Umweltrat: Reformiertes Klimagesetz schwächt den Klimaschutz
Umweltverbände fieberten schon der Verhandlung ihrer Verfassungsklage gegen das aufgeweichte Klimaschutzgesetz entgegen. Dazu wird es vorerst nicht kommen. Der Bund hat beim Gericht Fristverlängerung für angefragte Stellungnahmen beantragt. Die des Umweltrates liegt aber schon vor.
Klimaschutz steht in Deutschland auf der Kippe. Tatsächlich ist das beschönigt, derzeit droht der freie Fall.
Woran man das erkennt? Zum Beispiel daran: Umwelt- und Klimaschützer verteilten letzte Woche zuversichtliche Erklärungen, dass Verfassungsorgane wie Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag bis zum 15. Oktober dem Bundesverfassungsgericht Stellungnahmen vorzulegen hätten – zu der Klage von fünf Organisationen gegen das reformierte Klimaschutzgesetz.
Dass die Regierenden zu einer Stellungnahme aufgefordert wurden, sei schon ein Teilerfolg, freute sich Susanne Jung vom mitklagenden Solarenergie-Förderverein (SFV). Wie Bundesregierung und Ministerien ihre rückwärtsgewandte Position verteidigen wollen, bleibe nun abzuwarten, sagte sie noch.
Nun – das bleibt wirklich abzuwarten. Denn die erwähnten Stellungnahmen stehen nach wie vor aus, wie eine Sprecherin des Gerichts am Freitag auf Anfrage von Klimareporter° einräumte. Fristverlängerungen seien beantragt worden, und der weitere Gang des Verfahrens der Verfassungsbeschwerden sei „noch nicht absehbar“, so die Sprecherin weiter.
Andere, die ebenso zur Stellungnahme aufgefordert waren, hielten sich an die Frist, darunter der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU). Das von der Bundesregierung eingesetzte Wissenschaftsgremium hat seine 15‑seitige Position zur Verfassungsklage auch gleich veröffentlicht.
Zur Erinnerung: Bei dem richtungsweisenden Klimaurteil des Verfassungsgerichts 2021 hatte der Umweltrat eine wichtige Rolle gespielt. Denn das Gericht hatte sich im Urteil ausdrücklich auf die Berechnungen des Gremiums zum deutschen CO2-Budget bezogen.
Umweltrat sieht Deutschland „großzügig“ behandelt
Diese beruhten auf „nachvollziehbaren Annahmen“ und „schlüssigen Rechenschritten“, schrieben die Richter und verdonnerten die damalige Koalition von Union und SPD dazu, das Klimagesetz von 2019 deutlich zu verschärfen.
In seiner aktuellen Stellungnahme zur Verfassungsklage bleibt der SRU bei seiner Haltung, als Berechnungsgrundlage fürs CO2-Bugdet die Bevölkerungsanteile der Staaten im Jahr 2016 zu nehmen – dem Jahr, in dem das Pariser Klimaabkommen in Kraft trat.
Davon ausgehend billigt der Umweltrat jedem Menschen das gleiche Recht auf Nutzung des CO2-Budgets zu, das global zur Einhaltung des 1,5-Grad-Limits noch verbleibt.
In seiner Stellungnahme erinnern die Sachverständigen zugleich daran, dass die Wahl des Basisjahres 2016 eine „großzügige“ Budget-Auslegung zugunsten Deutschlands darstellt.
Denn würden die historischen Emissionen in der Zeit von 1851 bis 2021 zugrunde gelegt, belegte Deutschland global den fünften Platz unter den Ländern. Platz vier wäre es sogar, wenn man die Emissionen aus Landnutzung – also der Effekt natürlicher CO2-Senken – herausrechnet und nur die direkten Emissionen Deutschlands berücksichtigt, macht der Umweltrat klar.
Gemessen an den absoluten jährlichen Emissionen liegt Deutschland derzeit übrigens auf dem neunten Platz. Wer – wie die derzeitige Bundesregierung – allein daran klimapolitische Verantwortung festmacht, redet diese klein und ignoriert die hierzulande wie weltweit wachsende Klimalücke.
Emissions-Budgets schrumpfen schneller als vorausgesagt
Das ergibt sich auch aus den neuen Berechnungen des Umweltrats. Danach hat die Menschheit seit 2021 nicht das Emissionsbudget von vier Jahren „verbraucht“, sondern von etwa acht bis neun Jahren.
Der erste Grund: Die globalen CO2-Emissionen verharren auf hohem Niveau. Der auch von vielen Klimaschützern gern beschworene CO2-Peak ist nicht eingetreten. Von 2021 bis 2024 hat sich so ein einst vorhandenes CO2-Budget von 200 Milliarden Tonnen im wahrsten Sinne in Luft aufgelöst, rechnet der Umweltrat vor.
