‹ Zurück zur Übersicht

© Sonnenseite

Franziskus: Vom Einwandererkind zum Papst

Der Papst Franziskus – voila, ein Mensch mit seinen Stärken und Fehlern. Zu einer ersten Biographie. Von Rupert Neudeck

Jetzt ist dieser Papst gerade mal ein knappes Jahr im Amt, aber er hat so viele bewegende Zeichen und Markierungen gesetzt mit seinen wenigen Besuchen, dass dieses Buch auch von einem  Zug auf den nächsten springt. Die beiden Autorinnen wissen sehr viel über den Background von Bergoglio in Argentinien und in der römischen Kirche, sie haben viel herausbekommen über das streng geheime Konklave, aber das Beeindruckende war bisher die selbstverständliche Weltwende von den großen Staatsgeschäften hin zu den Menschen, die leiden, die arm und die in Not sind.

Die erste Reise ging nicht nach Washington DC oder zum Qurinal oder zum Evangelischen Kollegen oder dem Anglikanischen, sondern zu den armen Teufeln, die dort in Lampedusa anlegen und die nichts Anderes erwarten und erhoffen als Barmherzigkeit. Dort findet der Papst Worte, die kaum jemand in diesem und dem vorigen Jahrhundert im Papstamt so wirkungsmächtig gefunden hat: „Die Kultur des Wohlstands macht uns unsensibel für die Schreie der anderen, sie lässt uns in Seifenblasen leben, die zwar schön, aber nichtig sind. Sie führt zur Gleichgültigkeit dem nächsten gegenüber, ja zur globalisierten Gleichgültigkeit. In unserer globalisierten Welt sind wir in die Globalisierung der Gleichgültigkeit geraten.“

So spricht kein Staatschef, man hat die Ahnung, mit diesem Papst könnte die katholische Kirche das Gefängnis ihrer römischen Gefangenschaft als Staat aufgeben- und nur noch eine Enklave auf dem geschenkten Boden Italiens werden. Eine wechselnde Papstschaft und ein wechselnder Ort wären für die Globalisierung der Kirche auch gut. Man erfährt vieles über die Skandale der Kirche, die durch Geld und Sex entstehen.

Die Autorinnen haben das alles sehr gut in dem Kapitel „Petrus hatte kein Bankkonto“ zusammengefasst. Die Vatikan Bank trägt den Namen IOR, „Istituto per le Opere di Religione“. Gegründet wurde sie durch ein Dekret des Papstes am 27. Juni 1942. Und zwar mit dem Zweck dem heiligen Stuhl und seinen Kunden in aller Welt zu dienen. Aber aus den frommen Zwecken einer Bank ist ein unbeendeter Skandal geworden bis hin zu vermuteten Geldwäscheanlagen und Drogenübergabegeschäften mit der sizilianischen Casa Nostra.

Eine Kirche, die sich auf dieses Terrain begibt, kommt darin um. Sie muss davon radikal Abstand nehmen. Sie hat bisher aber lieber den Pakt mit dem Teufel, auch mit dem des Faschismus und Nationalsozialismus gesucht. Das faschistische Italien unter Benito Mussolini zahlte in bar und Staatsanleihen 1,75 Milliarden Lire für die Gebietsverluste 60 Jahre zuvor. Von der typischen Spekulation muss die Bank Abschied nehmen, vielleicht macht dem Papst die Lektüre von Bert Brecht dabei Vergnügen, der einmal sagte: „Was ist der Raub einer Bank gegen den Besitz einer Bank?“

Das Buch taucht in den Schacht der italienischen Auswandererfamilie Bergoglio ein, die sich in Argentinien integriert. Er wurde durch ein Erweckungserlebnis zum Priester berufen, hatte der Mutter aber noch gesagt, er wolle Medizin studieren, weil er wusste, dass das ein Schock für sie sei. Als die dann auf seinem Tisch keine Medizin-Lehrbücher, sondern solche der Theologie fand musste er es ihr verraten. Man erlebt, wie lange die Diktatur unter verschiedenen Gruppen und Vorzeichen gedauert hat.

Die institutionalisierte Kirche kann sich nur schwer zum Widerstand entschließen. Das ist auch das Problem des Papstes. Der damalige Jesuitenprovinzial hatte gute Freunde unter denen, die Widerstand leisteten. So zu der großen Anwältin Alicia Oliveira. Als im März 1976 die Militärs mit der üblichen Brutalität die Macht übernehmen, geht die junge Richterin auf Anraten von Bergoglio in den Untergrund. Sie fand zwei Monate ein Asyl bei der Guerilla Aktivistin Nilda Carre, die 2010 -2013 Verteidigungsministerin von Argentinien werden sollte. Bergoglio hatte Mut, aber nicht genug, um die Stimmen verstummen zu lassen, er habe zu viel Kollaboration mit der Militärdiktatur gemacht. Bergoglio fuhr die Richterin aus ihrem Unterschlupf zur Schule, damit sie im Innenhof der Schule ihren Sohn treffen konnte.

Eine Art Persilschein hat der Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel abgegeben: „Es gab Bischöfe, die Komplizen der Diktatur waren. Bergoglio war keiner von ihnen“. Von den 80 Bischöfen hätten ihn bei der Menschenrechtsarbeit vier oder fünf aktiv unterstützt. „Viele andere haben sich auch schweigend mit uns solidarisch gezeigt. Zu ihnen zählte der Provinzial Bergoglio“. Es bleibt, dass der Papst selbst kein Held war, aber eben auch kein Kollaborateur. Er habe seine Solidarität im Stillen gezeigt, indem er „in gewisser Weise im Untergrund arbeitete und vielen half, die in Gefahr waren“.

Esquivel betont auch, dass er damals noch nicht die bedeutende Persönlichkeit der katholischen Kirche war und für die Untergrundaktivisten als Autorität nicht wesentlich erkennbar“. Es bleibt ein Rest, den der Papst aufklären kann, niemand sonst. Der ex Studentenführer und Aktvist Julio Babaro hat uns überliefert: Für Bergoglio bestand kein Zweifel, dass Religion und Politik auseinander gehalten werden mussten“. Wie das geht? Valde dubito.

Vielleicht ist das das Schönste an dem neuen Brückenbauer. Er hat überhaupt keine Angst. Er wählt die Freude des Evangeliums vor der Sicherheit. In unserer bürgerlich-kapitalistischen Sicherheitswelt wählen wir immer Sicherheit vor Freiheit und Freude.

Das Überraschende an dem Buch: der Leser erfährt, wie weit sich dieser Kardinal Bergoglio schon damals in Argentinien beim ökumenischen und interreligiösen Dialog und der Kooperation aus dem Fenster gelehnt hat. Wie er immer offen war für Menschen mit verqueren Ideen. So hat ihn ausgerechnet die Rockmusik mit dem Priester Cesar Scicchitano zusammengeführt. Der Pater hatte Bergoglio erklärt, dass die Rockmusik für ihn eine ebenso wichtige Berufung war wie das Priestertum. Seine große Begabung wurde damit für die Jugendpastoral gewonnen. Und Bergoglio wirkte mit.

Er brachte von einem Besuch in den 80er Jahren auf Perlach in Augsburg das Gnadenbild Maria Knotenlöserin mit. Padre Cesar kam aus einer säkularen Erziehung und entschied sich erst als erwachsener Mann für das Priestertum. Cesar: Gott sei Dank legte Erzbischof Bergoglio ihm nie Steine in den Weg. So dass er dann die über Nacht in ganz Lateinamerika gesungene Papsthymne produzierte: „Yo quiero un papa Latinoamericano – ich will einen lateinamerikanischen Papst“. Bergoglio hielt gemeinsame Gottesdienste und Gebete sowohl mit dem Rabbiner Abraham Skorka, wie mit dem Protestanten Marcelo Figueroa sowie dem Vertreter der muslimischen Gemeinde dem Syrer Omaar Abboud.

Für deutsche Katholiken und ihre bürokratischen Probleme gibt er eine Handlungsanweisung. Die bolivianische Widerstandskämpferin Olga Cruz wollte so gern ihre beiden Töchter taufen lassen. Aber sie wusste nicht, zu welcher Kirche sie gehen könnte, um Ihre Töchter anzumelden. Auch wegen der fehlenden Einwanderungspapiere. Der damalige Kardinal sagte; es sei eine Ehre für ihn, die beiden Töchter zu taufen. Etwas besorgt habe Olga Cruz gesagt: keine der vier Paten sei katholisch, drei wären Atheisten und eine Jüdin. Bergoglio: „Du hast diese Personen ausgewählt, weil Du ihnen Deine Kinder anvertrauen willst, das ist das Wichtigste.“

Bergoglio hat keine Berührungsängste, er hat am 20. September 2004 in einer Synagoge gepredigt. In der jüdischen Gemeinde Benei Tikvai, die 1939 von einem deutschen Juden gegründet wurde. Bergoglio: „Wie mein Bruder Abraham schon sagte, stehen wir hier vor Gott, wir stehen vor ihm mit dem Wunsch zuzuhören und zuzulassen, dass seine Fragen uns im tiefsten Inneren bewegen und uns transparent machen.“

Dieser Papst hat die Kraft uns aus der selbstverschuldeten Bastion herauszukatapultieren und mit den anderen Religionsgemeinschaften und allen Menschen guten Willens etwas Großes zusammen zu gestalten.

Quelle

Rupert Neudeck 2013Grünhelme 2013

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren