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Überlebt die Energiewende die große Koalition?

Die Energiewende droht aktuell in Entscheidungslosigkeit zu versinken – zögerliche Äußerungen und Scheindiskussionen um vermeintliche Kostenexplosionen beherrschen die Debatte, während Konzepte zum Ausbau Erneuerbarer, Effizienz, Strommarktdesign und Klimaschutz von der sich gerade formierenden großen Koalition nicht vorgelegt werden. Gibt es sie überhaupt noch, die deutsche Energiewende? Ist die Strompreisbremse eine Energiewendebremse, und was sagen die echten Expert/innen aus Wirtschaft und Politik? Von Katrin Heeren

Hierzu haben wir Matthias Willenbacher befragt, Firmenchef eines Unternehmens der Erneuerbaren-Energien-Branche namens JUWI. Mit Elan, Enthusiasmus und Überzeugungskraft hatte er sich schon vor der Wahl in die Schlagzeilen gebracht: Mit seinem unmoralischen Angebot an die Kanzlerin forderte er diese auf, sich für ein Gelingen der Energiewende einzusetzen, da diese durch die vergangene Regierung zu einer Farce zu werden drohte. Sein Einsatz: Würde Frau Merkel das Angebot annehmen, so versprach Willenbacher, würde er seine gesamten Firmenanteile an Energiegenossenschaften verschenken. Ein großzügiges Angebot!

Herr Willenbacher, mit Ihrem unmoralischen Angebot an die Kanzlerin, haben Sie kurz vor der Bundestagswahl für einiges Aufsehen gesorgt. Wie sah Ihr Angebot genau aus, und warum wurde es ausgeschlagen?

WILLENBACHER: Ich appelliere an Angela Merkel, ihre nach Fukushima  versprochene  Energiewende auch tatsächlich umzusetzen.  Und zwar ohne Wenn und Aber.  Zu 100 Prozent bis 2020. Tut sie das, verschenke ich meine Anteile an der juwi-Gruppe, einer Firma mit Milliardenumsatz, an die Energiegenossenschaften. So habe ich es in meinem Buch geschrieben und in meinem Masterplan zur Energiewende auch gleich nachgewiesen, dass es technisch möglich und volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Leider hat die Kanzlerin bisher noch nicht auf mein Angebot regiert. Aber was nicht ist, kann ja noch werden…

Nach der Wahl ist vor der Wahl – gibt es mit der neuen Regierung überhaupt eine Chance, die Energiewende über die nächsten vier Jahre zu retten? Oder sind die Würfel gefallen – gegen die Energiewende der Bürger/innen dieses Landes?

WILLENBACHER: Jetzt geht es darum, die erneuerbaren Energien zügig auszubauen. Das ist es, was die große Mehrheit der Bürger fordert. An dieser Realität muss sich die neue Bundesregierung messen lassen. Und die Energiewende gibt uns sogar die Chance viel Geld einzusparen. Wenn wir endlich ernst machen und Strom, Wärme und Mobilität sinnvoll miteinander verbinden, können wir bis zu 75% Energie einsparen! Dann zahlt ein Haushalt maximal noch die Hälfte der Energiekosten, die er heute zu tragen hat. Zudem muss endlich Schluss sein mit der Subventionierung von Kohlekraftwerken, die bekanntlich die größten Dreckschleudern im Energiesektor sind. CO2-Ausstoß muss Geld kosten. Eine CO2-Steuer hätte neben den positiven Auswirkungen auf Klima und Umwelt auch den Vorteil, dass man mit den Einnahmen die Stromsteuer senken könnte. Auch die EEG-Umlage würde so deutlich reduziert. Alles in allem könnte der private  Stromkunde in Deutschland  dadurch schnell und spürbar  um gut 4 Cent pro Kilowattstunde entlastet werden.

Was kann jetzt getan werden? Was können die über 800 Energiegenossenschaften, die es in Deutschland mittlerweile gibt, tun, um nicht nur über die Runden zu kommen, sondern zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien beizutragen?

