‹ Zurück zur Übersicht
Fotolia.com | elcovalana

© Fotolia.com | elcovalana

Wirksame Abgasnorm droht zu scheitern

Neue Benziner und Diesel-Pkws, die weniger Schadstoffe in die Luft pusten, wären besser für Gesundheit und Klima. Doch das EU-Parlament lehnte wirksame Verbesserungen der Abgasnorm für Neuwagen ab. Ein Sieg der Autolobby?

Eine neue Abgasnorm Euro 7 kommt. Diese legt in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union fest, wie viel Schadstoffe Neuwagen ausstoßen dürfen. Zudem legen immer mehr Städte in Europa fest, dass bestimmte Autos mit älteren Abgasnormen nicht mehr in einigen Bereichen der Stadt fahren dürfen. In Deutschland etwa gelten Umweltzonen, in denen Autos mit einer schlechten Abgasnorm als Euro 4 nicht fahren dürfen. Für Autos mit der aktuell höchsten Abgasnorm Euro 6d gilt noch überall freie Fahrt. Und trotzdem stoßen auch diese erhebliche Mengen an umwelt- und klimaschädlichen Abgasen in die Luft.

60 Mikrogramm pro Kilometer (mg/km) an Stickoxiden (NO2) dürfen neue Benziner und 80 mg/km neue Diesel unter der Euro 6d Norm ausstoßen. Beim Kohlendioxid (CO2) sind es 1.000 mg/km bei Benzinern und 500 mg/km bei Diesel-Pkws. Angesichts von Klimakrise und mehr als 400.000 vorzeitigen Todesfällen in Europa aufgrund von Luftverschmutzung, ist der Ruf nach strengeren Abgasgrenzwerten für Verbrenner laut. Die Deutsche Umwelthilfe etwa verweist auf Kalifornien, wo der Grenzwert für Stickoxide aktuell bei umgerechnet 32 mg/km und ab 2025 bei 19 mg/km liegt.

Doch das EU-Parlament stimmte am gestrigen Donnerstag dafür, im Rahmen einer neuen Abgasnorm Euro 7, Grenzwerte für Benziner und Diesel lediglich anzugleichen. So sollen künftig für beide Verbrenner-Arten die Grenzwerte 60 Mikrogramm (mg/km) NO2 und 500 mg/km CO2 gelten. „Die Euro 7 ist ein Geschenk an die Autolobby. Eine fossile Allianz der Konservativen, Rechten und Liberalen hat die Abgasnormen auf ein gefährlich niedriges Niveau verwässert. Es gibt kaum eine Verbesserung gegenüber den vorherigen Standards“, kommentierte der klimapolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament Michael Bloss. Dass die EU-Kommission sich von der Lobby über den Tisch ziehen lassen hat, würden Recherchen des Guardian zeigen.

Politische Vertreter auf ihre Seite gezogen

Der Guardian und Voxeurop berichteten diese Woche über E-Mails und Protokolle, die sie im Zuge des Informationsfreiheitsgesetzes eingefordert hatten. Demnach fanden sich ein Vertreter der EU-Kommission und der Automobilbranche im Juni 2022 in einem geheimen Treffen zusammen. Dort argumentierte Oliver Zipse, Chef von BMW sowie damaliger Vorsitzender von European Automobile Manufacturers’ Association (Acea), der wichtigsten europäischen Vereinigung der Automobilbranche, gegen strengere Abgasgrenzwerte sowie für weiterhin schwache Vorschriften bei Abgastests. Der Vertreter der EU-Kommission erklärte man wolle ehrgeizige, aber realisierbare Anforderungen stellen. Die Forderungen der Autoindustrie wurden schließlich von der Kommission fast vollständig übernommen.

Der Spiegel berichtet zudem über eine Lobbymail, die sich wortwörtlich in einem Änderungsantrag eines tschechischen Abgeordneten im EU-Parlament wiederfand, der als Kompromiss im Parlament galt. Vorangetrieben wurden die Änderungen auch vom deutschen Abgeordneten Jens Gieseke, von der CDU, der einst einen Sonderausschuss zur Aufklärung der Dieselgate-Abgasmanipulationen leitete. Inzwischen setzt sich Gieseke dafür ein, Verbrenner-Autos auch nach 2035 neu auf die Straße zu bringen, mit vermeintlich CO2-neutralen Kraftstoffen. Sogenannte E-Fuels aber sind für den Pkw-Verkehr ineffizient und zudem weiterhin mit Schadstoffausstößen belastet.

Ambitionierter Vorschlag verwässert

Dabei war ein erster Vorschlag des EU-Parlaments durchaus ambitioniert. Doch wie die Organisation Transport&Environment berichtet, wurden zuvor gestellte Forderungen nach strengeren Grenzwerten vor allem im Transportbereich deutlich abgeschwächt, von 30 Prozent geringeren Grenzwerten und bis zu zwei-Mal höhere Stickoxid-Limits ist die Rede. Zudem wurden die Standards bei Tests sowohl für Lkws als auch Pkws wieder auf Euro 6 Norm zurückgestuft. Greifen sollen die Regelungen bis zu drei Jahre später als ursprünglich geplant. „Die heute verabschiedete Euro 7-Norm ist nutzlos und wird Autokonzerne nur dazu bringen bei ihren Neuwagen Greenwashing zu betreiben, die dann kaum sauberer sind als heute“, kritisiert Anna Krajinska von Transport&Environment.

Wie Guardian, Voxeurop und Spiegel berichten, hat das Beratergremium Consortium for ultra Low Vehicle Emissions (CLOVE) eine Schätzung vollzogen, was das Abschwächen und Verzögern von Euro 7 an Gesundheits- und Umweltkosten zur Folge hat. Ihr Ergebnis: Es kann Schäden von rund 100 Milliarden Euro zwischen 2025 und 2050 bewirken. Die Rechnung vergleicht den bereits zuvor im Raum stehenden Beschluss mit dem verworfenen Szenario »hoher grüner Ambition«, in dem neue Pkws ab 2025 nur noch 20 statt 60 Milligramm Stickoxide pro gefahrenem Kilometer hätten ausstoßen dürfen.

Die Autoindustrie hatte bei strengeren Abgaswerten vor Mehrkosten von 2.000 Euro pro Auto gewarnt. Alle Autos müssten künftig ein Automatikgetriebe oder neuartige Katalysatoren bekommen. Dem widerspricht jedoch CLOVE, die die zusätzlichen Kosten pro Auto mit einer neuen strengeren Abgasnorm auf 90 bis 150 Euro beziffern. Größere Katalysatoren und bessere Filter würden ausreichen. Zwar dürfen laut EU-Beschluss ab 2035 keine neuen PKW mit Verbrenner-Motor mehr zugelassen werden, doch bis dahin werden noch viele weitere Autos auf die Straße kommen, die auf Jahrzehnte Luft und Klima schädigen. Das Parlament geht nun mit ihrem Beschluss in die weiteren Verhandlungen mit Kommission und Rat, dem Gremium der Mitgliedsstaaten, das noch einmal schwächere Forderungen für die neue Abgasnorm einbringt.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion “energiezukunft“ (mg) 2023 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | energiezukunft | Heft 35/2023 | „Energiewende in Arbeit“ |  Jetzt lesen | Download

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren