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Operation Kundus – Mein zweiter Einsatz in Afghanistan

Im Klappentext weiß man, wie sich Ex-Soldaten ein gutes Leben machen: Wohlgethan lebt als Autor und Inhaber einer Beratungsfirma für Sicherheit und Medien in Wolfsburg und auf Mallorca. Zu dem Bericht eines deutschen Bundeswehrsoldaten. Die Fortsetzung des Bestsellers Endstation Kabul. Von Rupert Neudeck

Das ist schon der zweite Bericht eines Bundeswehrsoldaten, der einfach berichten darf und der aber nicht beschreibt, wie man ihm das von seinen Oberen her erlaubt hat. Denn ansonsten herrscht Zensur, wie Achim Wohlgetan es beschreibt aus dem Feldlager Kundus. Der erste Bericht über seinen ersten Aufenthalt in Afghanistan ist betitelt „Endstation Kabul“.

Das Wort Feldlager gibt das reale Bild nicht wieder. Das ist ein kleines deutsches Dorf mit allem, was eins zu eins ein deutsches Dorf haben muss: Mülltrennung, Tüv, Kantine, Postdienst, Fernsehstube, Essensausgabe am Tresen, drei Flaschen Bier am Abend, die Weinstube usw..

Ich habe immer gedacht, Heinrich Böll hätte das Buch nicht zu Ende lesen können, denn der Soldaten schwelgt in militärischer Terminologie, die Böll sich nach dem zweiten Weltkrieg völlig aus dem Kopf und Gedächtnis geschlagen hat. Der Autor war vom April bis Oktober 2002 in Afghanistan. Dann noch mal wieder bis 2003-2005, genau bekommt man das nicht heraus.

Es ist ein merkwürdiges Buch, das dem Männlichkeitswahn ebenso frönt wie der Wehleidigkeit, die der deutschen Bundeswehr irgendwie anhängt. Es gibt keine Gruppe von Ausländern in Afghanistan, die so oft, so periodisch und so fürsorglich von Ministern, Abgeordneten, Hundertschaften von Journalisten besucht und von Priestern aller Couleur begleitet wird wie das vergleichsweise kleine Kontingent am Hindukusch.

Die mittlerweile drei Kontingente sitzen aber gar nicht am Hindukusch, sondern immer weiter davor. Aber in unglaublich luxuriösen Quartieren. Weshalb die Soldaten auch mal zur „Gesprächsaufklärung“ auf dem Wege in die Nachbarprovinz Takhar sind und dort die Organisation Cap Anamur besuchen und ganz baff sind: wie einfach die humanitären Mediziner dort leben. Und als sie dann noch erfahren, dass die Mitarbeiter nur 700 Euro im Monat verdienen, da fallen sie fast in Ohnmacht. Barmherzig wie Soldaten dann sein können, laden sie die kleine dreiköpfige Mannschaft zur Weihnachtsfeier in das Feldlager Kundus ein.

Ulrich Ladurner, der lange Jahre für die ZEIT die Berichterstattung über und zu Afghanistan gemacht hat, hat den Eindruck wiedergegeben, den er als Berichterstatter hatte, wenn er mal zu einem Besuch und briefing in die Riesen-Festung in Kundus gekommen ist. „Als ich schließlich das Lager verließ, war mir, als träte ich aus einer gigantischen Waschmaschine. Ich war mit schmutzigen, nach Hoffnungslosigkeit riechenden Kleidern gekommen. Die Maschine entließ mich mit strahlend weißen Kleidern. Ich stank nach Optimismus“.

Eine Krankenschwester erzählt auf die Frage des Soldaten, wie sie es in der patriarchalischen Welt als Frau aushalte. Sie sagt: Man bekomme in Afghanistan als Frau keinen Respekt von den Männern, man ist in deren Augen mehr Ding als Mensch. Das habe sie selbst am eigenen Leibe erlebt.

„Ich bin schon öfter von bewaffneten Männern festgehalten und missbraucht worden.“ Die Soldaten meinen, dass diese Frau die schlimmsten Erfahrungen gemacht habe und trotzdem hier bleibe und versuche zu helfen. „Das war wohl nur mit einer übergroßen Portion Idealismus, Unerschrockenheit und viel Demut zu bewerkstelligen“.

Diese Soldaten gehören zu den wenigen, die mal aus der Kaserne herausdürfen und müssen. Die sich dann aber sehr schnell als Helden verstehen.

Das Buch führt sich nicht ein durch genaue Informationen: Wann war dieser etwas großspurige Bundeswehrsoldat in den verschiedenen Feldlagern, die die deutsche Bundeswehr ihr eigen nennt? Er enthüllt, dass er jetzt sowohl in Wolfsburg wie in Mallorca sitzt. Da man als Bundeswehr Angehöriger ja nicht einfach ein Buch schreiben kann, muss das natürlich abgesprochen und auch gegengelesen worden sein.

Schon das erste Buch über die „Endstation Kabul“ (2009)  strunzt mit dem „Insiderbericht“ im Untertitel. Im zweiten geht das immer so weiter. Während die Mehrheit der Soldaten in den 6 Monaten das Camp gar nicht verlassen kann, gehörte der Soldat Achim Wohlgethan gewiss zu den wenigen Mann, die auch was explorieren sollten, die auch schon mal außerhalb Ihrer OPZ und der AOR herausgehen. Das Buch strunzt mit diesen Abkürzungen, die geradezu stellvertretend für Militärstehen: Area of Responsibility.

Dosierte Kritik ist dann erlaubt, aber auch nicht mehr, auch ein wenig Insiderwissen, aber das darf die  Operationalität der Bundeswehrkontingente nicht stören.

Schon im ersten Buch („Endstation Kabul“ Berlin 2009) steht es: Die Granaten Angriffe sind nicht etwa zu verfolgen, sondern man igelt sich im Camp ein mit dem statistisch beglaubigten Bewusstsein, dass die Granaten nicht im Camp landen. Wohlgethan bleibt mit allem, was er schreibt, im Konsens des obersten Bundeswehrkommandos, deshalb ist das kein gefährliches Buch für die deutsche Politik. Im Gegenteil, er perpetuiert alles, was uns immer wieder erklärt wurde.

Der Autor entwickelt dennoch einen gewissen Charme, weil er sich immer wieder eingestehen muss, wie weit von uns entfernt diese Welt ist. So wie die Bundeskanzlerin ja bei der Bonner Afghanistan Konferenz am 5. Dezember 2011 gesagt hat: Man habe in den letzten zehn Jahren viel über Afghanistan gelernt. „Sieben Flugstunden, von Deutschland entfernt, herrschte in einigen ländlichen Gegenden fast Mittelalter, während wir uns im Wohlstand suhlten und trotzdem darüber klagten, wie schlecht es uns angeblich geht. Im Vergleich zu diesem Land kleben wir wie im Paradies auf Erden“.

Nie ganz klar wurde und wird bis heute, auch nicht durch das Buch von Autor Wohlgethan, was die Bundeswehr da sollte.

Sie sollten den Bündnisfall mit auslösen und mitmachen. Sie sollte keinen Krieg führen. Sie sollten nicht die Abschußvorrichtungen für die Granaten beseitigen, aus denen die deutschen (und anderen) Feldlager beschossen wurden. Sie sollten dann „umgangssprachlich“ Krieg führen. Sie sollten aber weiter keinen Krieg führen, obwohl alles herum die Politiker daran erinnerte.

Und, wenn Militärs (wie Beamte) an eine schwache Stelle kommen, heißt es: Wir haben zu wenig Personal. Dieses Märchen tischt der Ex-Soldat dann auch noch auf. Alles wäre besser gelaufen, wenn es genügend Soldaten gegeben hätte, nämlich Millionen und nicht 60.000 Mann. „Kaum jemand weiß, dass im Kosovo auf einer sehr viel kleineren Fläche knapp 50.000 Soldaten eingesetzt waren und dass derzeit noch 14.000 Soldaten dort ihren Dienst tun.“

Das ist diese Milchmädchenrechnung des General Westmoreland von 1970 in Vietnam: Wenn wir die Truppenstärke verdreifachen, besser vervierfachen, kriegen wir den Vietcong in die Knie…

Im Klappentext weiß man, wie sich Ex-Soldaten ein gutes Leben machen: Wohlgethan lebt als Autor und Inhaber einer Beratungsfirma für Sicherheit und Medien in Wolfsburg und auf Mallorca. Da ist doch schon einer in deutscher Promiwelt, der sich da niederlassen will, wenn er nicht mehr Außenminister sein darf?!?

Quelle

Rupert Neudeck 2011Grünhelme 2011

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