WILLENBACHERDie EE-Branche und juwi sind bereit, die erforderliche Weiterentwicklung des EEG in einem konstruktiven Dialog zu begleiten. Dabei sind uns die Energiegenossenschaften eine große Hilfe. Gemeinsam mit ihnen  werden wir darauf achten, dass die Energiewende nicht ausgebremst wird.  Wir dürfen nicht ruhen, dies den Bürgern  unseres Landes, insbesondere aber den Politikern klarzumachen. Denn der größte Feind der erneuerbaren Energien ist die Unwissenheit über die fantastischen Möglichkeiten, die sie uns bieten.

Würden Sie Frau Merkel ein zweites Angebot machen? Wenn ja, wie sähe das aus?

WILLENBACHER: Na klar, ich wiederhole mein Angebot gerne. An meinem Ziel, möglichst schnell 100 Prozent erneuerbare Energien in Deutschland umzusetzen, werde ich jedenfalls weiter mit Kreativität und Herzblut arbeiten.

Warum brauchen wir 100% erneuerbare Energien? Was spricht gegen Atomkraft und Kohlestrom?

WILLENBACHER: Für mich ist die Überlegenheit der Erneuerbaren gegenüber den fossilen Energieträgern eindeutig. Kohle, Öl und Gas gehen in absehbarer Zeit zur Neige und werden auch deshalb schon bald nicht mehr bezahlbar sein, da die Nachfrage rasant steigt – immer mehr Menschen wollen Handy, Laptop, Klimaanlage und Auto nutzen. Die Rohstoffe, die in Millionen von Jahren entstanden sind, innerhalb weniger Generationen zu verbrauchen und dabei auch noch die Atmosphäre zu verschmutzen und das Klima aus dem Gleichgewicht zu bringen – das ist nicht nachhaltig, sondern töricht und lebensgefährlich. Dass Atomkraft keine Zukunft hat ist einfach zu begründen: Sie ist schon heute viel teurer als die Erneuerbaren, wie ein Vergleich mit Großbritannien zeigt. Der Energiegigant EDF will nur dann investieren, wenn dort für die Kilowattstunde Atomstrom 11 Cent plus Inflationsausgleich auf 35 Jahre gezahlt werden. Das aber wäre um einiges teurer als Strom aus Wind oder Sonne.

Warum tun Sie, was Sie tun? Sie könnten es sich doch ganz gemütlich machen mit Ihrem gut laufenden Geschäft. Was ist Ihr Antrieb, Ihre Motivation? Warum?

WILLENBACHER: Die Arbeit am Umbau unserer Energieversorgung hin zu sauberen Wind-, Solar- und Biokraftwerken ist für mich mehr als ein Beruf – es ist zugleich Leidenschaft und sinngebende Berufung. Und Spaß macht es obendrein. Nicht zuletzt wegen der vielen engagierten Mitstreiter, die wie ich sagen: Die Energiewende darf nicht scheitern!

Auch Ulrich Kelber, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD und 2008 mit dem Solarindustriepreis des Bundesverbands Solarwirtschaft ausgezeichnet, setzt sich seit vielen Jahren vehement für den Ausbau erneuerbarer Energien ein und zählt mit dem vor wenigen Jahren verstorbenen Solar-Vorreiter Hermann Scheer zu den Wegbereitern der Energiewende der SPD.

Herr Kelber, was passiert energiepolitisch augenblicklich in Ihrer Partei? Hannelore Kraft versetzt der Energiewende im Verbund mit Herrn Altmaier den Todesstoß, so sieht es aus. Wer ist mit Ihnen gemeinsam überhaupt an dem weiteren dynamischen Verlauf einer Bürgerenergiewende interessiert?

KELBER: Natürlich gibt es in einer Volkspartei wie der SPD eine Bandbreite in einem Thema wie der Energiepolitik, auch zwischen den einzelnen Bundesländern unter SPD-Führung. Und ja, SPD-Mitglieder wie ich wollen schneller zu 100% Erneuerbare Energien kommen als z.B. Hannelore Kraft oder Olaf Scholz. Aber ich war auch beeindruckt davon, wie Hannelore Kraft in den Koalitionsverhandlungen gegen einen verbindlichen Maximalausbau Erneuerbarer, für das Ziel von 75% Erneuerbaren in 2030 und für ein verbindliches nationales Klimaschutzgesetz gekämpft hat. Nicht überall konnten wir uns jedoch gegen CDU/CSU und Peter Altmaier durchsetzen.

