwurf aufgenommen. Mit einem „Klimacheck“ soll jedes neue Gesetz auf seine Umweltverträglichkeit geprüft werden, ein „Verbesserungsgebot“ soll Rückschritte im Klimaschutz verhindern und die Installation des Klimakabinetts die Demokratisierung anschieben.
Teile des Klimaschutzgesetzes, wie die Vorgaben zur jährlichen Emissionsreduktion und die Einsetzung des Klimakabinetts, sollen in der Verfassung verankert werden. Das erfordert nicht nur eine Abstimmung mit dem Koalitionspartner ÖVP, sondern auch mit Teilen der Opposition.
Schon ersteres dürfte eine Herausforderung werden. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erklärte bereits Anfang der Woche, dass er diese Art einer automatischen Steuererhöhung ablehne. Sein Parteikollege, Finanzminister Gernot Blümel, hat sich zum Klimaschutzgesetz bisher nur zurückhaltend geäußert. Blümel betonte, das Modell sei „noch nicht fertig“.
Was die beiden vorsichtig andeuteten, brachte der Generalsekretär der Wirtschaftskammer Karlheinz Kopf im TV-Nachrichtenjournal ZIB 2 mit „ideologiegetriebener Bestrafungsfantasie“ direkt zum Ausdruck.
Von der Opposition hagelt es zu dem Entwurf ebenfalls Kritik. Die SPÖ-Nationalratsabgeordnete Julia Herr befürchtet, dass die zusätzlichen Steuern auf fossile Energie, etwa die Mineralölsteuer oder die Erdgasabgabe, vor allem ökonomisch Schwächere treffen würden.
Aus anderen Gründen bemängeln die liberalen Neos die mögliche Steuererhöhung. „Eine CO2-Strafsteuer hätte keinen Lenkungseffekt und würde nur die Akzeptanz von Klimaschutzpolitik untergraben“, sagte Klima- und Umweltsprecher Michael Bernhard.
„Unter Umständen schon auf Paris-Kurs“
Aber auch die Klima- und Energieexpertin Jasmin Duregger von Greenpeace sieht in dem Entwurf einige Lücken. So fehle dem CO2-Preis ein Ökobonus und die klimaschädlichen Subventionen würden weiter fließen. Duregger betont aber, dass diese Punkte nicht unbedingt im Klimaschutzgesetz stehen müssen, sondern auch in eigenen Gesetzen festgehalten werden können.
Positiv bewertet die Expertin den verpflichtenden Pfad, den das Gesetz zu einem klimaneutralen Österreich 2040 weist. Das erfülle unter Umständen sogar die Anforderungen des Pariser Klimaabkommens, meint Duregger. Der Kritik der Opposition hält sie entgegen: „Die erhöhte Steuer ist nur der äußerste Notfallmechanismus. Im Idealfall sollte es gar nicht so weit kommen.“
Auch die Fristen, die im Entwurf stehen, findet Duregger gut. „Das alte Klimaschutzgesetz greift bei Verstößen gar nicht oder nur sehr spät. Dass hier schon bei Prognosen eingegriffen werden könnte, ist ein wichtiger Schritt für den Rechtsschutz. Bisher blieben unsere Klagen immer unbeantwortet“, betont die Expertin.
Duregger verweist in dem Zusammenhang auf Deutschland. Beim nördlichen Nachbarn feiere man gerade einen sehr großen Erfolg. „Teile des deutschen Klimagesetzes wurden als verfassungswidrig anerkannt. Davon könnte sich Österreich auch etwas abschauen.“
Spätestens im Sommer soll das Klimaschutzgesetz fertig sein, um es dann ins Begutachtungsverfahren zu schicken und schließlich dem Parlament vorzulegen, teilte ein Sprecher des Umweltministeriums auf Anfrage mit.
Zuletzt bleibt die Frage: Warum findet ein noch in der Abstimmung befindliches Papier den Weg an die Öffentlichkeit? In Boulevard sorgte vor allem die mögliche Preissteigerung beim Tanken für einen Aufschrei. In der Pressestunde des öffentlich-rechtlichen ORF reagierte die Umweltministerin wenige Stunden nach dem Leak gelassen: „Genau so macht man es, wenn man etwas verhindern will.“
Und mit Gegenwind wird Leonore Gewessler wohl auch in Zukunft zu rechnen haben.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Naz Küçüktekin und Christof Mackinger – Wien) 2021 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!