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pixabay.com | Gerd Altmann | Deutschland Gesetz

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Was getan werden muss, um den Klimaschutz verfassungskonform zu machen

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts letzte Woche war ein historischer Moment für den Klimaschutz in Deutschland und darüber hinaus.

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass das Klimaschutzgesetz unzureichend ist, um die kommenden Generationen vor den katastrophalen Folgen einer globalen Erderwärmung von 2°C und aufwärts zu bewahren. Doch nun steht die Frage im Raum: Wie muss das Klimaschutzgesetz verändert werden, um das Erreichen von klimatischen Kipppunkten und damit eine globale Heißzeit zu verhindern?

Der australische Think-Tank Breakthrough gab hierzu bereits im Februar eine Studie heraus, die belegt, dass selbst das 2°C-Limit nur mit sehr viel drastischeren Maßnahmen eingehalten werden kann, als derzeit von jeglichen Regierungen verfolgt werden. Nun wurde eine deutsche Version vorgelegt, die lesen und kennen muss, wer sich ernsthaft mit Klimaschutz auseinandersetzen möchte.

Die Studie trägt neueste Erkenntnisse einiger der weltweit renommiertesten Wissenschaftler*innen im Bereich Klima und Energie zusammen und kommt zu dem Schluss, dass die Kohlenstoffbudgets des Weltklimarats (IPCC) die aktuelle und zukünftige Erderwärmung dramatisch unterschätzen. Bereits die derzeitige weltweite Konzentration von Treibhausgasen reicht aus für eine Erwärmung um 2°C oder mehr. Ein Kohlenstoff-Budget für die Einhaltung des 1,5°C-Limits gibt es also nicht mehr. Selbst um das 2°C-Ziel noch zu erreichen, müssten die weltweiten Emissionen schon bis 2030 auf Null reduziert werden. Alle späteren Ziele beinhalten nicht tragbare Risiken für die Menschheit und alle zukünftigen Generationen.

Die Zusammenfassung der Studie zeigt die Dramatik der Temperaturentwicklung auf dem Planten Erde auf:

  • Die Kohlenstoffbudgets des Weltklimarats (IPCC) unterschätzen die aktuelle und zukünftige Erderwärmung, lassen wichtige Rückkopplungsmechanismen des Klimasystems unberücksichtigt und treffen gefährliche Annahmen in Bezug auf das Risikomanagement
  • Eine Erwärmung um 1,5°C bis 2030 oder früher ist wahrscheinlich, und ein Produkt früherer Emissionen.
  • Für das 1,5°C-Ziel gibt es kein Kohlenstoffbudget mehr. Solche „Budgets“ schießen über reale Ziele hinaus, basierend auf unrealistischen Abhängigkeiten von spekulativen Technologien.
  • Die derzeitigen Konzentrationen an Treibhausgasen reichen für eine Erwärmung von mindestens 2°C, oder mehr.
  • 2°C Erwärmung sind alles andere als ‚sicher‘ (gesellschaftlich & ökologisch-tragbar) und können das sogenannte „Treibhaus Erde“-Szenario auslösen.
  • Auf der Grundlage eines vernünftigen Risikomanagementansatzes, gibt es kein verbleibendes Kohlenstoffbudget für 2°C.
  • Selbst wenn man das Kohlenstoffbudget des IPCC für 2°C zum Nennwert akzeptieren würde, müssten die Emissionen der Industrieländer mit höheren Pro-Kopf-Emissionen vor 2030 bei Null angekommen sein.

Diese Erkenntnisse stehen in starkem Kontrast zu den aktuellen Plänen der Bundesregierung.

Zwar haben führende Vertreter*innen in der Union, wie Kanzlerkandidat Laschet, Bayerischer Ministerpräsident Söder oder Wirtschaftsminister Altmaier, auf das Urteil des Verfassungsgerichts reagiert und streben nun Klimaneutralität bis 2045 oder 2040 an. Doch genau das bedeutet, dass auch noch nach 2030 weiterhin große Mengen Treibhausgase emittiert werden, obwohl dies zu einer schnellen Überschreitung von 2°C Erderwärmung führt, wie die neuesten Forschungen, zusammengefasst von Breakthrough, eindringlich belegen.

Selbst nach dem historischen Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 29. April ist also keine wirkliche Kursänderung in der Klimapolitik der Regierung zu erkennen. Derzeit streiten sich amtierende Politiker*innen über Schuldzuweisungen und debattieren lediglich die Ergänzung von unzulänglichen Zwischen-Zielen nach 2030, anstatt sich mit der grundsätzlichen Paris-Kompatibilität ihrer Klimapolitik auseinanderzusetzen.

Um die Regierung zur Einsicht zu bringen, müssen auch die unabhängigen Klima- und Energieorganisationen endlich Ziele wie „Klimaneutralität bis 2050“ ablegen und sich den Fakten stellen. So sollte beispielsweise die Dena, eine der wichtigsten Beratungsorganisationen der Bundesregierung zum Thema Energiewirtschaft, dringend die Ziele und daraus folgend die Maßnahmen ihrer anvisierten Leitstudie aktualisieren, die eine Emissionsreduktion um 55% bis 2030 und „Treibhausgasneutralität bis 2050 als langfristiges Ziel“ unterstützt. Mit diesen Zielen ist die DENA genauso wie andere Regierungsberatungsstellen nicht mehr verfassungskonform, denn damit würde das in Paris vereinbarte Ziel von 2°C Erderwärmung weit überschritten. Die Leitstudie der DENA muss vielmehr aufzeigen, wie die Emissionen auch im Energiesektor bis 2030 beendet werden können.

Ebenso unzulänglich und irreführend sind die neu vorgelegten Eckpunkte zur Reformierung des Klimaschutzgesetzes von Agora Energiewende. In ihrem Papier wird der Regierung empfohlen, die Emissionen bis 2030 um 65% zu reduzieren, anstatt 55% um die Klimaneutralität schon 2045, also 5 Jahre früher als bisher geplant, zu erreichen. Dass solche Ziele nicht nur unzureichend und grob fahrlässig sind, sondern schlichtweg nicht verfassungskonform, wurde nun vom Bundesverfassungsgericht bestätigt.

Es ist nun dringend an der Zeit, dass die Regierung die neusten wissenschaftlichen Fakten anerkennt und ihre Ziele dementsprechend anpasst, um einen wahren Beitrag zu leisten, die größte Katastrophe für die Menschheit noch zu verhindern.

Quelle

Hans-Josef Fell 2021Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG

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