Pasterze: Gletscherzunge dürfte bis 2050 fast völlig verschwinden
Die von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) regelmäßig vermessenen Gletscher in den Hohen Tauern sind heuer extrem stark geschmolzen. Die Pasterze am Großglockner verlor im unteren Bereich innerhalb eines Jahres bis zu zehn Meter Eisdicke.
Begonnen hat das Jahr für Österreichs Gletscher noch erfreulich. Im Winter fiel im Bereich des Alpenhauptkammes um etwa zehn Prozent mehr Schnee als im vieljährigen Mittel. Aber Österreichs zweitwärmster Sommer der Messgeschichte, der auch der trockenste Sommer seit 1911 war, brachte Schnee und Eis dann extrem zum Schmelzen, sagt Bernhard Hynek von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG): „Die Abschmelzraten waren auf allen von uns vermessenen Gletschern in den Hohen Tauern im Bereich der Rekordwerte aus dem Jahr 2003. Die Pasterze, Österreichs größter Gletscher, ist im unteren Bereich von Herbst 2014 bis Herbst 2015 um bis zu zehn Meter dünner geworden. Über den gesamten Gletscher gemittelt, ging die Eisdicke innerhalb dieses Jahres um etwa 1,5 Meter zurück. Das sind die höchsten Werte seit die ZAMG 2004 mit den jährlichen Massenbilanzmessungen begonnen hat.
Pasterze: Gletscherzunge dürfte bis 2050 fast völlig verschwinden
Die markante Gletscherzunge der Pasterze zerfiel somit auch in diesem Jahr immer mehr. Das lassen auch die zahlreichen Gletscherspalten und -brüche im unteren Bereich deutlich erkennen. Unter dem gegenwärtigen Klima wird die Gletscherzunge noch in diesem Jahrhundert überhaupt verschwinden, sagt Gletscherforscher Hynek: „Bei einer maximalen Eisdicke von derzeit rund 200 Metern und einem mittleren Eisdickenverlust von fünf Metern pro Jahr, ist zu erwarten, dass die Gletscherzunge der Pasterze schon bis zum Jahr 2050 fast vollkommen verschwunden sein wird.“
Schmelzen der Pasterze in den letzten Jahren immer stärker
Die Pasterze hat auch in den für Österreichs Gletschern relativ günstigen Jahren 2013 und 2014 viel an Masse verloren, da das Temperaturniveau in den letzten Jahren generell sehr hoch war. Vergleicht man die gegenwärtigen Änderungen der Eisdicke mit denen aus der Vergangenheit, so sticht die Beschleunigung der Gletscherschmelze an der gesamten Pasterze in den letzten beiden Jahrzehnten hervor. „Während die Pasterze im Zeitraum von 1969 bis 1998 im Mittel über die gesamte Fläche 0,65 Meter an Eisdicke verloren hat, war es zwischen 1998 und 2012 schon mehr als doppelt so viel: nämlich 1,41 Meter“, sagt ZAMG-Experte Bernhard Hynek.
Schmelzwasser verstärkt Effekte der Klimaerwärmung
Um den Rückgang der Eisdicke besonders im Bereich der Gletscherzunge, also im unteren Bereich des Gletschers, detailliert zu berechnen, wurde 2015 von den Glaziologen der ZAMG mittels terrestrischer Photogrammetrie ein neues Höhenmodell der Pasterzenzunge erstellt. Die Daten zeigen, dass sich hier die mittleren Absinkbeträge von 1,8 Meter (1969-1998) auf 4,3 Meter (1998-2012) bis 5,1 Meter (2012-2015) gesteigert haben. Den Grund dafür sieht Gletscherforscher Hynek neben der allgemeinen Erwärmung auch in einem Feedback-Mechanismus: „Durch die starke Schmelzwasserproduktion und die geringen Fließgeschwindigkeiten an der Gletscherzunge wird der Gletscher zusätzlich von Schmelzwasserflüssen von unten und von der Seite erodiert.“
Auch Gletscher in der Sonnblickgruppe gingen zurück
Die von der ZAMG im Gebiet der Sonnblickgruppe vermessenen Gletscher sind in diesem Jahr ebenfalls stark geschmolzen. Das Goldbergkees hat im Mittel 1,8 Meter Eisdicke verloren, das Kleinfleißkees 1,5 Meter. Beide Werte sind aber nicht ganz so extrem, wie die Rekordwerte aus den Jahren 2003 und 2012. Der Grund dafür ist, dass 2013 und 2014 etwas Firn in den höher gelegenen Gebieten der Gletscher aufgebaut werden konnte. Nach dem Abschmelzen des Winterschnees in diesem Sommer kam oft der relativ helle Firn der Vorjahre zu Tage. Auf Grund seiner Helligkeit reflektiert er die Sonnenstrahlung stärker als Eis und schmilzt somit langsamer. (Anm: siehe Fotos und Videos zur Ausaperung am Kleinfleißkees)
Citizen Science: Schulen entwickeln neues Gletschermonitoring
Um den aktuellen Zustand der Gletscher zusätzlich zu den aufwändigen halbjährlich und jährlich durchgeführten Messkampagnen analysieren zu können, hat die ZAMG mit Schülern und Schülerinnen des TGM Wien das Projekt GLACIO-LIVE gestartet. In einem ersten Schritt wurden in Kooperation mit der Universität Graz und mit Unterstützung der Großglocknerhochalpenstraßen AG mehrere hochalpine Web-Kameras installiert (Kamera Pasterze: www.foto-webcam.eu/webcam/freiwandeck). Sie werden jetzt nach und nach mit automatischen Messstationen ergänzt. So kann in Zukunft der aktuelle Zustand des Gletschers in Nahe-Echtzeit berechnet und online präsentiert werden. Die Schüler und Schülerinnen des TGM entwickeln dafür unter anderem ein hochgebirgstaugliches dezentrales Funknetzwerk zur Online-Anbindung aller Messstationen sowie das Gletscher-Online-Portal.
Zeitraffer: Neue Kamera zeigt Entwicklung der Pasterzenzunge
Mit der im Rahmen von GLACIO-LIVE am Freiwandeck installierten Kamera wird einerseits der Schneebedeckungsgrad des Gletschers gemessen, es wird aber auch der Zerfall der Pasterzenzunge in den nächsten Jahrzehnten gut dokumentiert werden. Ein Zeitrafferfilm der bereits bestehenden Webcam an der Kaiser-Franz-Josef-Höhe zeigt bereits die Möglichkeiten der neuen Kamera. (Anm: siehe Video der Pasterzenzunge in den letzten Jahren)
Schulprojekt soll langfristig auch arktische Messungen erleichtern
In einem nächsten Schritt wird das auf den Alpengletschern mit dem TGM Wien aufgebaute Funk-Netzwerk auf arktische Gletscher übertragen, wie zum Beispiel auf den von der ZAMG vermessenen Freya Gletscher in Nordost-Grönland. Hier stellt eine derartige Nahe-Echtzeitanbindung aufgrund der großen Entfernungen und der damit verbundenen hohen Reisekosten auch ein hohes Einsparungspotential dar.
Das Projekt GLACIO-LIVE wird im Rahmen des Programmes Sparkling Science vom Wissenschaftsministerium gefördert. Das Gletschermonitoring am Sonnblick und an der Pasterze wird im Rahmen des Projektes Global „Cryosphere Watch – Gletscher und Schneedeckenmonitoring Sonnblick“ vom Lebensministerium finanziert.
Grönland zweigeteilt: im Nordosten geringere, im Südwesten höhere Schmelze als im Mittel
Forscher der ZAMG ermitteln regelmäßig den Massenhaushalt des Freya-Gletschers in Nordost-Grönland. Der Freya-Gletscher verlor seit 2007 im Mittel einen halben Meter Eisdicke pro Jahr. 2015 gab es – wie schon 2014 – eine leichte Erholungsphase, sagt ZAMG-Gletscherforscher Bernhard Hynek: „Der Freya-Gletscher hat heuer ziemlich ausgeglichen bilanziert, also seine Eisdicke kaum verändert.Grund dafür waren die überdurchschnittlich hohen Neuschneemengen im Nordosten Grönlands. Der Westen und Süden des grönländischen Inlandeises schmolz jedoch auch heuer mehr als im langjährigen Mittel. In Summe ergibt das für ganz Grönland eine überdurchschnittlich negative Oberflächen-Massenbilanz des gesamten Eisschildes.“