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Mut zu Visionen – Brücken in die Zukunft

Visionen? Ja, unbedingt. Nein, mitnichten. Während die einen sehr wohl um die Elemente des guten Lebens wissen und nach Wegen dazu suchen, würden andere die Visionäre am liebsten zum Psychiater schicken. Bei vielen Menschen regt sich der Wunsch nach Alternativen, doch wird ihr Handeln noch vom Gewohnten bestimmt. Das Jahrbuch Ökologie 2014 widmet sich diesen Widersprüchen. Es zeigt Visionen auf, die zu Nachhaltigkeit führen können, benennt aber auch die Felder, die erst noch visioniert werden müssen. Es lädt dazu ein, Mut zu Visionen zu entwickeln und damit tragfähige Brücken in die Zukunft zu bauen. Vorwort von Professor Udo E. Simonis

Visionen? Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen, aber nicht in die Politik – so meinte einst der heute hochgeschätzte Bundeskanzler Helmut Schmidt. Ohne Zweifel gibt es große Vorbehalte gegen visionäres Denken. Man befürchtet mentales Glatteis, fromme Wünsche, Flucht aus der Realität, den Missbrauch von Visionen als taktisches Manöver zur Erreichung ganz anderer Ziele. Diesen Vorbehalten wollen wir nicht zuarbeiten.

Uns steht vielmehr vor Augen, was ein Visions-Denkverbot bewirken kann: beispielsweise die ökologische Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft verhindern, die Verantwortung für mehr Transparenz, die Beleuchtung all dessen, was ökologisch unterbelichtet ist. Wir wollen damit auch helfen, den vielzitierten Satz auf den Kopf zu stellen: Wer keine Visionen hat, taugt nicht zum Politiker!

Visionen haben mit dem Entstehen von Wissen zu tun und mit dem, was die Gesellschaft als Gewissheiten zulässt. Man kann Visionen nicht wissen, aber man kann (und sollte) sie kennen, weil sie zum Handeln motivieren und ungeahnte Kräfte mobilisieren können. Wir suchten diese Chance zunächst bei dem derzeit höchst strittigen Thema: Europa. Wie steht es um die Vision eines nachhaltigen Europas? Die Europäische Union erhielt als politische Idee den Friedensnobelpreis. Man sah darin ein Lob, man kann darin aber auch eine Verpflichtung für mehr Nachhaltigkeit verstehen. Was aber wäre dann die angemessene Politik? Darum geht es in Teil I dieses Jahrbuchs.

Teil II widmet sich dem „Dreigestirn“ des Denkens über Nachhaltigkeit, den strategischen Komponenten Effizienz, Suffizienz und Konsistenz. Denken ist nicht gleich Tun – und viel zu selten steht am Ende des Denkens über Nachhaltigkeit das wirkungsvolle Handeln. Drei Vordenker zeigen, wie wir aus dieser Sackgasse herauskommen können.

Dem Visionieren über die Elemente des guten, besseren Lebens gelten dann die Beiträge in Teil III. Gelassenheit ist ein solches Element, Subsistenz sollte eines werden. Nur mit mehr Gelassenheit können wir Stress und Burn-out überwinden und dem Ratten-Rennen (Rat race) entgehen. Subsistenz ist ein Element eines modernen Wirtschaftens, das seine ökologischen Grundlagen erhält. Es gibt zudem vielfältige Beispiele des Homo socialis, der Menschen und Gemeinden, die auf der Suche nach einem sozial, nicht materiell begründeten Glück sind.

Dass es auch den Homo sustinens, den der Nachhaltigkeit verpflichteten Menschen gibt, ist in der Kulturgeschichte konkreter beschrieben, als wir das in der wachstumsfixierten Welt erinnern. Die Frage aber ist, ob wir uns dieses Menschenbild generell für die Zukunft vorstellen wollen (und können).

Ganz anders als die vorherrschende Wachstumsfixierung der Politik zu denken zulässt, ist die Wirtschaft – und war sie immer schon – geprägt von Phänomen des Wachsens und des Schrumpfens.

In Teil IV werden dazu einige Beispiele vorgestellt: Die globale Energiewende muss durch Dekarboniserung der Wirtschaft geprägt sein. Seltene Erden müssen nicht nur gewonnen, sie müssen auch wiedergewonnen werden. Ein Industrieland wie Deutschland verfügt über große, theoretisch unendliche Rohstoffvorkommen in urbanen Minen, wenn – ja wenn – Urban mining zum Thema würde. Dann wäre kein Satz falscher als der, Deutschland sei ein rohstoffarmes Land.

Dass es eine Reihe solcher und ähnlicher Schritte zur Nachhaltigkeit gibt, zeigt Teil V des Jahrbuchs. Die Umweltbewegung hat dazu beigetragen, amtliche Informationen transparenter zu machen; nun aber steht ein überzeugendes Gesamtkonzept der Informationsfreiheit an, sagt der Bundesbeauftragte für den Datenschutz. Über zockende, rücksichtslose Finanzmarktakteure mussten wir in den letzten Jahren viel erfahren, nun aber entsteht auch hier eine neue Vision: Finanzmarktakteure können sich stark für Nachhaltigkeit engagieren.

Das Nachhaltigkeitsbaromenter steht auch nicht ungünstig, wenn man Jugendliche nach ihren Zukunftsvisionen befragt. Dass die Meere von einem Teil ihrer Müllteppiche mit Hilfe neuer Technik befreit werden können, zeigt ein visionärer Ingenieur, während ein anderer Beitrag dem Smart metering keinen großen Stromspar-Effekt zumessen mag. Ganz anders, so wird vermutet, steht es um die Effekte von Stiftungen als ökologische Ideengeber.

Was ist sonst noch in dem Buch zu finden?

Nun, auch in diesem Jahr gibt es die Rubriken der Vordenker (Teil VI), der Umweltinstitutionen (Teil VI) und der Ökologie in Zahlen (Teil VIII), diesmal mit einem visionären Blick auf das Deutschland von 2050. Und dann, nicht zu vergessen, die neue Rubrik, in der die Herausgeber das aus ihrer Sicht beste Umweltbuch des Jahres (Teil IX) vorstellen – zwei diesmal.

Das „Jahrbuch Ökologie“, das nunmehr zum 23. Mal erschienen ist, sollte auch mit dem Jahrgang 2014 wiederum viele aufmerksame und kritische Leserinnen und Leser finden.

Quelle

Vorwort im Jahrbuch der Ökologie 2014Udo E. Simonis 2012 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik amWissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Kurator der Deutschen Umweltstiftung


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