‹ Zurück zur Übersicht

© Depositphotos.com | defotoberg | Discounter locken mit Billigpreisen.

Nahrungsmittelerzeugung: „Das kostet gesunde Lebenszeit und intakte Natur“

Umwelt- und Gesundheitskosten des Ernährungssystems belasten Wirtschaft und Gesellschaft mit vielen Milliarden Euro im Jahr, ergibt eine Greenpeace-Analyse. Gesundheits- und Wissenschaftsorganisationen fordern Änderungen bei der Mehrwertsteuer.

Die Deutschen essen im Schnitt zu viel Fleisch und stark verarbeitete Lebensmittel, was ihre Gesundheit belastet, und das Agrarsystem trägt spürbar zu den Umwelt- und Klimaschäden bei. Das wird immer wieder beklagt.

Doch eine neue Untersuchung rechnet nun konkret vor, wie hoch die ungedeckten, „externen“ Kosten sind, die dadurch entstehen und von der Gesellschaft, künftigen Generationen und der Umwelt getragen werden: Es sind jährlich rund 140 Milliarden Euro, was fast einem Drittel des gesamten Bundeshaushalts entspricht, der 2024 rund 440 Milliarden Euro betrug.

Die Ernährungstrends der letzten Jahre sind durchaus positiv, wie die Analyse betont, die von Greenpeace in Auftrag gegeben wurde. Der Konsum von Fleisch wie auch der von Zucker ist danach leicht rückläufig.

Allerdings lägen die pro Kopf konsumierten Mengen „immer noch um ein Vielfaches über den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung“, heißt es darin. Dadurch seien die Folgen für Gesundheit und Umwelt sowie die externen Kosten enorm.

Das habe sich auch nicht dadurch geändert, dass die Lebensmittelpreise in Deutschland in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind. Dies habe andere Gründe als die eigentlich notwendige Einrechnung der externen Kosten.

Die Untersuchung, die den Forschungsstand zum Thema wiedergibt, wurde am Dienstag in Berlin von Greenpeace sowie der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen und der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten vorgestellt.

„Versteckte Folgekosten im Regal erkennbar machen“

Im Detail beziffert die NGO-Studie die externen Umweltkosten der Landwirtschaft in Deutschland, unter anderem durch die Folgen von Schadstoffen und Klimaschäden, auf eine Größenordnung von jährlich rund 90 Milliarden Euro.

Fleisch schlägt hier als Einzelposten am stärksten zu Buche, nämlich mit 21,1 Milliarden Euro (Rindfleisch 9,5, Schweinefleisch 9,4, Geflügel 2,2 Milliarden). Für Milch, Käse und Eier kommen 8,1 Milliarden Euro hinzu.

Die nicht gedeckten Gesundheitskosten betragen laut der Untersuchung etwas über 50 Milliarden Euro. Auch hier ist Fleisch einer der Hauptfaktoren. Der übermäßige Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch wird auf Folgekosten von 16,4 Milliarden taxiert. Noch stärker fällt hier allerdings der übermäßige Zuckerkonsum ins Gewicht, daraus ergäben sich Kosten in Höhe von gut 26 Milliarden Euro.

Das Problem dabei, auf das Greenpeace und Co hinweisen: Da die Umwelt- und Gesundheitskosten des Ernährungssystems nicht von den Verursachenden getragen werden und sich auch nicht in den Verbraucherpreisen niederschlagen, werden Wirtschaft, Sozialversicherungen und Steuerzahler:innen jährlich insgesamt mit hohen Milliardenbeträgen belastet.

„Die Folgekosten unserer Ernährung sind enorm und müssen besser in die Preise für Lebensmittel und deren Produktion einbezogen werden“, sagte Beate Richter, Referentin für Agrarpolitik beim Thinktank Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) und Hauptautorin der Untersuchung.

Kritik an Penny-Aktion ändert Grundaussage nicht

„Würden diese bislang versteckten Folgekosten in den Supermarktregalen für Verbraucherinnen und Verbraucher erkennbar, könnten Konsum und Produktion nachhaltiger und wirtschaftlicher werden“, ist sich die Agrarökonomin sicher.

Greenpeace sieht angesichts der Höhe der externen Kosten dringenden Handlungsbedarf. Tatsächlich gibt es sogar auf höchster EU-Ebene Initiativen in diese Richtung. Die Umweltorganisation erinnert daran, dass der „Green Deal“ der Europäischen Union von 2020 bereits die „Internalisierung“ der ungedeckten Kosten empfiehlt, um die Lebensmittelversorgungssysteme klima- und umweltfreundlicher zu gestalten.

