‹ Zurück zur Übersicht
Depositphotos.com | LaNataly | LNG-Terminal

© Depositphotos.com | LaNataly | LNG-Terminal

Neue Gas-Terminals: Verfassungsrechtliche Probleme mit dem LNG-Gesetz

Gleich zwei neue Rechtsgutachten kommen zu demselben Ergebnis: Beim LNG-Beschleunigungsgesetz gibt es verfassungsrechtliche Bedenken. Auch Europarecht könnte es zuwider stehen. Für die Klimaziele sind zu viele LNG-Terminals in Planung.

Deutschland würde gegen seine verfassungsmäßige Pflicht, Freiheitsrechte in der Zukunft zu wahren – wie im Klimabeschluss des Verfassungsgerichts von 2021 gefordert – verstoßen, mahnt Marie Bohlmann, Rechtsexpertin der Umweltrechtsorganisation Green Legal Impact (GLI). Gemeinsam mit der ebenfalls auf Umweltrecht spezialisierten Organisation ClientEarth und dem Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), hat das GLI, dass im Mai letzten Jahres beschlossene LNG-Beschleunigungsgesetz genauer unter die Lupe genommen und das Gesetz in einem Rechtsgutachten auf seine Vereinbarung mit dem deutschen Grundgesetz überprüft.

Das LNG-Gesetz stellt den Bau der Terminals ins „überragende öffentliche Interesse“ und umgeht damit eingehende Umweltverträglichkeits- und Klimafolgeprüfungen. Das Ziel: Der Bau von LNG-Importterminals auf deutschem Boden in Rekordtempo. Das Gesetz stellt fest, dass rund zwölf neue Flüssiggas-Terminals notwendig seien, um die Energieversorgung in Deutschland sicherzustellen. Geplant sind derzeit elf.

Laut Berechnungen des New Climate Institute vom letzten Jahr würden diese elf LNG-Terminals den Import von 73 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr ermöglichen. Mit Importen aus anderen EU-Ländern und Einsparungen wären jedoch drei Terminals völlig ausreichend, so die Berechnungen der Wissenschaftler:innen. Auch eine Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln (EWI) im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK), kam Anfang März zu dem Ergebnis, dass elf Terminals nicht nötig seien. Mit sieben Terminals wäre Deutschland demnach für jedes Szenario gerüstet.

Sieben sind schon zu viel

Für die deutschen Klimaziele wären auch sieben Terminals wohl zu viel. Allein sieben der zwölf Terminals würden, laut Rechtsgutachten, drei Viertel des wissenschaftlich errechenbaren deutschen 1,5-Grad-kompatiblen Restbudgets aufzehren. Demnach würde bei voller Auslastung der Terminals im Jahr 2030, über ein Drittel der zulässigen deutschen Gesamtjahresemissionsmenge nach dem Bundes-Klimaschutzgesetz allein durch das über diese Terminals angelandete Gas verbraucht werden. Damit wäre das voraussichtliche summierte Jahresemissionsbudget aller Sektoren nach dem Klimaschutzgesetz im Jahr 2040 nahezu aufgebraucht. Das Klimaschutzgesetz schreibt aber erst für das Jahr 2045 Klimaneutralität vor.

Im LNG-Beschleunigungsgesetz ist ebenfalls vorgeschrieben, dass die Terminals ab 2044 auf den Betrieb mit Wasserstoff umgestellt werden und damit H2-Ready seien müssen. Die Idee der Bundesregierung, LNG-Terminals später zum Import von Flüssigwasserstoff oder Ammoniak umzurüsten, sei jedoch mit großen Unsicherheiten behaftet, warnt das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. Sie weisen auf große technische Herausforderungen hin, die eine Umrüstung von LNG-Terminals zur Anlandung und Weiterverbreitung von Ammoniak, wie auch Wasserstoff mit sich bringt.

Ammoniak habe eine günstigere Siedetemperatur als LNG und daher geringere Anforderungen an die thermische Isolation, sei aber korrosiv und giftig, so die Forscher:innen, die weiter schreiben: „Flüssiger Wasserstoff hingegen hat einen noch niedrigeren Siedepunkt als LNG, kann Materialversprödung verursachen und geht aufgrund des Explosionsrisikos mit hohen Sicherheitsanforderungen einher.“ Die Kosten einer Umrüstung seien immens und müssten von Anfang an mitgedacht werden. Aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Lage und künftigen Bedarf von Wasserstoff und Ammoniak, wird im Rechtgutachten von GLI, ClientEarth und BUND nicht damit gerechnet, dass viele Betreiber freiwillig Vorkehrungen für eine eventuelle Umrüstung treffen werden.

Das Fazit der Autor:innen: Das LNG-Beschleunigungsgesetz gefährde künftige grundrechtlich geschützte Freiheitsrechte, indem sie das CO2-Restbudget irreversibel zu verkleinern drohen. Insbesondere wegen der unzureichenden Berücksichtigung des Klimaschutzes bei der Realisierung künftiger LNG-Projekte, bestünden erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelungen des LNG-Gesetzes mit dem Grundgesetz. Olaf Bandt, Vorsitzender Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), konstatiert: „Die Belange des Klimaschutzes müssen gestärkt werden und sollten in der Genehmigungspraxis der Behörden das nötige Gewicht erhalten. Eine alleinige Fokussierung auf die Versorgungssicherheit mit dem Ergebnis großer Überkapazitäten ist nicht mehr vertretbar. Die Liste der geplanten LNG-Terminals muss gekürzt werden, anstatt über die Aufnahme weiterer Vorhaben zu diskutieren.“

Gegen geltendes Europarecht?

Laut Informationen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) plant die Bundesregierung jedoch Anfang Mai mit einer dritten Novelle seit Inkrafttreten des Beschleunigungsgesetzes im Mai 2022, weitere LNG-Standorte vor Rügen zu ergänzen sowie den Anwendungsbereich des Gesetzes deutlich auszudehnen. Sascha Müller-Kraenner, DUH-Bundesgeschäftsführer, sagt dazu: „Das LNG-Beschleunigungsgesetz wurde in einer Phase hoher politischer Unsicherheit nach dem russischen Angriff auf die Ukraine verabschiedet, als die Aufrechterhaltung der Gasversorgung unklar war. Ein Jahr später darf der hektische Aktionismus, den das Gesetz erlaubt und auslöst, nicht weitergehen. Der Bedarf für den beschleunigten Bau weiterer LNG-Terminals ist schlicht nicht gegeben.“

Auch ein Rechtsgutachten der Rechtsanwältin Dr. Cornelia Ziehm im Auftrag der DUH, stellt fest, dass das LNG-Beschleunigungsgesetz unvereinbar ist mit dem Klimaschutzgesetz sowie Artikel 20a des Grundgesetzes, wonach der Staat auch in der Verantwortung ist die natürlichen Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu schützen. Darüber hinaus verkürze das Gesetz Beteiligungsfristen, senke die Hürden für einen vorzeitigen Maßnahmenbeginn, erlaube Bau und Planung von schwimmenden LNG-Terminalschiffen ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und breche damit geltendes Europarecht.

Laut Rechtsgutachten wären Planung und Bau von LNG-Terminals auch ohne eigenes Beschleunigungsgesetz möglich – nach den Vorschriften, die auch sonst für alle übrigen Großanlagen gelten würden. Aufgrund der sich zeigenden fehlenden Mangellage an Gas bestehe jedoch für das LNG-Beschleunigungsgesetz keine valide Grundlage mehr. Zumindest bei Plänen für LNG-Terminals vor Rügen zeigt sich die Bundesregierung gesprächsbereit. Am gestrigen Donnerstag reisten Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Rügen, um mit den dortigen Bürgermeistern und Bürgerinitiativen zu sprechen. Der Widerstand gegen LNG-Infrastrukturen vor der Küste Rügens ist groß.

Quelle

Der Bericht wurde von der Redaktion “energiezukunft“ (mg) 2023 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | energiezukunft | Heft 33/2022 | „Ressourcen schonen, Kreisläufe nutzen“ |  Jetzt lesen | Download

Diese Meldung teilen

‹ Zurück zur Übersicht

Das könnte Sie auch interessieren