Sollte das EEG Ihrer Ansicht nach reformiert werden? Kann die Einbeziehung von bestimmten Industriebranchen in die Umlage für erneuerbare Energien, die momentan die Bürger/innen und KMUs alleine zahlen, die Energiepreise auf angemessenes Niveau bringen?

KELBER: Ja, wir müssen das EEG deutlich weiterentwickeln, wenn die Erneuerbaren aus dem 25%-Bereich schon in zehn Jahren zur dominierenden Stromquelle anwachsen sollen. Vor allem aber müssen wir das gesamte Energierecht und das Strommarktsystem so umstellen, dass Erneuerbare im Mittelpunkt stehen und fossile Energien die Ersatz- und Ergänzungsfunktion übernehmen. Dann wird es auch billiger sein als heute, wo die Erneuerbaren am Spotmarkt verscherbelt werden. Eine Zurücknahme der EEG-Befreiungen auf ein erklärbares Maß trägt weniger als gedacht zur finanziellen Entlastung bei, ist aber für die Akzeptanz dennoch wichtig.

Frau Kraft spricht vom Erhalt von Arbeitsplätzen in der Kohleindustrie. Diesen knapp 30.000 Arbeitsplätzen stehen jedoch über 400.000 Arbeitsplätze in den erneuerbaren Energien gegenüber, bis 2020 sollen es mindestens 500.000 sein. Die Kohleförderung hingegen wird bis 2018 zurückgefahren. Was sagt man dazu?

KELBER: NRW und Hannelore Kraft schauen auf den Strukturwandel, an den Kraftwerksstandorten und auch beim Braunkohleabbau. Das ist verständlich, es muss aber bei einem sozial begleiteten und die Innovationskräfte stärkenden Strukturwandel bleiben, man darf nicht auf die Status-Quo-Lobbyisten hören. Zweitens muss man NRW garantieren können, dass es als Standort für energieintensive Industrien im internationalen Kostenvergleich bestehen kann. In diesen Industrien arbeiten weitaus mehr Menschen als in den RWE-Kraftwerken, daher ist das ist für seine wirtschaftliche Situation überlebensnotwendig. Das müssen auch wir Umweltbewegten verstehen.

Nun auch an Sie die Frage: Warum tun Sie, was Sie tun? Woher rührt Ihr ungebremstes Engagement für eine nachhaltige Energieversorgung?

KELBER: Schon als Jugendlicher war mir klar, dass wir so nicht weitermachen können. Ich will eine saubere, sichere und sanfte Zukunft. Und ich bin ein Technikfan, daher verstehe ich nicht, warum man an Uralt-Technologien wie Atomkraft und Kondensationskraftwerken festhalten sollte. Mein wichtigster Beweggrund heute: Ich habe fünf Kinder!

In der CSU wiederum macht sich der Bundestagsabgeordnete und Leiter des Umweltarbeitskreises der CSU Josef Göppel seit langem für erneuerbare Energien stark und hat gerade ein Konzept zur Reform des EEG in die Koalitionsverhandlungen eingebracht.

Herr Göppel, die CSU hat das ursprüngliche Gesetz zur Stromeinspeisung 1990 mit ins Leben gerufen und damit die Weichen für das heutige EEG gestellt. Worin sehen Sie die Stärken des EEG, was gilt es zu erhalten, und wie sieht Ihr Reformvorschlag aus?

GÖPPEL: Das EEG ist international das erfolgreichste Instrument zur Förderung erneuerbarer Energien. Seine größte Stärke sehe ich in der Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten und dem Aufbau einer dezentralen Stromerzeugung. Mein wichtigster Reformvorschlag ist die Einbeziehung der 900 deutschen Stromversorger in die Vermarktung, um das ständige Überlaufen des Spotmarkts an der Börse zu beseitigen.