Auch die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) der EU von 2023 unterstreiche die Bedeutung einer stärkeren Offenlegung der ökologischen und sozialen Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten, auch in der Lebensmittelproduktion.

Eine aufsehenerregende Aktion zu dem Thema hat in den vergangenen Jahren mehrfach der Lebensmittel-Discounter Penny, eine Tochter des Rewe-Konzerns, veranstaltet. Für eine Woche gab er jeweils für eine Handvoll Produkte „wahre Preise“ an. Dabei war laut Penny einkalkuliert worden, was bei Berücksichtigung der in der Produktion verursachten Umweltschäden eigentlich zu zahlen wäre.

Auch wenn die Berechnungsgrundlage von Umweltgruppen kritisiert wurde, ändert dies wenig am Gesamtbild. Es ergaben sich zum Teil deutliche Aufschläge. So kostete die Packung Wiener Würstchen plötzlich 6,01 Euro statt 3,19 Euro, der Maasdamer Käse 4,84 statt vorher 2,49 und der Fruchtjoghurt 1,56 statt 1,19 Euro.

Greenpeace appelliert an Supermärkte

Greenpeace-Agrarexperte Matthias Lambrecht sagte gegenüber Klimareporter°, Politik und Wirtschaft seien gemeinsam in der Pflicht, die Gesellschaft schnell und wirksam von den ungedeckten Milliardenkosten zu entlasten, die letztlich durch Gesundheits- und Umweltschäden doch von ihr getragen werden müssen.

„Dazu müssen Supermärkte ihre Kund:innen besser informieren und ihnen gesunde, ökologisch erzeugte Produkte anbieten, statt sie mit Werbung für Billigfleisch zum Überkonsum zu verführen“, forderte der Volkswirt.

Die künftige Bundesregierung müsse klimafreundliche Lebensmittel von der Mehrwertsteuer befreien und im Gegenzug für umweltschädliche tierische Produkte den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent statt des bisher ermäßigen von sieben Prozent erheben, forderte der Volkswirt. Außerdem brauche es eine verbindliche Haltungskennzeichnung für alle Tierprodukte in Handel und Gastronomie.

Lambrecht ging auch auf das Problem ein, dass ein Preisaufschlag in voller Höhe der externen Kosten die Produkte für viele Menschen unerschwinglich machen könnte. Daher sei es wichtig, neben Preissignalen etwa durch die vorgeschlagene Mehrwertsteuer-Anpassung auch auf einen „klugen Mix aus Aufklärung, Transparenz sowie Ordnungspolitik und Anreizen“ zu setzen.

Nur so könne es gelingen, umwelt- und klimaschädliche Erzeugung zu unterbinden und es für gut informierte Verbraucher:innen attraktiv zu machen, sich gesund mit Lebensmitteln zu ernähren, die ohne Überschreitung der planetaren Belastungsgrenzen produziert werden.

„Die gesunde Wahl muss zur einfachen Wahl werden“

Ähnlich äußerte sich in Berlin Barbara Bitzer, Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (Dank) und Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG). „Wir können es uns nicht mehr leisten, auf wirkungslose freiwillige Maßnahmen der Industrie und gut gemeinte Appelle an die Eigenverantwortung zu setzen“, sagte sie.

Durch Fehlernährung verursachte Krankheiten belasteten die Betroffenen ein Leben lang, überforderten das Gesundheitssystem und hätten erhebliche wirtschaftliche Folgen, warnte Bitzer. „Hier ist die Politik in der Verantwortung. Wir brauchen dringend Präventionsmaßnahmen, die die gesunde Wahl zur einfachen Wahl macht.“

Im Wissenschaftsbündnis Dank haben sich 21 medizinische Fachgesellschaften, Verbände und Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen. Ziel ist die Prävention von Krankheiten wie Fettleibigkeit, Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Der Arzt und Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen fasste die Thematik plakativ zusammen: „Worauf schauen wir im Supermarktregal zuerst? Auf den Preis! Doch nichts von dem, was wir dort kaufen, ist dort gewachsen, und viele Produkte sind nicht nur ungesund für uns, sondern auch für den Planeten.“

Die jetzt vorgelegte Analyse zeige: „Der wahre Preis unserer Ernährung ist gesunde Lebenszeit und eine intakte Natur.“

Source

Der Bericht wurde von der Redaktion „klimareporter.de“ (Joachim Wille) 2025 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden! 

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren