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Wie Corona den Klimaschutz lähmt

Früher oder später werden wir die Coronakrise wohl überwinden können. Aber die viel größere Krise ist dabei aus dem Blick geraten: Beim Klimaschutz herrscht Stillstand. So kann es nicht weitergehen. Von Hans-Josef-Fell

Vielfach kann man in den Medien oberflächliche Berichte lesen, wonach die Corona-Pandemie wenigstens zum Klimaschutz beitrage, weil sich die weltweiten Treibhausgasemissionen dadurch in diesem Jahr verringert hätten.

Und laut der Weltmeteorologieorganisation WMO sind die weltweiten Treibhausgasemissionen in diesem Frühjahr in der Tat um bis zu 17 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des letzten Jahres zurückgegangen. 

Aber ein Beitrag zum Stopp der Erderwärmung ist dies bei Weitem nicht. Selbst bei einer ganzjährigen Minderung um 17 Prozent würden die Emissionen immer noch auf untragbar hohem Niveau liegen und so die atmosphärische Treibhausgaskonzentration stark ansteigen lassen, die wiederum die globale Temperaturerhöhung antreibt.

Dabei ist die für den Klimaschutz vollkommen unzulängliche Emissionsreduktion nur der kleinere Teil des Problems. Es sind besonders die indirekten Auswirkungen der Pandemie, die zu einer massiven Beschleunigung der Erderwärmung beitragen.

Dazu gehört vor allem der durch die Lockdown-Maßnahmen verursachte Rückgang des gesellschaftlichen Engagements für den Klimaschutz.

Denn Milliarden Menschen werden ihr Leben in wichtigen Bereichen neu ausrichten müssen, um sich klimagerecht zu verhalten. Dafür braucht es millionenfache, dezentrale Aktivitäten in allen Teilen der Gesellschaft, überall auf der Welt.

Solche Vor-Ort- und Graswurzel-Initiativen werden zum großen Teil auch ohne regierungsamtliche Unterstützung organisiert. Doch leider finden die weitaus meisten dieser Aktivitäten und Vernetzungen in der Corona-Krise nicht mehr statt – und das führt zu einer Lähmung des Klimaschutzes an sich.

Der ausgefallene Klimagipfel – nur die Spitze des Eisbergs 

Wie das wirkt, sehen wir exemplarisch an der Absage der diesjährigen Weltklimakonferenz COP 26 in Glasgow, die nach ursprünglicher Planung gerade in diesen Tagen zu Ende gehen sollte. Sie soll nun ein Jahr später stattfinden. Als ob die Naturkatastrophe auf uns warten würde, bis wir Menschen endlich bereit sind, Klimaschutz ernsthaft zu organisieren.

Es ist zwar nicht so, dass von der COP 26 weitreichende Beschlüsse der Regierungen zu erwarten gewesen wären. Aber ebenso wichtig sind die weltweite Aufmerksamkeit und die Medienberichterstattung über die Notwendigkeit des Klimaschutzes angesichts der dramatisch zunehmenden Erderwärmung – das fällt nun einfach weg.

Die begleitenden globalen Vernetzungstreffen der vielen engagierten Klimaschutzorganisationen, die parallel zu jeder COP stattfinden, gibt es in diesem Jahr nicht. Auf den „Side Events“ und Alternativgipfeln der NGOs ist aber oft viel mehr für den Weltklimaschutz organisiert worden, als es die Regierungen je geschafft hätten.

Der ausgefallene Klimagipfel ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Er steht beispielhaft für Tausende andere internationale, nationale und regionale Konferenzen und Treffen überall auf der Erde, die einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz liefern. Sie wurden verschoben – teils um mehr als ein Jahr –, online veranstaltet oder ganz abgesagt.

Doch Onlinekonferenzen sind nur ein schwacher Ersatz. In virtuellen Räumen kann nicht die Vielfalt der Kommunikation und Interaktion stattfinden, die auf realen Treffen die Menschen bewegt und verbindet und dadurch hilft, ihre wertvollen Erfahrungen und Ideen zu verbreiten.

Gesellschaftlicher Burnout droht

Messen für erneuerbare Energien, auf denen Privatleute und Unternehmen Neues kennenlernen oder sogar gleich eine Investitionsentscheidung für Solar- oder Windenergie treffen konnten, gibt es nicht mehr. Vortragsveranstaltungen zum Klimaschutz in den Kommunen wurden tausendfach abgesagt und ersatzlos gestrichen.

