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Ökologische Gebote

Ökologische Gebote zur Rettung der Welt? Moses war bedeutend mit der Formulierung von 10 globalen Geboten. Wie könnten (müssten) Gebote der Ökologie heute formuliert sein, um globale Relevanz zu erlangen? Ein Buch zum Thema – und eine erste Einschätzung dazu von Professor Udo E. Simonis

„Nein. Ich bin nicht Moses“. Mit dieser Selbstbeschränkung des Autors beginnt das Buch. Doch die uralten 10 Gebote vom Berg Sinai gälten nur dem guten Zusammenleben der Menschen untereinander, nicht ihrem Umgang mit der Natur. So scheine es denn immer noch so, als ob nur wir Menschen das Recht auf Würde und Freiheit hätten. Auch wenn zu dieser anthropozentrischen Sicht der Welt schon viele kritische Bücher geschrieben worden seien, sei der weltweit ungehemmte Verbrauch natürlicher Ressourcen die ökologische Ursünde unserer Zeit. Selbst die Wissenschaft und vor allem die Politik hätten den Blick für die dringend notwendige Reduzierung des Rohstoffverbrauchs verstellt. Deshalb gälte es nun 10 Gebote der Ökologie zu formulierten, die einfache und klare Regeln für jeden Einzelnen umfassen, eindringlich und verständlich seien, in überzeugender Logik und bestechender Gestaltung. Der Verlag setzt diesem Anspruch des Autors auf dem Rückendeckel noch eine Überhöhung obendrauf, wo es heißt, dieses Buch sei die „Bibel des Umweltschutzes“.

Schmidt-Bleek ist in seiner Einleitung gottseidank bescheidener. Das Buch solle ein Gefühl dafür vermitteln, wie eine ökologische Zukunft aussehen könne; es gehe um die Anpassung unserer Lebenshaltung an die Gesetze der Natur (S. 14). Was zu der Frage führt, was eine ökologische Zukunft ausmacht und wie die Anpassung des Menschen daran vonstattengehen könnte. Die zehn hierzu formulierten Gebote geben darauf in höchst unterschiedlicher Weise Antwort. Einige sind eindringlich und leicht verständlich, andere erfordern erhebliche „Übersetzungskunst“.

„Du sollst die Lebensräume aller Lebewesen achten“, heißt es in Gebot 1; „Du sollst an die Natur denken, bevor du etwas anschaffst“ in Gebot 4. Einige Gebote klingen einfach, sind in Wirklichkeit aber höchst komplex: „Du sollst natürliche Ressourcen sparen“ (Gebot 2); „Du sollst ökologisch essen“ (Gebot 8) und „dich ökologisch fortbewegen“ (Gebot 9); hierzu gäbe es jeweils viel zu debattieren. Die restlichen Gebote sind gar nur mit erheblichem (wissenschaftlichen) Aufwand zu verstehen beziehungsweise zu beachten, wie zum Beispiel das Gebot 3: „Du sollst auf den ökologischen Rucksack achten“, und das Gebot 5: „Du sollst nur besitzen, was du wirklich brauchst“, oder sie sind schlicht zu allgemein formuliert, wie das Gebot 10: „Du sollst dich informieren“. Und dann gibt es da auch noch eine starke Anlehnung an das Lieblingskonzept des Autors mit dem Gebot 6: „Du sollst um den Faktor 10 reduzieren“. Warum ein Faktor 10, wenn auch ein Faktor 100 ginge? Oder wie Niko Paech einmal schön gesagt hat: „Nichts ist billiger, unkomplizierter und voraussetzungsloser umzusetzen als das pure Weglassen.“ Warum soll man seinen Autoverkehr um den Faktor 10 reduzieren, wenn man auf das Fahrrad umsteigen kann?

Mit diesem Buch verteidigt der Autor indirekt seinen Grundsatz, dass bei der ökologischen Beurteilung dem Gewicht von Materialien (der Materialintensität und den ökologischen Rucksack) Vorrang vor ihrer Giftigkeit zu geben sei (was höchst strittig ist), dass nur das, was Ressourcen spart, auch wirklich ‚grün‘ sein könne. So ist denn sein Text über „Ressourcenvöllerei“ interessant zu lesen und voller plakativer Beispiele. In der modernen Wirtschaft werden rund 30 kg Masse aus der Natur entnommen, verarbeitet und transportiert, um 1 kg moderne Technik zu schaffen (S. 33). Das so leicht wiegende Smartphone wiegt in Wirklichkeit mehr als 70 kg, der PC zuhause bringt es gar auf 12 Tonnen.

An der Stelle der Argumentation wird Schmidt-Bleek auch politisch: Er beklagt, dass es keine aktuellen Folgeabschätzungen zu den Auswirkungen digitaler Technik gebe. Dabei erklärten doch alle Parteien immerzu, dass die digitale Technik für die Gestaltung der Zukunft entscheidend sei. Hier wünscht sich der Autor (und auch der Rezensent) etwas mehr vorausschauende Verantwortung für die ökologischen Folgen von Wirtschaft und Technik. Bisher habe technisches Recycling den steigenden Verbrauch natürlicher Ressourcen nicht gebremst – und der entscheidende Grund sei, dass intelligentes Recycling großes Wissen erfordere.

Auch die Passagen zum ökologischen Rucksack und zur Dematerialisierung sind lesenswert, wenn auch nicht widerspruchsfrei. Der Autor verrennt sich nachgerade bei der im Blickpunkt der internationalen Klimapolitik stehenden Aufgabe der „Dekarbonisierung“, wonach in den nächsten zwei Generationen netto definiert eine globale CO2-Nullemission erreicht werden muss, wenn das auf der Pariser Klimakonferenz postulierte Ziel der (reduzierten) Erderwärmung erreicht werden soll. Wer pokert zu hoch – die, die sich der Dematerialisierung oder die, die sich der Dekarbonisierung verschrieben haben? Hierzu gibt das Buch von Schmidt-Bleek leider keine Antwort. Doch es regt – zumindest indirekt – dazu an, über den Zusammenhang dieser beiden Strategien verstärkt nachzudenken.

Das Buch endet mit einem Blick in die Zukunft und einem schönen Satz dazu: „Auf eine Zukunft mit wirklicher Zukunft haben wir nur eine Chance, wenn wir schnellstmöglich lernen, Wohlstand mit viel weniger Vernutzung natürlicher Ressourcen zu schaffen“ (S. 254). „In der wirklichen Welt indes sind wir von wirksamem Ressourcenschutz noch weit entfernt…. Noch sind wir Gefangene einer Zivilisation, die mehr oder weniger dazu zwingt, die natürliche Umwelt zu zerstören“ (S. 256).

Vielleicht hätten wir also viel früher damit beginnen sollen, über (10) Gebote der Ökologie nachzudenken. Doch Moment mal! Es wurde sehr wohl darüber nachgedacht. Im Jahrbuch Ökologie 1992 fand der Rezensent von dem Verein „David gegen Goliath“ formulierte Gebote für eine lebenswerte Zukunft. Es sind allerdings 11 Gebote – und sie fingen alle gleich an: „Ich will alles tun …“ Die betreffenden Bekenntnisse waren alle einfach, eindringlich und überzeugend formuliert; es ging darum, die Luft nicht zu verschmutzen, das Wasser rein zu halten, Landschaft und Boden zu schützen, Lärm zu vermeiden und ein umweltbewußter Verbraucher zu sein, bis hin zu dem 11. Gebot: „Ich will alles tun, diese zehn Gebote im täglichen Leben auch zu verwirklichen“ (Jahrbuch Ökologie 1992, S. 371 f.).

Friedrich Schmidt-Bleek „Die 10 Gebote der Ökologie“

Ludwig Buchverlag
Quelle

Udo E. Simonis 20ö17 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Redakteur des Jahrbuch Ökologie

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