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Wie sieht die Energieversorgung von morgen aus?

Einschätzung von Manfred Fischedick vom Wuppertal Insitut zu Energieversorgungsrisiken, Energiepreiskrise und Klimaschutz-Herausforderung.

In den letzten zwei Jahren hat sich die Welt verändert und vermehrt beherrschen Krisen das Bild. Jahrzehntelange Gewissheiten gelten nicht mehr, Risiken und Unsicherheiten nehmen zu, die Herausforderungen werden immer komplexer und erfordern gleichzeitig immer schnelleres und konsequenteres Handeln.

Was können und was müssen wir aus den aktuellen Krisen lernen? Wir müssen lernen, dass wir ein erhöhtes Maß an Sensibilität gegenüber potenziellen Risiken brauchen und da, wo notwendig und möglich, Vorsorge treffen müssen und zwar auch dann, wenn dies finanzielle und strukturelle Vorleistungen erfordert. Nach der Corona-Pandemie ist die zugespitzte geopolitische Lage in Bezug auf die Erdgasversorgung überraschend aber mit großer Macht auf die Agenda gekommen, das heißt ohne, dass die Entscheidungsträger*innen in Politik und Wirtschaft sowie die Verbraucher*innen darauf wirklich vorbereitet gewesen sind – nicht zuletzt vor dem Hintergrund jahrzehntelanger zuverlässiger Lieferungen (auch zu Zeiten des Kalten Krieges). Was im letzten Quartal des Jahres 2021 mit einem auf verschiedene Effekte [1] zurückzuführenden, drastischen Anstieg der Energiepreise anfing (der Gaspreis ist bei Vertragsverlängerungen oder Neuverträgen für Haushaltsverbraucher im Verlauf des Jahres 2021 um 83 Prozent von 6,47 Cent pro Kilowattstunde auf durchschnittlich 11,84 Cent pro Kilowattstunde gestiegen), kumulierte mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine in Bezug auf die Energieversorgung in eine Situation, in der geopolitische Risiken das Bild bestimmen. Hiermit verbunden waren weitere drastische Preisaufschläge beim Energieträger Gas. So stieg der Gaspreis am niederländischen Handelsplatz TTF – dem wichtigsten Index für die EU – am 2. März 2022 von 122 Euro pro Megawattstunde am Vortag auf 166 Euro pro Megawattstunde – also um mehr als ein Drittel an einem Tag. Der zwischenzeitliche Tageshöchststand lag sogar bei 195 Euro pro Megawattstunde, was einem Preisanstieg um knapp 60 Prozent gegenüber dem Vortag entspricht.

Abbildung 1: Entwicklung der Erdgaspreise (Neuverträge) für Haushalte in Mehrfamilienhäusern in
Deutschland – Zahlen für 2022 entsprechen dem Niveau zu Beginn des Jahres. Quelle: BDEW 2021 & 2022

Für den Umgang mit der Energieversorgungs- und Energiepreis-Krise sind Lösungen und ein dauerhaft tragfähiger Ausweg notwendig. Gleichzeitig ist aber auch klar, dass diese Lösungen nicht zu Lasten der Klimaschutzziele gehen dürfen – um nicht mit einem Beitrag zur Lösung der einen Krise, eine andere, die Menschheit ebenso bedrohende Krise sich weiter zuspitzen zu lassen. Anders ausgedrückt: Die jetzt anstehenden Entscheidungen müssen entsprechend aus einer ganzheitlichen Perspektive getroffen werden, Lock-in-Situationen und Pfadabhängigkeiten sind zu vermeiden, die für das Klima in eine Sackgasse führen.

Umgekehrt ist für die Zukunft vor diesem Hintergrund aber auch klar: Es bedarf eines generellen Risiko-Checks für die zentralen Energiewende- und Klimaschutz-Strategien und -Pfade. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Sicherheit der Bereitstellung von Energieträgern, aber für ein Industrieland wie Deutschland sowie in ganz entscheidender Weise für die Versorgung mit Grundstoffen für die Industrie. Hinzu kommt nicht zuletzt die Notwendigkeit einer hinreichenden und sicheren Verfügbarkeit von Rohstoffen, wie etwa Seltene Erden, für die Herstellung zentraler Klimaschutztechnologien oder stabile Bezugsstrukturen für zentrale Komponenten und Produkte. In diesem Sinne gilt es beispielsweise zu überlegen, ob die weitgehende Abhängigkeit vom Import von Photovoltaik-Modulen aus China den Anforderungen gerecht wird oder im stärkeren Maße wieder auf eine heimische Produktion gesetzt werden sollte. Dabei geht es nicht darum vollständig autarke Strukturen aufzubauen, sondern Verletzlichkeiten und Risiken zu reduzieren oder sich diesen in jedem Fall bewusst zu sein. Neben der Diversifikation von Bezugsstrukturen und einer verstärkten heimischen Produktion kann auch der Übergang der heute nach wie vor stark linear geprägten Produktionsstrukturen auf zirkuläre Strukturen (Circular Economy) einen wesentlichen Beitrag zur Risikominderung leisten.

