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Welternährung in der öffentlichen Wahrnehmung

Ergebnis einer repräsentativen Verbraucherbefragung der Universität Göttingen zur Wahrnehmung des Themas Welternährung in der deutschen Bevölkerung: Beitrag der Landwirtschaft zur Bekämpfung des Welthungers wird unterschätzt Hunger wird als Verteilungsproblem wahrgenommen. Konsumverhalten in der EU wird für die Welternährung wichtiger empfunden als die EU-Agrarproduktion. Bei tatsächlichen Konsumentenentscheidungen spielt das Thema Welternährung aber keine Rolle. Verbraucher sehen Problemlösungskompetenz bei NGOs und Wissenschaftlern.

Die Deutschen betrachten die europäische Landwirtschaft nur in geringem Maß als möglichen Problemlöser für das Welthungerproblem. Das ist eines der Ergebnisse einer repräsentativen Verbraucherbefragung der Universität Göttingen (Lehrstuhl für Welternährungswirtschaft) im Auftrag der Heinz Lohmann Stiftung. Im März 2012 haben die Wissenschaftler 1200 Verbraucher in ganz Deutschland zu möglichen Ursachen der Welthungerproblematik und zur Kompetenz verschiedener Akteure befragt. Auch ermittelte die Online-Umfrage, in welchen Kontext die Befragten den Hunger in Entwicklungsländern und die Agrar- und Ernährungswirtschaft einordnen.

Die weltweite Nachfrage nach Getreide wächst derzeit schneller als das Angebot, so dass die Preise steigen. Bis 2050 wird die Agrarproduktion deutlich gesteigert werden müssen, um mit der Nachfrageentwicklung schrittzuhalten. Dies stellt vor dem Hintergrund des Klimawandels und knapper Ressourcen eine große Herausforderung dar. Trotzdem sieht die Mehrheit der Befragten die Lösung für das globale Ernährungsproblem nicht primär in der Landwirtschaft.

Als Hauptursachen für den Hunger gelten vielmehr Dürren, Kriege und Konflikte sowie Korruption in den Entwicklungsländern. Aspekte, die unmittelbar mit der Landwirtschaft in Verbindung stehen – wie die Bioenergie, der geringe Einsatz von modernen Technologien in den Entwicklungsländern und Nachernteverluste – schätzten die Teilnehmer der Befragung hingegen als relativ unbedeutend ein. „Dürren, Kriege und Konflikte sind häufig in den Medien, machen aber de facto nur einen kleinen Teil des Hungerproblems aus“, sagt der Göttinger Agrarwissenschaftler Matin Qaim, der die Umfrage gemeinsam mit Wilhelm Klümper und Jonas Kathage verantwortet.

Hunger wird als Verteilungsproblem betrachtet

Auch die Frage, ob Hunger und Unterernährung eher eine Frage der Verteilung oder der Produktion von Lebensmitteln sind, war Gegenstand der Erhebung: Die meisten Deutschen sehen Verteilungsprobleme als Ursache für den Welthunger an. Der verstärkte Einsatz ertragreicher Sorten in der Landwirtschaft wird zwar von 75 Prozent der Befrag-ten als Verbesserung für die Welternährung betrachtet. Gleichzeitig befürchten aber 41 Prozent durch den verstärkten Einsatz von Gentechnik eine Verschlechterung. Hier werden weit verbreitete Ängste vor Umwelt- und Gesundheitsrisiken der Gentechnik auf das Thema Welternährung übertragen, vermutet Qaim.

Der vermehrte Einsatz der Gentechnik ist nach Meinung der Mehrheit der Befragten eine der drei Maßnahmen, die die Welternährung am stärksten verschlechtern würde. Ähnlich negativ wird ein höherer Einsatz von Düngern und Pflanzenschutz von der Öffentlichkeit bewertet. Stattdessen versprechen sich über 70 Prozent Verbesserungen durch den Ausbau des Fairen Handels und ein Verbot der Spekulation mit Lebensmitteln. Angesichts der medialen Aufmerksamkeit für das Spekulationsthema in den vergangenen Monaten ist dieses Ergebnis ein Indiz für den starken Einfluss der Medien als Meinungsmacher.

„Mehr Öko-Landbau“ für eine verbesserte Welternährung

Auf die Rolle der konventionellen und Ökologischen Landwirtschaft angesprochen trauen die Befragten letzterer mehr zu. Fast jeder Zweite betrachtet den Ökolandbau „als vielversprechend für die Verbesserung der Welternährung.“ Aufgrund der Tatsache, dass die Ökologische Landwirtschaft im Gegensatz zur konventionellen als weniger ertragreich gilt, vermuten die Wissenschaftler auch hier einen starken Einfluss der Medien auf die persönliche Überzeugung.

Konsumverhalten innerhalb der EU wichtiger als landwirtschaftliche Produktion

Viele Befragte sehen im Konsumverhalten innerhalb der EU Chancen, Einfluss auf das Welternährungsproblem zu nehmen. Besonders der Bezug von regional erzeugten Lebensmitteln und fair gehandelten Produkten werden häufig genannt, ebenso der sparsame und bewusste Umgang mit Lebensmitteln. Beim tatsächlichen Kauf- und Konsumverhalten gaben die meisten jedoch an, dass das Thema Welternährung für sie persönlich keine bedeutende Rolle spielt. Insbesondere der Fleischkonsum, der in der öffentlichen Diskussion immer wieder als Problem für die Welternährung genannt wird, wird in der Realität kaum durch dieses Thema beeinflusst.

Deutsche Politiker und die Agrarwirtschaft gelten nicht als kompetent beim Thema Welternährung

Von zehn zur Auswahl stehenden Akteuren wird der Deutschen Welthungerhilfe in der Beurteilung von Fragen zur Welternährung die größte Kompetenz zugeschrieben – ganz im Gegensatz zu deutschen Politikern, die in Sachen Kompetenz bei der Welternährung das Schlusslicht bilden. Landwirtschaftliche Organisationen finden sich bei der Kompetenzzuschreibung im unteren Mittelfeld. Dem Deutschen Bauernverband wird hierbei mehr zugetraut als „Agrokonzernen“, was auf Vorbehalte gegenüber der Landwirtschaft als „Agro-Industrie“ in der Bevölkerung schließen lässt.

Hohes Vertrauen im Hinblick auf Welternährungsfragen genießt bei den Befragten die Organisation Greenpeace, die ihre Kernkompetenz sonst eher im Bereich Umwelt hat. Als „sehr kompetent“ stufen die Befragten neben der Welthungerhilfe einzig Agrarwissenschaftler ein.

Gesellschaftliches Umdenken erforderlich

Die Ergebnisse der Befragung machen deutlich, dass die öffentliche Meinung zum Thema Welternährung stark durch positive und negative Vorurteile geprägt ist, etwa bei der Einschätzung der Rolle des Ökolandbaus, der Agrochemie oder der Gentechnik. Dies sieht Matin Qaim mit Sorge: „Pauschalurteile bringen uns nicht weiter bei so hochkomplexen Fragen wie der Zukunft der Welternährung“, sagt der Wissenschaftler.

Der Begriff der Nachhaltigkeit dürfe nicht gleichgesetzt werden mit traditioneller, extensiver Produktion, wie viele Verbraucher sie sich heute vorstellen. „Innovation und ressourceneffiziente Wertschöpfung werden zunehmend wichtig, um einer wachsenden Weltbevölkerung globale Ernährungssicherheit bieten zu können.“ Das erfordere auch ein gesellschaftliches Umdenken.

Quelle

Engel & Zimmermann AG | Frank Schroedter 2012

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