Auch Sie sind als hartnäckiger Promoter der erneuerbaren Energien in Ihren eigenen Reihen bekannt. Sie haben sich vor der Energiewende schon als einziger CSU-Abgeordneter gegen die Verlängerung der Atomlaufzeiten in Deutschland ausgesprochen und damit für Aufsehen gesorgt. Welche Ziele verfolgen Sie weiterhin, von wem rechnen Sie mit Unterstützung? Wie gedenken Sie, Ihre Ziele in der großen Koalition durchzusetzen?

GÖPPEL: Die Stromerzeugung in der Hand der Bürger ist deswegen so wichtig, weil damit ein anderer Umgang mit Energie einhergeht. Aus passiven Konsumenten werden aktive Gestalter der Energiewende. Die Erfahrung zeigt, dass solche Menschen einen energiebewussteren Lebensstil annehmen. In der Koalition mit der SPD spielt die deutsche Braunkohle eine große Rolle. Darüber haben wir in der Arbeitsgruppe Energie geredet. Der Kompromiss liegt im Zeitablauf. Selbst bei entschlossenem Ausbau der erneuerbaren Stromquellen brauchen wir die Konventionellen noch eine ganze Generation lang. Deshalb erwarte ich von der SPD Unterstützung für die Erneuerbaren. Für sie als Antiatompartei kann es kein Zurück geben!

Aus welchem Grund engagieren Sie sich entgegen aller Widerstände so stark hierfür? Was treibt Sie ganz persönlich dazu an?

GÖPPEL: Die Art der Energieversorgung war in der Geschichte immer entscheidend für das gesamte Wirtschaftsgeschehen. Die Hinwendung zu einem Leben und Wirtschaften im Einklang mit natürlichen Kreisläufen steht und fällt deshalb mit einem kohlenstofffreien und dezentralen Energiesystem.

Werden diese Energiewende-Politiker in den eigenen Reihen der neuen Bundesregierung angehört, oder brauchen wir eine parteiübergreifende Initiative von Bundestagsabgeordneten, die dem Wunsch der Mehrheit der Bundesbürger folgend die Energiewende zu neuem Leben erwecken?

Hierbei dürften auch Fürsprecher einer nachhaltigen Energieversorgung der Grünen eine bedeutende Rolle spielen, zu denen im Bundestag der Energiepolitiker Oliver Krischer mit seiner Detailkenntnis der NRW-Energiewirtschaft und die vom Umweltbundesamt kommende Julia Verlinden mit ihrem Plädoyer für eine begleitende Energieeffizienzwende gehören.

Herr Krischer, die Grünen sind in der Opposition gelandet. Wie ist aus dieser doch schwächeren politischen Position nun noch das Ruder herumzureißen, um die Energiewende nicht zum Erliegen zu bringen? Können Sie sich eine gemeinsame Initiative mit Verbündeten der Koalitionsparteien und der Linken vorstellen?

KRISCHER: Was uns da an Ergebnissen aus den Koalitionsverhandlungen in Energiebereich vorliegt, erfüllt mich mit großer Sorge. Das ist kein großer Wurf, nicht mal ein Schritt nach vorne. Das klingt eher nach „Energiewende-Ende“ als nach Aufbruch. Der Ausbau der Erneuerbaren wird ausgebremst, Klimaschutz findet dank völlig unambitionierter Ziele praktisch nicht mehr statt. Dabei sind wichtige Punkte immer noch nicht geklärt: Nach wie vor steht die Unionsforderung nach einer Planwirtschaft für Erneuerbare Energien („verbindlicher Ausbaukorridor“) im Raum. Und die SPD fordert weiter Subventionen für Kohlekraftwerke, die Energiewende und Klimaschutz ad absurdum führen würden. Völlig nebulös bleibt auch, wie die ausufernden Ausnahmen bei der EEG-Umlage für die Industrie konkret begrenzt werden sollen. Beim CO2-Emissionshandel kann man sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner des Backloadings verständigen, während eine echte Reform des Emissionshandels nicht angepackt werden soll. So schaffen die Vereinbarungen der Großen Koalition nicht die dringend notwenige Investitionssicherheit für Energiewende und Klimaschutz und schaden der Zukunft des Industriestandortes Deutschland.

Wir werden alles dafür tun, damit die unsinnigen und falschen Maßnahmen der Großen Koalition am Ende so nicht im Gesetzblatt stehen. Dazu werden wir selbstverständlich mit allen Kräften, die eine dezentrale, erneuerbare Energiewende wollen, innerhalb und außerhalb des Parlaments zusammenarbeiten. Wir brauchen ein breites gesellschaftliches Bündnis, das für die Energiewende weg von Kohle und Atom hin zu erneuerbaren Energien und Energieeffizienz eintritt. Nur so kann die Energiewende gerettet werden.

Frau Verlinden, Sie sind brandneu in den Bundestag eingezogen und bringen Fachkompetenz und Sachverstand aus Ihrer Tätigkeit am Umweltbundesamt in die Debatte ein. Sie sprechen sich für eine starke Energieeffizienzpolitik zum Gelingen der Energiewende aus. Warum? Wie sieht diese aus?

VERLINDEN: Die Debatte der Energiewende konzentriert sich leider hauptsächlich auf Strompreise und die benötigte Anzahl von Windrädern, Solarzellen und Biogasanlagen. So wichtig der Umbau auf Wind und Sonne ist: Energiewende ist weitaus mehr als eine Stromwende. Zwei Perspektiven will ich daher stärker in die Debatte bringen: Den Wärmemarkt und die Energieeffizienz.

Wie erneuerbar und effizient wir heizen, ist eine zentrale Frage für das Gelingen der Energiewende insgesamt – die Heizenergie macht in den meisten privaten Haushalten einen sehr viel größeren Anteil am Gesamtenergieverbrauch aus als der Strom. Es gibt zahlreiche ungenutzte Potentiale, um Energie effizienter einzusetzen, wie bessere Gebäudedämmung, moderne Heizungen und sparsamere Elektrogeräte. Wenn wir Energie effizienter produzieren und nutzen, erreichen wir schneller unser Ziel, die fossilen und atomaren Kraftwerke vom Netz zu nehmen. Die umweltfreundlichste und preiswerteste Kilowattstunde ist diejenige, die nicht gebraucht wird.

Die Energieeffizienz ist folglich der Katalysator der Energiewende und hilft dabei, die Ziele „höherer Anteil Erneuerbare Energien“ und „weniger Treibhausgase“ schneller und kostengünstiger zu erreichen.

Welche politischen Vorschläge können aus Ihrer Sicht der Energiewende noch zum Erfolg verhelfen?

VERLINDEN: Die meisten Effizienzmaßnahmen rechnen sich selber – über die eingesparten Energiekosten. Trotzdem muss die Hürde der oftmals hohen Anfangsinvestitionen genommen werden. Drei Faktoren sind entscheidend: 1) verlässliche politische Rahmenbedingungen, die langfristige Investitionen ermöglichen, 2) zuverlässige Informationen und kompetente Beratung  durch Energieberater, und 3) finanzielle Anreize, insbesondere im Mietwohnbereich.

Für die zunehmende Anzahl kleiner StromproduzentInnen  und Energiedienstleister im sich verändernden Energiemarkt braucht es unterstützende politische Rahmenbedingungen. Es wird nicht mehr Energie verkauft, sondern Energie plus Beratung zur Energieeinsparung.  Energiewendeprojekte werden heute von Bürgerinnen und Bürgern auf den Weg gebracht: Wer Teil der Energiewende ist, identifiziert sich damit, möchte das gemeinsame Projekt voranbringen. Ein Festhalten an alten Strukturen ist absolut nicht mehr angebracht.

Herr Willenbacher hat sein Angebot an Frau Merkel erneuert. Wie sieht Ihr Angebot an Frau Merkel aus? Was fordern Sie von der Kanzlerin, von Frau Kraft und von Herrn Altmaier?