Vor diesem Hintergrund sollen nachfolgend einige grundlegende Fragestellungen diskutiert werden. Der Schwerpunkt der Fragestellungen liegt dabei auf dem Umgang mit der angespannten Versorgungssituation mit Erdgas.

Was kann getan werden, um die Energieversorgungssicherheit zu erhöhen – was geht kurzfristig, was eher mittel- bis langfristig?

In den verschiedenen Sektoren bestehen eine unterschiedliche Abhängigkeit und unterschiedliche Reaktionsfähigkeiten, kurzfristig Alternativen zum Einsatz von Erdgas zu finden. Im Bereich Industrie und Wärmeversorgung von Gebäuden, die beide einen ganz erheblichen Teil der Erdgasnachfrage ausmachen [3], beziehen sich diese vor allem auf den Übergang zu energieeffizienten Stromanwendungen, Energieeffizienz-Steigerungen und ein stärkeres Maß an energiebewusstem Verhalten. Im Bereich der Stromerzeugung besteht neben effizienter Stromnutzung und dem Ausbau der erneuerbaren Energien kurzfristig die Möglichkeit auf Kohlekraftwerke auszuweichen – verbunden mit dem Nachteil deutlich höherer CO2-Emissionen. Hinzu kommen Möglichkeiten durch Maßnahmen auf der Seite von Gasbeschaffung und Gasbewirtschaftung potenzielle Lücken zu schließen.

Grundsätzlich muss eine Lehre für die Politik aus der kritischen Versorgungsphase sein, die Bemühungen im Bereich Energieeffizienz, vor allem auch Stromeffizienz, die in den vergangenen Jahren eher stiefmütterlich betrachtet worden sind, zu stärken, und den Ausbau erneuerbarer Energien noch einmal deutlich zu forcieren. Denn diese beiden Strategien dienen sowohl dem Klimaschutz als auch der Verringerung unserer Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle. Zudem sind mittlerweile nicht nur viele Energieeffizienz-Maßnahmen, sondern auch die erneuerbaren Energien kostengünstiger als neue Energieversorgungsoptionen aus fossiler Energie. Dies gilt auch im Vergleich zu der Errichtung neuer LNG-Terminals.

Abbildung 2: Erdgasabsatz und jeweilige Anteile von Erdgas und Erdölgas im Endenergieverbrauch nach Verbrauchergruppen in Deutschland in den Jahren 2010 und 2020. Quelle: Eigene Abbildung auf Basis der statistischen Daten von BDEW 2021a 4, BDEW 2021b5 und AGEB 20216

Möglichkeiten bei der Wärmeversorgung

Mit Blick auf die kurzfristige Handlungsebene kommt einem in der derzeitigen kritischen Situation sofort die Reaktion in Japan auf die Kernkraftwerksunfälle in Fukushima in den Sinn. Dort ist es durch umfangreiche Maßnahmen gelungen, den Energie- und vor allem den Strombedarf signifikant (zumindest für eine Übergangszeit) zu verringern [7] – allerdings ausgehend von einem sehr hohen Niveau. Dafür hat sich der Begriff Setsuden eingeprägt. Wikipedia schreibt dazu:
„Setsuden war eine nationale Bewegung in Japan, um die japanische Öffentlichkeit zu ermutigen, in den (traditionell wegen der hohen Klimatisierung verbrauchsintensiven) Sommermonaten 2011 Strom zu sparen und einen insgesamt energiesparenden Lebensstil anzunehmen. Die Bewegung begann im Juli 2011, um Stromausfälle im Sommer aufgrund von Stromknappheit in Ostjapan zu verhindern.“

Auch in Deutschland gibt es aktuell einige Möglichkeiten, die schnell zu einer Minderung des Gas- und Ölverbrauchs führen können. In Deutschland ist die Abhängigkeit von Importen aus Russland besonders hoch: Deutschland deckt aktuell etwas mehr als 50 Prozent seines Erdgasverbrauchs über Importe aus Russland, zudem etwa 30 Prozent des Ölbedarfs. Dies betrifft zum Beispiel die Wärmeversorgung in Gebäuden. Energiebewusstes Verhalten, angeregt durch eine breite Informations- und Mitmachkampagne „Intelligentes Heizen und Lüften“ von Bund, Ländern und Kommunen könnte kurzfristig einen Beitrag leisten. Schätzungen zufolge ließen sich im Prinzip 10 bis 15 Prozent des Heizenergiebedarfs einsparen, wenn wir in den Gebäuden energiebewusster heizen und (!) lüften würden. Denn gerade durch ineffizientes Kipplüften – bei geöffneten Thermostaten – geht viel an Energie verloren. Energiebewusstes Verhalten schließt ebenso ein auf das Heizen in Räumen, die kaum genutzt werden, zu verzichten sowie auf eine Absenkung der Raumtemperatur zu setzen, die in vielen Haushalten auf ein zu hohes Niveau eingestellt ist – das heißt, dass es hierdurch nicht zu Komforteinbußen kommen muss. Schon eine Reduktion um 1 Grad Celsius würde nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur (IEA) europaweit zu einer Reduktion des Gasverbrauchs von rund 10 Milliarden cbm oder umgerechnet 3,5 Prozent führen.

Vermutlich wird zumindest ein Teil der oben genannten Maßnahmen in den Haushalten bereits rein preisgetrieben ohnehin umgesetzt, obwohl wir wissen, dass die Preiselastizität aufgrund vielfältiger Hemmnisse im Gebäude- aber auch im Verkehrssektor eher gering ist. Wie die nachfolgende Tabelle zeigt, wird die Preiselastizität im Raumwärmebereich auf -0,2 abgeschätzt. Das heißt, dass der Energiebedarf bei einer Preiserhöhung um 10 Prozent um etwa 2 Prozent zurückgeht. Entsprechend wird es von der weiteren Entwicklung und Dauerhaftigkeit der Energiepreise abhängen, wie viel sich allein über den Markt regeln wird.

Abbildung 3: Preiselastizitäten der Nachfrage in den Sektoren private Haushalte, Gewerbe, Handel, Dienstleistungen (GHD) sowie Transport und Mobilität. Quelle: Prognos (2013)8 , auf Basis von BMWi (2011) (9)

Wie sieht es mit den mittelfristigen Handlungsmöglichkeiten aus? Mit Blick auf den nächsten Winter und danach werden die erwartbaren Preiseffekte allein nicht ausreichen, um die Versorgungssicherheit sicherzustellen. Insofern sind nachfrage- wie angebotsseitig weitere Maßnahmen notwendig. Dies betrifft auf der Nachfrageseite, unter anderem

  • ein schnelles und konsequentes Wechseln von Gas zu Strom im Bereich der Wärmeanwendungen – also elektrische Wärmepumpen in Gebäuden. Ähnliche Möglichkeiten ergeben sich im übrigen auch in der Industrie, die hier nicht detaillierter behandelt werden kann, die aber ebenfalls große Mengen an Gas abnimmt. Elektrodenkessel und Hochtemperatur-Wärmepumpen können hier Gasanwendungen ersetzen.
  • eine Sanierungsoffensive im Gebäudebestand in Abhängigkeit und der zeitlichen Reihenfolge der Wärmedämmstandards der Gebäude. Individuelle Sanierungsfahrpläne werden hierbei eine zentrale Rolle spielen müssen. Wärmedämmung spart zudem auch Kosten bei der Umstellung auf Wärmepumpen, denn sie ermöglicht, mit den niedrigeren Temperaturen der Wärmepumpenheizung die Gebäude zu erwärmen. Sonst müssten oft größere Heizkörper oder eine Fußbodenheizung eingebaut werden.
  • eine Ausweitung der Nah- und Fernwärmeversorgung, die parallel von fossilen auf erneuerbare Energien – also auf Solarthermie, Geothermie, Großwärmepumpen, beziehungsweise industrielle Abwärme – umgestellt werden muss.

Eine derartige Entwicklung ist kein Selbstgänger, sondern erfordert ein mutiges Konzept des „Forderns und Förderns“, rasches und konsequentes Handeln der betroffenen Akteur*innen und eine geschlossene gesellschaftliche Unterstützung. Hinzu kommt eine Konzentration verfügbarer Kapazitäten (unter anderem im Handwerk) in strategisch relevanten Bereichen (beispielsweise mehr Sanierungsmaßnahmen statt Verschönerungsmaßnahmen, die für eine gewisse Zeit warten können) und die Flankierung mit unterstützenden Prozessen, wie etwa Qualifizierungs- und Ausbildungsoffensive. Dienstleistungsangebote wie One-Stop-Shops, die Komplett-Angebote für Gebäudesanierung machen und die schnelle Einführung innovativer Technologien wie das serielle Sanieren sind weitere wichtige Grundvoraussetzungen für die substanzielle Rückführung des Energiebedarfs in Gebäuden.

Quelle

Wuppertal Institut 2022 / Manfred Fischedick

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