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Überdenken wir jetzt unsere planetarische Unregierbarkeit!

Oder warten wir damit bis nach einem Dritten Weltkrieg? Ein Kommentar von Georios Zervas

Der Erste Weltkrieg machte uns blutigst klar, dass eine Weltordnung, die durch nationale Interessenpolitik dominiert ist, eine hochgradig gefährliche Weltunordnung darstellt. Wir rangen uns dennoch nur zu einem kleinen, einem viel zu kleinen Trippelschritt in Richtung auf eine Weltordnung jenseits nationaler Interessenpolitik durch: Der 1920 gegründete Völkerbund hielt nicht lange, weil der Geist nationaler Interessen in fast keinem Land ernsthaft weichen wollte zugunsten einem Völkerbund, der diesen Namen wirklich verdient hätte. Das Vetorecht für alle Mitgliedsnationen war die „Versicherung“, dass das „Recht der nationalen Interessen“ weiterhin seine faktische Dominanz behielt.

Der Zweite Weltkrieg war die Folge. Er war noch weit blutiger und weit zynischer in Punkto völkisch-nationalistischem Wahn. Die danach erfolgte Gründung der Vereinten Nationen ging dann durchaus wertvolle Schritte über das Konzept des Völkerbunds hinaus. Dennoch blieb auch dort die inter-nationale Konstitution in ihrem Kern erhalten – samt dem weiterbestehenden Vetorecht der Großmächte in deren wichtigstem Gremium, dem Weltsicherheitsrat. Dieser hat eine erneute jahrzehntelang eskalierende Aufrüstung nicht verhindern können und – wie wir heute akut wahrnehmen – nicht einmal einen wirksamen Schutz vor einem Dritten Weltkrieg.

Brauchen wir wirklich einen Dritten Weltkrieg, um die planetarische Unregierbarkeit in so offensichtlich überlebenswichtigen Dingen wie Weltfrieden und Ökosystemerhalt endlich an ihrer Wurzel zu überwinden? Wie lange warten wir noch mit dem Überdenken des Konzepts nationaler Interessenpolitik bei Themen, die unbestreitbar eine globale, eine menschheitliche Dimension haben und nur mit Konzepten einer planetaren Souveränität und weltverantwortlichen Handlungsfähigkeit steuerbar sind?

Ist die Erde noch regierbar?

Den vielleicht interessantesten Beitrag zu diesem Thema schrieb – für westliche Leser vielleicht eine besondere Herausforderung – ausgerechnet ein chinesischer Philosoph. Hier einige Zitate aus dem 2020 erschienenen Werk „Alles unter dem Himmel“ von Zhao Tinyang:

„Das tatsächliche Problem der Welt sind nicht gescheiterte Staaten, sondern eine gescheiterte Welt. Sollte die Welt auf Dauer als ineffiziente Welt fortexistieren, wird kein noch so mächtiger Staat mit dem Problem des negativen Außen fertig werden und in einer zerstrittenen und unkooperativen Welt Sicherheit und Entwicklung gewährleisten können… Die Gründe dafür liegen unter anderem darin, dass das partikulare Staatsinteresse immer Vorrang vor dem gemeinsamen Weltinteresse besitzt… Weltordnung kann nicht die Ordnung einer von irgendwelchen Hegemonialstaaten oder Bündnissen mächtiger Staaten beherrschten Welt sein, sondern nur die Ordnung einer Weltsouveränität, der das gemeinsame Wohl der Welt als Richtschnur dient.“

Schon Einstein erkannte die Notwendigkeit globalen politischen Handelns, zusätzlich zu allem wertvollen zivilgesellschaftlich globalverantwortlichen Handeln. Hans-Dietrich Genscher und Richard von Weizsäcker sprachen von Weltinnenpolitik, Michail Gorbatschow von einer globalen Perestroika. Gorbatschow legte im Jahr 1988 der Weltgemeinschaft in der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Idee eines Welt-Umweltsicherheitsrates vor und insgesamt der tiefgreifenden Stärkung und konsequenten Demokratisierung der Vereinten Nationen. Für dieses Ziel sei sein Land bereit, substanziell auf nationale Souveränität zu verzichten. Die umfassendste Aufarbeitung derartigen Vordenkens leisteten Andreas Bummel und Jo Leinen in ihrem 2017 erschienenen und fast 500 Seiten umfassenden Werk „Das demokratische Weltparlament“.

Es fehlt nicht an klugem Vordenken von unterschiedlichsten Seiten. Doch solange sich der Handlungsbedarf bezüglich letztlich nur global steuerbarer Herausforderungen jedes Jahr noch weiter von den global abgestimmten und umgesetzten tatsächlichen Handlungen entfernt, bleibt die von Yehezkel Dror schon vor mehr als 25 Jahren in einem Bericht an den Club of Rome formulierte Frage „Ist die Erde noch regierbar?“ erschreckend unbeantwortet. Nachhaltige Lösungen zu Umwelt-, Menschenrechts-, Friedens-, Gerechtigkeits- oder sonstigen Grundfragen menschlicher Zivilisation sind in einer globalisierten Welt erst dann nachhaltig umsetzbar, wenn wir nachhaltig demokratische und rechtsstaatliche Lösungen auf der globalen Ebene auch tatkräftig umsetzen können.

Selbstverständlich kann ein globales System globaler Handlungsfähigkeit nur unser aller Anerkennung finden, wenn es höchsten und modernsten demokratischen Prinzipien entspricht. Aber wie sollten wir je dorthin kommen, wenn wir nicht endlich anfangen, über ein solches zukunfts- und handlungsfähiges globalverantwortungsvolles Regierungskonstrukt nachzudenken, das sich nicht mehr ständig in Endlosschleifen nationaler Egoismen verhakt?

Die wichtigsten und wertvollsten Treiber aller bisherigen Vereinbarungen der Vereinten Nationen zu globalen Herausforderungen waren nicht die Nationen, sondern die immer stärker gewordene globale Zivilgesellschaft. Inzwischen sind dort mehr als 3.000 Nichtregierungsorganisationen mit Konsultativstatus akkreditiert. Globale Zivilgesellschaft – das sind letztlich wir alle. Nehmen wir es jetzt in unsere Verantwortung, für eine globale Diskussion über die konstruktive Überwindung der planetaren Unregierbarkeit zu sorgen.

Quelle

Georgios Zervas ist Sachbuchautor, zuletzt „Die 1-Dollar-Revolution. Globaler Mindestlohn gegen Ausbeutung und Armut“ und derzeit in Vorbereitung „WeEconomy. Wirtschaft wettbewerbsneutral gestalten“ (beide zusammen mit Peter Spiegel) sowie Projektleiter WeQ Politics beim WeQ Institute und Mitglied im Senate of Economy Europe sowie der Akademie 3.

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