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Zur Macht von Individuen in der globalen Politik

Haben Individuen Macht in der globalen Politik? Ja, unter gewissen Umständen. Und es sind Individuen ganz unterschiedlicher Art: Prominente, Philanthropen und Social Entrepreneurs. Dazu gibt es nun ein spannendes Buch einer jungen Politologin. Eine Rezension von Professor Udo E. Simonis

Dieses Buch erfüllt alle zentralen Kriterien einer bedeutsamen wissenschaftlichen Arbeit: Es ist theoretisch interessant, konzeptionell innovativ, empirisch relevant und höchst aktuell – und bibliophil zugleich ein Genuss. Es handelt von der Rolle von Individuen in globalen Transformationsprozessen, die dazu als Akteure im Feld internationaler Beziehungen zunächst einmal kategorisiert werden müssen. Während Individuen auf der Makroebene traditionell als politische Leader – als Staatspräsidenten, Kanzler, Minister oder Delegierte – betrachtet wurden, nimmt Lena Partzsch drei ganz andere Akteurstypen in den Blick: Prominente, Philanthropen und Social Entrepreneurs.

Die Art und Weise, wie diese Akteure Macht ausüben, differenziert sie nach dem traditionell dominanten Machtverständnis von Zwang und Manipulation (power over) und einem von Hannah Arendt geprägten, eher konsensuellen Machtverständnis von Kooperation und Lernen (power with), auf Prozesse des Suchens nach und des Findens von Gemeinsamkeiten bei an sich unterschiedlichen Interessen, der Entstehung geteilter Werte und der Schaffung kollektiver Stärke. In der Annahme, dass sich diese Macht-Differenzierung in der realen Welt nicht immer exklusiv darstellt, sucht sie aber auch nach den möglichen Verbindungen (von power over und power with): Verstärkung oder aber Abschwächung von Machtungleichheiten können das Ergebnis solcher Verbindungen sein.

Auf diesem exquisiten wie komplexen Analyserahmen baut Lena Partzsch ihre Empirie und Fallbeispiele auf: die Definition und weitere Spezifikation der schon genannten drei Akteursgruppen und deren wichtigste Tätigkeitsfelder, die Umweltpolitik und die nachhaltige Entwicklung.

Bei der konkreten Auswahl charakteristischer Individuen wird es dann regelrecht spannend: Neben den weltweit bekannten Akteuren Bono, Bill Gates und Muhammad Yunus, wählt sie drei deutsche bzw. deutschsprechende Akteure aus: Heike Makatsch, Michael Otto und Mathis Wackernagel. Die machttheoretische und machtpolitische Relevanz dieser sechs Akteure leitet sie aus allgemein zugänglichen Dokumenten ab, nicht aus eigenen Umfragen oder Interviews (was eine nachträgliche Bestätigung durch weitere und detailliertere Erhebungen nahelegt).

Wichtig sind Erkenntnisse darüber, woraus Prominente, Philanthropen und Social Entrepreneurs ihre jeweilige Machtposition beziehen – und auf welche Weise sie ihren spezifischen Einfluss ausüben. Dieser Teil der Arbeit ist für sich und für die Empirie internationaler Beziehungen insgesamt interessant, zugleich aber auch höchst animierend: Hier möchte man sogleich auch andere Akteursgruppen – etwa aus dem IT-Bereich – oder Individuen – etwa aus Sport und Ökobewegung – betrachtet sehen und entsprechende Studien anregen wollen.

Power over- und power with-Ansätze sind auf der globalen Ebene jeweils unterschiedlich ausgeprägt, was die Akteurstypen und die betrachteten Individuen selbst angeht – und sie unterliegen in besonderer Weise auch einer Themen-Konjunktur. Die Aktualität der Studie liegt in der Rolle, die engagierte Individuen beim Auslösen, Verstärken und Verändern von globalen Transformationsprozessen spielen. Können sie wirksam werden, wo traditionelle Akteure – wie Staaten, Politiker und Diplomaten – versagen? Das ist eine der sich ergebenden wichtigen Fragen.

In vorsichtiger Einschätzung meint die Autorin schlussfolgern zu können, dass Individuen Macht in einem systemverändernden Sinne nur kollektiv ausüben können, dass ihr transformatives Potential also wesentlich auf der Ausübung von Macht zusammen mit anderen beruht. Das wirft sogleich die Frage der Legitimität der Machtausübung auf, der folgerichtig ein ganzes Kapitel gewidmet ist, dem drei Prüfkriterien zugrunde gelegt sind: Wirksamkeit, Beteiligung und Verantwortlichkeit. Das Ergebnis der Analyse ist erwartungsgemäß ambivalent – nicht gradlinig und auch nicht konfliktfrei.

Insgesamt zeigt die Studie von Lena Partzsch, dass Individuen eine neue, wichtige Kategorie in Teilen der Weltpolitik – hier der Umweltpolitik und der nachhaltigen Entwicklung – darstellen und dass ihnen eine wachsende Bedeutung zukommt. In dem Maße, wie man in Teilbereichen gar von einem Trend zur Individualisierung sprechen kann, insofern Prominente, Philanthropen und Social Entrepreneurs zunehmend auf der globalen Ebene in Erscheinung treten, können sie zu einer Neuverteilung materieller und ideeller Machtressourcen beitragen. Ob dies in Zukunft aber auch auf andere als die in diesem Buch betrachteten Akteursgruppen zutrifft und wenn ja, auf welche, bleibt offen – Anschlussfähigkeit aber nicht ausgeschlossen.

Die Studie endet mit einem ausführlichen und zugleich anregenden Ausblick, was weitere Forschungsfragen angeht und zusätzliche Forschungsanstrengungen nahelegt.

Lena Partzsch „Die neue Macht von Individuen in der globalen Politik Wandel durch Prominente, Philanthropen und Social Entrepreneurs“

Quelle

Udo E. Simonis 2014 ist Professor Emeritus für Umweltpolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Redakteur des Jahrbuch Ökologie

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