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pik-potsdam.de | Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber.

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Laudatio auf Hans Joachim Schellnhuber

Die sehr persönliche Lobrede von Professor Udo E. Simonis aus Anlass der Verabschiedung von Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber vom WBGU am 17. September 2020 an der Universität Münster.

Das Jahr 1992 war ein Jahr der umweltwissenschaftlichen und -politischen Innovation: Auf der globalen Ebene die Gründung des UN-Umweltprogramms (UNEP) und die Verabschiedung der UN-Klimarahmenkonvention und der UN-Biodiversitätskonvention; auf der nationalen Ebene die Einrichtung des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) und die Gründung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Auf beiden Ebenen war ein deutscher Wissenschaftler maßgebend aktiv, der heute geehrt werden soll.

Wir feiern heute den erfolgreichen Abschluss der WBGU-Beiratsperiode 2016 bis 2020 – und ich darf besonders das dienst-älteste Mitglied des WBGU feiern, Professor Hans Joachim Schellnhuber – John, wie man ihn allseits nennt. Wenn jemand einer Institution, für deren Berufung eigentlich nur jeweils 4 Jahre vorgesehen sind 28 Jahre lang angehört, davon 13 Jahre als Vorsitzender und 6 Jahre als Stellvertretender Vorsitzender, dann muss es sich um einen ganz besonderen Menschen handeln.

Ich lernte diesen besonderen Menschen kennen nachdem der Wissenschaftsrat im Jahr 1991 empfohlen hatte, ein Institut für Klimaforschung in Brandenburg einzurichten – quasi als Geschenk zur deutschen Wiedervereinigung und als Reverenz davor, dass es nicht nur in Westdeutschland sondern auch in Ostdeutschland kompetente Klimaforscher gab.

Im Oktober 1991 fand die erste Sitzung desGründungskomitees (des späteren Kuratoriums) für die Einrichtung eines solchen Instituts auf dem legendären Telegrafenberg in Potsdam statt. Nur zwei Monate später erfolgte die Beschlussfassung über die Statuten des neuen Instituts und die Ernennung des Gründungsdirektors, eines jungen, vielversprechenden Wissenschaftlers mit Hochbegabten-Stipendium, der einen echt bayerisch klingenden Namen hatte: Schellnhuber.

Im Januar 1992 kam es dann zur offiziellen Gründung des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, mit dem assoziativen Kürzel PIK – nicht PEAK, aber doch so gemeint! Damit begann der Aufstieg des PIK zu einem weltbekannten Markenzeichen.

Im Jahr 1992 war es in Deutschland aber noch zu einer weiteren spektakulären Institution gekommen, der Einrichtung eines unabhängigen Beratergremiums mit einem etwas seltsam klingenden Namen: „Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ – und dem Kürzel: WBGU. Über diesen Namen und das Kürzel wurde eine Zeit lang viel gemosert. Einige verwendeten daher nur den englischen Titel „German Advisory Council on Global Change“, doch alle waren sich einig: Der WBGU ist ein Unikat, ein Think Tank, wie es ihn in gleicher Form nirgendwo sonst gibt.

© wbgu.de | Prof. Hans Joachim Schellnhuber

Hier trafen wir uns dann wieder – John und ich, mit (damals) 10 weiteren Mitgliedern des ersten WBGU, darunter aber nur drei Professorinnen. In der Beiratsperiode 1992 bis 1996 entstanden vier Hauptgutachten unter dem Leitbegriff „Welt im Wandel“ – und von Anfang an, wie es sich geziemt, in Deutsch und in Englisch. John blieb danach noch weitere 24 Jahre im WBGU, derweil ich nicht neu berufen wurde. Ich hatte mich in meinem Eifer mit zu vielen Leuten angelegt, habe aber schnell meinen Frieden mit dem WBGU gemacht, weil ich dort mein Lebensthema gefunden hatte und bestätigt fand: „Ökologischer Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft – und Weltumweltpolitik“.

Außerdem durfte ich 10 Jahre lang Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des PIK und Mitglied des Kuratoriums sein und 25 Jahre lang Redakteur und Mitherausgeber des Jahrbuch Ökologie, in dem John mehrfach publiziert hat. Als mich das PIK 2002 zum Ehrenmitglied ernannt hatte, konnte ich dann als Gründer und Vorsitzender des „Vereins der Freunde und Förderer des PIK“ John’s Weg bis zum Jahr 2016 weiter begleiten.

Das Hauptgutachten des WBGU von 1993 war eine erste Annäherung an den komplexen Untersuchungsgegenstand: der größte Teil galt dem Globalen Wandel und den notwendigen Elementen einer Systemanalyse. Die weiteren Hauptgutachten der ersten Beiratsperiode galten der Gefährdung der Böden (1994), den grundsätzlichen Wegen zur Lösung globaler Umweltprobleme (1995) und den Herausforderungen an die deutsche Wissenschaft (1996).

Beim kürzlichen nochmaligen Durchblättern des ersten Gutachtens meinte ich schon deutlich John‘s Handschrift erkennen zu können. Doch die spezifische Behandlung seiner Hauptanliegen – Klimaproblem und Klimapolitik – erfolgte erst später. Was die Hauptgutachten zu diesen Themen angeht, wären hier vor allem die zum „Sicherheitsrisiko Klimawandel“ (2007) und zum „Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ (2011) zu nennen. Doch in anderer Form ging es schon viel früher los: Da gab es die Sondergutachten zur „Ableitung globaler CO2-Reduktionsziele“ (1995), zu den „Zielen für den Klimaschutz“ (1997), zu den „Klimaschutzstrategien für das 21. Jahrhundert“ (2003), zum „Budget-Ansatz“ (2009) und zum „Klimaschutz als Weltbürgerbewegung“ (2014), die in unterschiedler Weise aber auf besondere Art zur Fortentwicklung der internationalen Klimaforschung und Klimapolitik beigetragen haben, insbesondere auch zum „Übereinkommen von Paris“ (2016), das nun der praktischen Umsetzung harrt.

Ich habe natürlich sorgfältig verfolgt, was der WBGU in all den Jahren – und ohne meine Mitwirkung – erarbeitet hat, darunter auch echte Highlights, wie besonders das Hauptgutachten von 2011. Doch wer immer einmal einem solch exquisiten Gremium angehört hat, ist positiv voreingenommen. Deshalb möchte ich hier und heute diese Arbeiten nicht im Einzelnen kommentieren, sondern nur anregen wollen, dass zu Beginn der nächsten Beiratsperiode des WBGU (im November 2020) die bisherigen Arbeiten strategisch geprüft werden mögen.

Zunächst mit einem Blick zurück: Was war der wichtigste Impact des WBGU in der internationalen Debatte zum Globalen Wandel in der Beiratsperiode 2016 bis 2020, was beim Blick auf die gesamte Beirats-Zeit seit 1992? In Bezug auf die Klimapolitik ließen sich entsprechende Erfolge wohl am leichtesten nachweisen, wenn auch zur Konkretisierung der „Klimaneutralität“ wohl noch nachgeliefert werden müsste. Der angehäufte Wissensschatz dürfte auch bei den Themen Biodiversität, Böden, Meer und Wasser beachtlich sein, wenn dazu Nacharbeit geleistet würde. Eine bald anstehende Frage für den WBGU könnte daher lauten: Was sollte thematisch noch einmal aufgegriffen, was aktualisiert werden?

Sodann der Blick nach vorn: Die Corona-Pandemie hat unser Verständnis vom Globalen Wandel in jüngster Zeit erheblich verändert und auch neue Lücken im Umweltpolitikdiskurs erkennbar gemacht. Was aber ist an Prioritäten im wissenschaftlichen Diskurs über globale Umweltprobleme in den nächsten Jahren, der 8. Beiratsperiode 2021 bis 2025, zu erwarten beziehungsweise anzustreben?

Die sorgfältige Einschätzung dieser Frage wäre wohl etwas zeitaufwändig, könnte aber viele Chancen der Neujustierung von Forschung und Politik eröffnen.

Nur zwei mögliche Beispiele: Die Institutionalisierung einer effektiven „Weltumweltpolitik“ ist zwar angedacht (World Environment Organisation), aber nicht wirklich auf den Weg gebracht. Bescheiden gefragt: Wie könnten die Erfahrungen mit der Corona-Pandemie, den jüngsten Waldbränden, der Meeresvermüllung und anderen massiven Umweltschäden dazu beitragen, nicht nur die umweltpolitische Kompetenz der Europäischen Union, sondern auch die der Vereinten Nationen merklich zu erhöhen? Die Debatte um den „European Green Deal“ hat nicht nur zu einer gewaltigen Finanzmobilisierung sondern auch zu einer institutionellen Innovation geführt: der „Recovery and Resilience Fascility“. Wird also resilience verstärkt zu einem Thema für den WBGU werden – und wann beginnt wohl seine systematische Vorarbeit zu einem „Global Green Deal“?

Das andere Beispiel: Mit Hilfe der Vorarbeiten des WBGU und nach Beschluss des Paris-Abkommens (2016) ist die notwendige „De-Karbonisierung“ der Energiesysteme international inzwischen weitgehend akzeptiert. Müsste aber in Zukunft nicht auch die „De-Materialisierung“ der Wirtschaft zu einer prioritären technisch-ökonomischen Aufgabe gemacht werden?

Da dies allein die gefährdeten globalen ökologischen Systeme nicht retten kann, sollten diese beiden Kategorien aber unbedingt durch eine natur-basierte Ziel-Kategorie ergänzt werden: um die „Re-Naturierung“, die großangelegte Wiederherstellung von Flora und Fauna – in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt.

Dass der heute zu lobende WBGU-Rekordhalter John Schellnhuber auch bei der Frage der Fortentwicklung des WBGU weiterhin präsent sein wird, lässt sich in vielfacher Weise begründen: Ich selbst war und bin in besonderer Weise davon angetan, wie John zu einem großen konzeptionellen Innovator und grandiosen Sprachschöpfer wurde – und wie er dies in den internationalen wissenschaftlichen Diskurs und die politische Auseinandersetzung hat einbringen können.

Einige seiner vielen konzeptionellen und sprachlichen Innovationen möchte ich hier erwähnen dürfen: Übergreifend gings es ihm um Erdsystemanalyse und um Große Transformation, im Detail um Toleranzfenster, Planetarische Leitplanken, um Kippelemente und den Budget-Ansatz für Treibhausgasemissionen. Und es ging sogar um kollektive „Selbstverbrennung“ – so der Titel seines großen Buches von 2015.

C. Bertelsmann
C. Bertelsmann | „Selbstverbrennung“: Schellnhubers Blick aufs Ganze

Wenn man mich fragte, woher solche schöpferische Kraft wohl kommt, hätte ich zwei Antworten parat: Da war einerseits die Alltagserfahrung. Das von John geleitete PIK ist über die Zeit hin ein effektives und global hoch geschätztes, multi-disziplinäres Institut geworden. Und da war zum anderen eine exzellente Schule: Der WBGU ist ein ganz außergewöhnlicher Ort des inter-disziplinären Lernens und Diskutierens und John war dessen langjähriger Vorsitzender; mit ihm und durch ihn wurde der WBGU eine global einzigartige Institution.

Was aber macht die Besonderheit des Wissenschaftlers John Schellnhuber aus?

Meine Antwort: Er ist nicht nur ein hart arbeitender und sehr erfolgreicher Naturwissenschaftler, er entwickelte sich parallel dazu auch zu einem neugierigen Sozialwissenschaftler mit einem hohen sozialen Verantwortungsbewusstsein. Erst diese Synthese (zeitgemäß könnte man es auch ein „Hybrid-Werden“ nennen) erklärt seinen erstaunlichen Einfluss auf Politik und Öffentlichkeit, in Deutschland, in Europa, in der Welt.

Und was ist so bedeutsam an seinen wissenschaftlichen Leistungen?

Meine Antwort: Seine Erkenntnisse sind nicht nur theoretisch interessant, sie sind auch empirisch relevant; sie betreffen einen Großteil der Bevölkerung, ja letztlich der gesamten Menschheit. Er hat faszinierende Ideen und Konzepte entwickelt, und er forscht zu den größten wissenschaftlichen Herausforderungen, die uns hier und heute – und alle anderen nach uns – betreffen. Er hatte stets den Mut, seine als wichtig erachteten Erkenntnisse aktiv und in hoher Frequenz in die Gesellschaft zu tragen, auch gegen viel Widerstand und den gelegentlichen Argwohn anderer Forscher.

Manchmal hat es ihm aber auch richtig Spaß gemacht. Ich erinnere mich zum Beispiel besonders gern daran, wie er eines Tages in einem kleinen aber feinen Auto in Potsdam daherkam, das die Nummer P – PM 450 trug, seine individuelle, ureigene Präsentation der global erforderlichen klimapolitischen Leitplanke (ppm 450)…

Dann sind da auch noch die vielen Ehrungen, die John zwar als Person galten, aber damit eigentlich auch dem PIK und dem WBGU. Ich nenne hier nur den Deutschen Umweltpreis (2007), den Volvo Environment Prize (2011), die Aufnahme in die Päpstliche Akademie der Wissenschaften (2015), den Blue Planet Prize (2017) und den Orden der Aufgehenden Sonne am Halsband, mit goldenen Strahlen des Japanischen Kaisers (2020).

Ob letzteres Weltbild – die „aufgehende Sonne, mit goldenen Strahlen“ – nicht auch eine passende persönliche Charakterisierung des John Schellnhuber sein könnte?

Foto privat | Udo E. Simonis ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)

Ein kurzes Fazit: Am 17. September 2020 ging die 292. Sitzung des WBGU zu Ende, unglaublich viele Sitzungen in 28 Jahren. In dieser Zeit hat der WBGU äußerst fleißig gearbeitet. Die Bilanz ist denn auch beeindruckend: 16 Hauptgutachten, 10 Sondergutachten, 11 Politikpapiere, 12 Factsheets, 6 Stellungnahmen, aber auch 2 Videos und sogar 2 wunderbare Comics. All dies zeigt: Der WBGU ist eine Einrichtung, auf die wir stolz sein können – auf die ganz Deutschland stolz sein sollte.

Ein letztes Wort noch zu dem, was jetzt kommen wird beziehungsweise kommen möge: John Schellnhuber ist nicht nur einer, er ist ein mehrfacher Professor. Nach dem lateinischen Begriff pro-fiteri ist das jemand, der sich „öffentlich und deutlich als Lehrer zu erkennen gibt“. Das ist es, was er immer schon getan hat, hier und überall in der Welt. Für die Zukunft habe ich aber trotzdem noch eine Bitte, lieber John: „Remain usefully involved – resist retirement!“

Quelle

Udo E. Simonis 2020 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)

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