Ewigkeitschemikalien im Trinkwasser
Bei einem Test wurden bedenkliche PFAS in Trink- und Mineralwasser nachgewiesen. Umweltschützer und Wasserwirtschaft fordern ein Komplettverbot, die EU diskutiert darüber. Allerdings stecken solche Stoffe auch in Energiewende-Produkten.
Man nennt sie „Forever Chemicals“, Ewigkeitschemikalien. Die Verbindungen aus der PFAS-Stoffgruppe werden, einmal freigesetzt, in der Umwelt kaum abgebaut. In der EU werden Verbote diskutiert, weil sie im Verdacht stehen, beim Menschen das Hormon- und das Immunsystem zu schädigen.
Eine neue Untersuchung zeigt nun, dass die kritischen Chemikalien inzwischen auch in Leitungswasser und Mineralwässern zu finden sind. Die Belastungen sind zwar relativ gering, addieren sich aber zur Aufnahme etwa über das Essen.
PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylverbindungen. Es handelt sich um mehrere tausend Chemikalien, die in vielen Produkten eingesetzt werden, um sie wasser-, schmutz- oder fettabweisend auszurüsten. Sie finden sich etwa in Fastfood-Verpackungen, Outdoor-Kleidung, beschichteten Pfannen, Kosmetik oder Flammschutzmitteln. Auch bei der Herstellung von Solaranlagen, Windrädern und Wärmepumpen werden sie genutzt.
In den letzten Jahren sind die Bedenken wegen der Nutzung der PFAS stark gewachsen, da sie über die Luft zum Teil über große Distanzen transportiert werden und sich in Gewässern und Böden anreichern. Viele der Stoffe akkumulieren sich auch in der Nahrungskette und verbleiben, wenn vom Menschen aufgenommen, über viele Jahre im Körper.
Behörde sieht kritischen Wert beim Fleisch überschritten
Eine jetzt veröffentlichte Analyse des Umweltverbandes BUND zur Belastung von Leitungswasser und Mineralwässern zeigt, dass fast alle getesteten Proben mindestens eine der drei analysierten Schadstoffgruppen enthalten. Am häufigsten wurde dabei die PFAS-Chemikalie Trifluoressigsäure gefunden, die unter anderem Abbauprodukt eines in Auto-Klimaanlagen verwandten Kältemittels ist.
Doch auch die in großen Mengen hergestellte Chemikalie Melamin, mit der etwa Campinggeschirr ausgerüstet wird und die als vermutlich krebserregend gilt, wurde laut BUND mehrfach nachgewiesen. Die dritte Stoffgruppe, Benzotriazole, potenziell hormonelle Schadstoffe, fanden sich danach in zwei Wasserproben.
Getestet wurden fünf Mineralwässer sowie zehn Leitungswässer aus den Städten Berlin, Frankfurt am Main, Osnabrück, Kiel, Stuttgart, Burgdorf, Celle, Meschede, Neustadt an der Weinstraße, und – wegen der EU-Dimension des Problems – aus Brüssel. Neun von zehn Leitungswasser-Proben und drei von fünf Mineralwasser-Proben enthielten mindestens einen Schadstoff.
Der BUND betont, die tägliche Aufnahme von PFAS-Chemikalien über das Trinkwasser sei „vergleichsweise gering“.
Der Umweltverband verweist jedoch auf die Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung in Berlin aus dem Jahr 2021, wonach die täglich von Menschen aufgenommene PFAS-Menge durch belastete Nahrungsmittel wie etwa Fleisch und Fisch bereits über dem kritischen Wert liegt. Eine Beeinträchtigung des Immunsystems durch die Chemikalien kann danach nicht ausgeschlossen werden.
Die Analyse wurde auf einer gemeinsamen Pressekonferenz des BUND mit dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) vorgestellt. Beide Verbände forderten ein umfassendes PFAS-Verbot. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen müsse dafür sorgen, dass das im europäischen „Green Deal“ definierte „Null-Schadstoff-Ziel“ erreicht wird. Auch die Bundesminister Habeck und Lemke (beide Grüne) müssten sich dafür einsetzen.
PFAS auch in Wärmepumpen, Solar- und Windkraftanlagen
In der EU wird aktuell ein Verbot respektive eine Beschränkung von Herstellung und Einsatz der PFAS-Chemikalien diskutiert. Umweltbehörden aus fünf Ländern, darunter Deutschland, haben bei der Europäischen Chemikalienagentur Echa in Helsinki einen Vorschlag dazu eingereicht. Er sieht vor, sämtliche Verbindungen dieser Stoffgruppe zu verbieten, allerdings mit Übergangsfristen zwischen 18 Monaten und 13,5 Jahren.
BUND und BDEW fordern zudem, PFAS-Hersteller und den Handel zu verpflichten, Geld in einen Fonds einzuzahlen, aus dem die Folgekosten der Verschmutzung mit den Chemikalien bezahlt und die Entwicklung umweltfreundlicher Alternativen gefördert wird. „Diejenigen, die Schadstoffe in die Umwelt einbringen, müssen zahlen“, so die Verbände.
BUND-Chef Olaf Bandt sagte, die Kosten für eine Sanierung im Schadensfall, zum Beispiel bei Böden, seien erheblich. Er verwies auf eine PFAS-Verschmutzung bei Rastatt, die dort zu Wasserpreis-Steigerungen von mehr als 20 Prozent geführt habe.
BDEW-Geschäftsführer Martin Weyand betonte, das Trinkwasser in Deutschland sei sicher, zunehmende Schadstoff-Einträge machten die Trinkwasseraufbereitung jedoch immer teurer. „Notwendig ist daher eine wirksame Strategie, um weitere zukünftige Einträge von PFAS zu vermeiden.“
Kritik an einem möglichen PFAS-Verbot übte unterdessen der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI). Sein Geschäftsführer Wolfgang Weber sagte gegenüber der ARD, dass die ambitionierten Ziele der Energiewende mit einem umfassenden PFAS-Verbot „komplett verfehlt“ würden, weil Erneuerbaren-Technologien darauf angewiesen seien.
Andere Stimmen sehen jedoch Chancen, die kritischen Chemikalien in der Produktion und Nutzung von Solar- und Windkraftanlagen sowie Wärmepumpen zu ersetzen.
Till Requate, Professor für Innovationsökonomik an der Uni Kiel, rät zum Beispiel der Industrie, sich nicht gegen das Verbot zu wehren, sondern mit Hochdruck an der Entwicklung von PFAS-Ersatzstoffen zu arbeiten. Schnelles Handeln könne Unternehmen in der EU einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, der sich auf lange Sicht bezahlt machen werde.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2024 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!