Herr Göppel: Jetzt wird so viel über Kosten geredet. Die wichtigsten erneuerbaren Energien Wind und Sonne haben nach der Amortisation ihrer Investitionssumme fast keine variablen Kosten. Sie werden deshalb gegen Ende des Jahrzehnts den Strom viel preiswerter anbieten können. Diese Energieformen belasten auch die Atmosphäre nicht und sind abwärmefrei. Ich hoffe, das wird die Physikerin Angela Merkel überzeugen.

Frau Verlinden: Ich erwarte, dass die Bundesregierung sich konsequent für Klimaschutz und für die Energiewende einsetzt. Das möchte auch die Mehrheit der Menschen in Deutschland. Und wir sind es denjenigen schuldig, die bereits jetzt und in Zukunft unter dem Klimawandel zu leiden haben. Mitdenken für zukünftige Generationen und internationale Solidarität sehen anders aus als Besitzstandswahrung und Klientelpolitik, Frau Bundeskanzlerin!

Herr Krischer: Unmoralische Angebote zu machen überlasse ich anderen, erst recht wenn sie an Frau Merkel gerichtet sind. Es muss aufhören, dass Frau Merkel, Frau Kraft und Herr Altmaier von der Energiewende schwadronieren, im Alltag aber bei fast jeder Frage gegen die Ziele agieren. Es sollte doch langsam auch dem Letzten aufgegangen sein, dass die Energiewende DAS industriepolitische Projekte des 21. Jahrhunderts in Deutschland ist, das fast nebenbei auch noch eine Demokratisierung eines Wirtschaftssektors mit sich bringt, der bisher von Oligopolen geprägt war. Wenn es in Deutschland gelingt, den Weg zu 100% Erneuerbaren in den nächsten Jahrzehnten zu gehen, ohne dass wir unsere Industrie und unseren Wohlstand verlieren, dann wird das ganz sicher Nachahmer in der Welt finden. Das ist dann vielleicht auch der entscheidende Beitrag, um weltweit zu einer nachhaltigen und klimafreundlichen Energieversorgung zu kommen. Und für Deutschland ist es die Chance, in einem wichtigen Wirtschaftssektor die Technologieführerrolle zu behalten und auszubauen.

Nun noch eine abschließende Frage an Herrn Willenbacher: Was raten Sie den Bürgerinnen und Bürgern, den Unternehmen, den Politikern aller Parteien – wie sieht das Ziel aus, das wir in Deutschland bis 2020 nach dem Ausstieg aus der Atomenergie und dem Einstieg in die Energiewende erreichen können?

WILLENBACHER: Das Ziel lautet klar und deutlich: 100 Prozent erneuerbare Energien. Das können wir bis 2020 erreichen. Wie genau es geht und was dafür zu tun ist, habe ich in meinem Buch: „Mein unmoralisches Angebot an die Kanzlerin“ schlüssig dargelegt. Jetzt liegt der Ball bei den Politikern. Sie müssen ihn nur ins richtige Tor schießen.

Energiewende-Interessierten sei noch folgende Rettungsaktion empfohlen: Am 30. November findet eine Energiewende-Demonstration in Berlin statt. Eine wachsende Anzahl von Nichtregierungsorganisationen und Privatpersonen unterstützt diese Aktion – vom Hauptbahnhof geht es direkt zum Kanzleramt. Dort werden Antworten von Frau Merkel erwartet: Wie gedenken Sie die Energiewende zu gestalten? Wie werden Sie auch zukünftig Deutschlands Rolle als Exportweltmeister von erneuerbaren Energie- und Energieeffizienztechnologien sichern – nachdem Sie die Branche  in der letzten Regierungszeit doch erheblich ins Schleudern brachten? Oder soll nun auch die Windbranche untergehen?

Nähere Informationen für Aktionsinteressierte: http://www.energiewende-demo.de

Herzlichen Dank an alle Interviewpartner/innen! Das Interview führte Kartin Heeren

Quelle

Katrin Heeren 2013


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