Zweitens haben sich die Berechnungsmethoden weiter verbessert. Insbesondere wird im Vergleich zu älteren Modellen der Klimabeitrag der Nicht-CO2-Emissionen wie Methan oder Lachgas als größer eingeschätzt, schreibt der Umweltrat. Die Folge: Das globale CO2-Budget schrumpft.
Schließlich weisen nach Auffassung der Wissenschaftler die hohen globalen Durchschnittstemperaturen der letzten Jahre darauf hin, dass – kurz gesagt – weniger menschengemachte Treibhausgase nötig sind, um ans 1,5-Grad- oder auch ein anderes Erwärmungs-Limit zu kommen.
Auch wenn die Ursachen für die beschleunigte Erwärmung nicht ganz klar seien, sinke das verbleibende CO2-Budget, stellen die Wissenschaftler klar. Alles in allem beziffert der Umweltrat die „Schrumpfung“ des globalen 1,5-Grad-Budgets seit 2021 auf gut 370 Milliarden Tonnen – vergleichsweise also ein „Verbrauch“ von aktuell rund acht bis neun Emissionsjahren.
Geringeres CO2-Budget trifft auf geschwächten Klimaschutz
Auch Deutschland sieht sich einem gegenüber 2021 deutlich geringeren CO2-Budget gegenüber, vor allem wegen der völligen Umkehr der Emissionen im Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF).
Für die Zeit von 2018 bis 2023 wurden die Gesamtemissionen dieses Sektors um gut 420 Millionen Tonnen CO2 nach oben korrigiert, stellt der SRU fest – entsprechend schrumpfte das deutsche CO2-Budget.
Diesem geringeren CO2-Budget steht dabei mit dem noch von der Ampel-Regierung novellierten Klimaschutzgesetz ein geschwächter Klimaschutz gegenüber, macht der Umweltrat weiter deutlich.
Er kritisiert in der Stellungnahme, dass im Klimagesetz trotz erkannter Klimadefizite die Pflicht zum unverzüglichen Handeln ebenso aufgegeben wurde wie das Prinzip der Ressortverantwortlichkeit, das in eine allgemeine Regierungsverantwortung zurückgeführt wurde.
Die Folge: Die deutschen Treibhausgasemissionen werden in den nächsten 25 Jahren alljährlich die Reduktionsziele des Klimaschutzgesetzes verfehlen, erklärt der SRU in seiner Stellungnahme. Entsprechend sei das Erreichen der Klimaneutralität zurzeit weder mit den bestehenden noch mit weiteren geplanten Klima-Maßnahmen in Sicht.
„Substanzielle Umsetzungslücke“ bei den deutschen Klimazielen
Derzeit müsse von einer „substanziellen Umsetzungslücke“ ausgegangen werden, schlussfolgert der Umweltrat. Das deutsche CO2-Budget für ein 1,75-Grad-Ziel werde schon 2030 erschöpft sein.
Dabei sei die Aussage, das Klimaschutzgesetz liefere einen Beitrag zum Pariser Klimaziel, um mit 1,75 Grad Celsius „deutlich unter zwei Grad“ zu bleiben, ebenso wenig zutreffend wie die Aussage, das Gesetz sei kompatibel mit einem 1,5-Grad-Ziel, stellt der Umweltrat klar.
Diese eindeutige Stellungnahme wird von den Klimaklägern selbstredend begrüßt. Durch das Gutachten bekomme die Verfassungsbeschwerde noch einmal deutlichen Rückenwind, erklärte Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH).
Es brauche endlich eine Politik, die das Paris-Abkommen ernst nehme und das CO2-Budget als verbindliche Grenze begreife, so Resch. Nötig sei unter anderem, umgehend ein Klimanotfallprogramm zu verabschieden.
Über die von den Regierenden beantragte Fristverlängerung zeigt sich Resch einigermaßen erschüttert. Seit Monaten hätten die Regierungsstellen Zeit gehabt, etwas Substanzielles vorzulegen, kritisierte der DUH-Chef. Seit Jahrzehnten sei es nicht mehr vorgekommen, dass sich eine Bundesregierung derart systematisch vom Klimaschutz verabschiede, prangerte Resch an.
Zwischenfazit: Der wieder und wieder genährte Glaube, die schwache Klimapolitik der Regierung wenigstens vor Gericht stellen zu können, ist vorerst und auf längere Sicht zerstoben. Der Klimaschutz befindet sich offenbar im freien Fall.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Jörg Staude) 2025 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!