Kraftvolle Proteste Hunderttausender Menschen wie die von Fridays for Future gibt es nicht mehr und damit auch viel weniger einprägsame Berichterstattung über die Gefahren der Klimakrise und die Notwendigkeit des Klimaschutzes.

Örtliche Informationsveranstaltungen zum Beispiel von Wind- oder Solarparkinvestoren, um die Akzeptanz in der Gemeinde zu erhalten, wurden aus Corona-Schutzgründen behördlich abgesagt.

Stammtische zum Austausch über Elektromobilität oder über Genossenschaftsgründungen für Windparks, Nahwärmeversorgung mit erneuerbaren Energien oder Dachsolaranlagen gibt es nicht mehr.

Alle diese gesellschaftlichen, meist ehrenamtlichen Aktivitäten waren bisher die treibende Kraft hinter erfolgreichen Aktivitäten für den Klimaschutz und haben ein Stück weit das Versagen von Regierungen ausgeglichen.

Damit nicht genug, führen die Lockdown-Maßnahmen in weiten Teilen der Gesellschaft zur psychischen Ermüdung, zu Depressionen bis hin zum Burnout. Was folgt, ist eine generelle Lähmung des gesamtgesellschaftlichen Engagements, was auch zu einem drastischen Rückgang der Aktivitäten für Klimaschutz und Energiewende führt.

So warnt Joachim Galuska, Psychiater und Gründer der Heiligenfeld-Kliniken für psychosomatische Medizin in Bad Kissingen, vor einem Corona-Burnout. „Wir haben es vermehrt mit Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen zu tun. Das sind alles auch Folgen eines Burnout-Prozesses“, sagt Galuska. „Burnout ist ja eigentlich ein Prozess und keine Krankheit. Und dieser Prozess führt dann zum Zusammenbruch.“

Gerade die junge Generation wird im Lockdown in eine existenzielle Krise gestürzt. So wird mitunter schon von einer möglichen „verlorenen Generation“ gesprochen. Dabei ist jede alternde Gesellschaft, die keinen jugendlichen Elan zur Erneuerung mehr erfährt, dazu verdammt, in der Verkrustung der bestehenden Strukturen unterzugehen. 

Corona überwinden, um beim Klima zu versagen?

Die Entwicklung ist höchst besorgniserregend, denn die Erdüberhitzung schreitet mit schnellen Schritten voran und wird, wenn die Menschheit nicht ausreichend gegensteuert, unweigerlich zur Auslöschung der Zivilisation in wenigen Jahrzehnten führen.

Wer das für übertrieben hält, möge einmal in die in diesem Herbst stark betroffenen Wirbelsturm-Regionen in Mittelamerika, den Philippinen, Vietnam oder Indien schauen. Dort kämpfen Menschen nach den langanhaltenden, extremen Überschwemmungen und Stürmen um ihre Existenz.

Sie müssen zusehen, dass sie nicht verhungern, sauberes Trinkwasser bekommen, wieder ein Dach über dem Kopf haben und die verloren gegangene Infrastruktur wieder aufbauen, wenn sie es denn überhaupt schaffen. Sie haben gar keine Möglichkeit, Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten.

Die Erdüberhitzung wird immer größere Teile der Menschheit in den nächsten Jahrzehnten in ähnliche Notlagen stürzen, wenn wir es als Menschen nicht schaffen, dem mit aller Kraft entgegenzutreten. Die Lockdown-Maßnahmen mögen uns hoffentlich aus dem Schlimmsten der Pandemie erlösen, aber sie verhindern gleichzeitig das Organisieren dringend notwendiger Maßnahmen für den Klimaschutz.

Eine verantwortungsvolle Politik muss aber beides im Blick haben und die gesellschaftlichen Prozesse zur Abwehr der Klimakrise entfesseln, statt sie zu lähmen. Am Ende nützt es uns allen nichts, wenn wir den Kampf gegen die Pandemie gewinnen und dann in der Klimakatastrophe untergehen.

Quelle

Hans-Josef Fell 2020Präsident der Energy Watch Group (EEC) und Autor der EEC | Erstveröffentlichung von der Redaktion „klimareporter.de“ 2020

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