Worum es beim Hambacher Wald wirklich geht
Seit Monaten wird im Rheinischen Braunkohlerevier gegen den Tagebaubetreiber RWE und die von ihm beabsichtigte Rodung des Hambacher Waldes gekämpft. Von Christfried Lenz
Ungeachtet der gegenwärtig tagenden Kohlekommission und ihrer möglichen Ergebnisse, lässt der Energiekonzern von seinem Vorhaben nicht ab und will durch rechtlich fragwürdige vorzeitige Rodung Fakten schaffen.
Am 31.08.2018 wurde der Hambacher Forst von der Polizei zum „gefährlichen Ort“ erklärt. Damit hat sie sich einige Zusatzrechte genehmigt (anscheinend geht das einfach so): Ohne besonderen Anlass kann sie Menschen kontrollieren oder auch für 12 Stunden festsetzen. Begründet wird das mit Straftaten wie besonders schwerer Landfriedensbruch, die im Wald stattgefunden hätten.
Doch wer bricht denn hier den Frieden des Landes – diejenigen, die unter größten persönlichen Risiken die Bäume schützen oder diejenigen, die die Bäume niedermachen und das Land unter ihnen aufbrechen und ein riesiges Loch ausbaggern wollen, um den Klimawandel weiter anzuheizen, damit die Wälder, die sie nicht roden, dann wenigstens abbrennen…?
Unsere Verwirrung ist phänomenal!
RWE ist wild entschlossen, sich seine Profite mit der gleichen Methode wie seit 1898 auch in Zukunft zu besorgen, und die Staatsmacht schützt das – Begründung: RWE hat das „Eigentumsrecht“ am Hambacher Wald.
Doch hallo!! – Wie kann es ein „Recht“ sein, den Ast, auf dem die ganze Menschheit sitzt, abzusägen? Ist die Fortsetzung des RWE-Geschäftsmodells ein höheres Gut als das Lebensrecht der Menschheit???
Der Hambacher Forst ist zum Faustpfand geworden. Fällt er, dann wird die altertümlichste und dreckigste Art der Energieerzeugung ihr Zerstörungswerk fortsetzen. Gelingt es, ihn zu erhalten, dann ist das ein Sieg der Intelligenz, ein Sieg der Einsicht, dass dieser Planet endlich ist, ein Haus (oder ein Schiff, ein Raumschiff), das mit Blick auf seine Begrenztheit haushälterisch – also ökologisch – bewirtschaftet werden muss. Wenn wir mit dem – damals angebrachten – Bewusstsein der frühen, winzigen und technisch harmlosen Menschheit, der die Rohstoffquellen und das Abfall-Aufnahmevermögen der Erde unendlich erschienen, heute weitermachen, dann zerstören wir die Voraussetzungen für gutes menschliches Leben auf diesem Planeten. Die Anzeichen hierfür – wovon der Klimawandel das krasseste, aber keineswegs einzige ist – sind ja deutlich.
Mit der Deklarierung des Hambacher Forstes zum „gefährlichen Ort“ unternimmt die Staatsmacht den ersten Schritt im Versuch, den Widerstand gegen die Kohleverstromung insgesamt zu kriminalisieren und in die Nähe des Terrorismus zu rücken. Dahinter steckt die perfide Kalkulation, dass sich Vorurteile und Ängste, wie sie gegen (geflüchtete) Ausländer bestehen, auch gegen die Energiewende mobilisieren lassen. Denn auch die Energiewende bringt Neues, Anderes, was naturgemäß zunächst auch fremd und verunsichernd wirken kann. Es ist kein Zufall, dass in den Kreisen, die sich gegen Flüchtlinge wenden, auch die schärfsten Gegner der Energiewende und insbesondere der Windkraft zu finden sind.
Wenn die etablierten politischen Kräfte, etwa aufgeschreckt durch die jüngsten Vorgänge in Chemnitz, sich gegen Rechts positionieren, bewegen sie sich (wie es in der Politik leider normal ist) auf der äußersten Oberfläche des Problems. Dass der sogenannte Rechtspopulismus seit einigen Jahren um sich greift, ist nämlich kein unerklärliches Schicksal, auch keine Ausgeburt der Hölle, wohl aber eine Hervorbringung unserer Politik und unserer Gesellschaft. Diese hat noch nicht begriffen, dass wir unseren Stoffwechsel mit der Natur und unsere Daseinsweise in toto von der unbegrenzten Expansion auf die ökologische Bewirtschaftung unseres begrenzten Planeten umstellen müssen.
Hieraus resultiert ein diffuses, aber verbreitetes Gefühl von Unstimmigkeit. Dieses sucht derzeit Ausdruck in rechten, allerdings ziellosen Bewegungen. Auch die AfD ist gerade keine Alternative zu den „Altparteien“, sondern unterscheidet sich nur dadurch, dass sie laut ausposaunt, was jene hinterrücks und im Stillen betreiben: Die AfD fordert offen die Beendigung der Energiewende, CDU und SPD befürworten sie pro forma, tun praktisch aber alles, um sie abzuwürgen. Und was die Flüchtlingsproblematik betrifft, so hört man von den „Altparteien“ ebenso wenig wie von der AfD, dass wir Europäer selber es sind, die seit dem Kolonialismus die Lebensbedingungen in Afrika zunehmend zerstört und somit die jetzige Fluchtbewegung zu verantworten haben.
Eigentlich ist es erstaunlich – und daher umso erfreulicher – dass die große Mehrheit der Bevölkerung – trotz dem Gegenwind von der maßgeblichen Politik – weiterhin die Energiewende will. Dies sollte baldigst auch am und im Hambacher Forst demonstriert werden. Unsere Organisationen wie BUND, campact, Greenpeace (u.a.) sollten ein Aktionsbündnis von noch nicht gesehener Breite organisieren. Die Kräfte vor Ort, die dort – gerade auch im Gespräch mit der Bevölkerung – eine bewunderungswürdige Arbeit leisten, sollten nicht allein gelassen werden.
Die Akteure der Energiewende sollten praktisch demonstrieren, dass eine Versorgung mit 100% erneuerbarer Energie in jeder Minute des Jahres möglich ist. Das wird Zustimmung und Vertrauen in das Entstehen zukunftsfähiger Arbeitsplätze gerade auch in den bisherigen Kohle-Regionen schaffen. Der Umstieg auf die Erneuerbaren als das große Gemeinschaftsprojekt der ganzen Menschheit kann dann die Spaltung der Gesellschaft auch in Deutschland überwinden. – Auch viele Menschen, die sich derzeit nach rechts orientieren, haben einen Sinn für Natur- und Umweltschutz und werden einsehen, dass Naturschutz ohne Klimaschutz nicht geht.
- Wald retten! Kohle stoppen! Demo am 14. Oktober 2018: Umweltverbände rufen zu Protest gegen die Rodungspläne von RWE für den Hambacher Wald auf.
- Klimareporter: „RWE sollte nicht aufs Ganze gehen“ | Im Interview mit dem Online-Magazin „Klimareporter“ betont der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger, wie belastend die Unsicherheit darüber, ob ab Oktober im Hambacher Wald gerodet wird, für alle in der Kohle-Kommission ist. Das Interview führte Friederike Meier.
Quelle
Der Bericht wurde von
der Redaktion „pv-magazine“
(Christfried Lenzs) 2018 verfasst
– der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet
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