„Ein Ökologisches Wirtschaftswunder ist möglich“
Der Fernsehjournalist Franz Alt hält in Badenweiler einen Vortrag über den Weg vom Atomzeitalter ins Solarzeitalter. Wie das mit Wladimir Putins Krieg in der Ukraine zusammenhängt, erklärt er im Interview.
Herr Alt, wo sehen Sie die Welt in Zukunft, wenn alles weitergeht wie bisher?
Franz Alt: Dann möchte ich nicht mein Enkel sein. Denn dann haben wir eine andere Welt als heute. Wir organisieren ein Treibhaus, sind aber nicht gemacht dafür. Das bedeutet, es wird sehr unangenehm, auf dieser Welt zu leben. Aber niemand zwingt uns dazu, so weiterzumachen.
Was könnten wir stattdessen tun?
Franz Alt: Die nächsten 15 Jahre haben wir noch die Chance, den hundertprozentigen Umstieg auf erneuerbare Energien zu organisieren. Das ist Erkenntnis der Wissenschaft. Noch nie musste in so kurzer Zeit ein solcher Umstieg organisiert werden. Aber es ist machbar. In Vorträgen zeige ich immer Bilder einer Parade in der New Yorker 5th Avenue, einmal von 1900 – ein Auto, sonst alles Pferdefuhrwerke. Und 13 Jahre später bei der Parade an selber Stelle: lauter Autos, ein Pferdewagen. Übrigens waren die meisten Autos in New York damals elektrisch. Das zeigt, was wir verschlafen haben.
„Wir brauchen zum Überleben eine Welt ohne Atomwaffen.“
Franz Alt
Beim Umstieg aufs Auto ging’s um mehr Komfort. Ist das heute nicht anders, wenn Leute sich einschränken sollen?
Franz Alt: Das sehe ich überhaupt nicht. Die Ökos sprechen die falsche Sprache, wenn sie von Verzicht sprechen. Wir müssen realistischer kommunizieren. Es geht um eine bessere Zukunft und mehr ökologischen Wohlstand. Es ist doch keine Einschränkung, mit dem Zug zu fahren. Das ist ein Gewinn für meine Gesundheit und die Umwelt. Und E-Autos, wenn wir sie noch brauchen, werden künftig billiger als Verbrenner, das hat VW bereits ab kommendem Jahr angekündigt. In China kosten sie schon jetzt nur ein Drittel von dem, was herkömmliche Autos kosten.
Viele wehren sich gegen erneuerbare Energien. Bei Ihnen gab Tschernobyl Anlass zum Umdenken. Was könnte Menschen heute wachrütteln?
Franz Alt: Wir tun uns schwer, gewohntes zu ändern. So sind wir Menschen.Wir brauchen erst Katastrophen, um aufzuwachen. Andere brauchen vielleicht die Klimakatastrophe, aber danach ist es für künftige Generationen zu spät. Zwar sagen 80 Prozent der Deutschen bei Umfragen, die Zukunft gehöre den erneuerbaren Energien. Aber der Umstieg vollzieht sich zu langsam. Das Problem ist, wir denken zu kurzfristig. Die Politik denkt bis zur nächsten Bundestagswahl, Großkonzerne orientieren sich an Vierteljahresgewinnen. Keiner denkt daran, dass wir nachhaltig wirtschaften müssen. Ein Beispiel: Wir bauen Atomkraftwerke ohne zu wissen, wohin mit dem Müll. Atommüll strahlt eine Million Jahre. Unter dem Ballast einer halbwegs günstigen Energie für zwei Generationen leiden also 33.000 Generationen.
Und trotzdem wird immer noch über Atomkraft diskutiert.
Franz Alt: Viele wollen halt wieder zurück ins Gestern. Das ist ein mentales Problem, das wir überwinden müssen. Ich sage das nicht als Besserwisser, sondern habe selbst lange gebraucht, es zu begreifen. Ich war 28 Jahre CDU-Mitglied und habe selbst geglaubt, dass es für Atommüll eine Lösung gibt – irgendwann. Dann habe ich den Chef der Aufräumarbeiten in Tschernobyl, Wladimir Tschernoussenko, kennengelernt – als Professor für Atomphysik ein glühender Anhänger der Atomenergie. Er ist nach der Reaktorkatastrophe um die Welt gereist und hat gegen Atomkraft gesprochen. Der hat mich überzeugt. Jede Technik versagt irgendwann. Das haben wir bei der Atomkraft gesehen. Und es gibt noch ein Problem mit dem Atomzeitalter. Der anfallende Stoff im Atomkraftwerk ist die Basis für den Bau von Atombomben. Wir brauchen aber eine atomwaffenfreie Welt, wenn wir überleben wollen.
Sie verknüpfen also die ökologische Wende auch mit Abrüstung. Wie glauben Sie, ist das mit dem Krieg in der Ukraine derzeit möglich?
Franz Alt: Wir müssen verstehen, was Feindesliebe heißt. Das heißt nicht, sich alles bieten lassen, sondern versuchen, den Feind zu verstehen. Putin ist zurzeit ein Massenmörder. Aber wir müssen auch versuchen mit ihm, der den Schlüssel für den Atomknopf in der Hand hat, auf der anderen Seite klar zu kommen. Und das kann ich nur, wenn ich seine Beweggründe verstehe.
Und die wären?
Franz Alt: Die Nato hatte 1990 nach Ende des Kalten Kriegs 16 Mitglieder, heute sind es 31. Wie wirkt das auf Putin? Die Sicherheitsinteressen Russlands haben wir sträflich vernachlässigt, damit zitiere ich Helmut Kohl. Helmut Schmidt hat ähnliches gesagt, Michail Gorbatschow ständig: Ihr behandelt uns wie die Besiegten. Das führt immer zum nächsten Krieg. Wenn wir Putin nicht versuchen zu verstehen, werden wir ihn immer weiter in die Enge drängen. Damit besteht die Gefahr eines Atomkriegs. Wer Putin realistisch sieht, muss ihm zutrauen, dass er auf den Knopf drückt.
Haben Sie deshalb das umstrittene „Manifest für Frieden“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer unterschrieben, das den Stopp von Waffenlieferungen und Verhandlungen fordert?
Franz Alt: Ich bin ja nicht gegen Waffenlieferungen an die Ukraine in der aktuellen Situation. Ich bin als Pazifist für die Waffenlieferungen, weil ich weiß: deutsche Waffen retten zurzeit ukrainisches Leben. Ich bin Realpazifist, kein Fundamentalpazifist. Das Leben ist heilig, das ist für mich als Christ die Basis meines Glaubens. Das Atomzeitalter ist das erste Zeitalter der Menschheit, wo wir den nächsten Krieg wahrscheinlich nicht überleben würden – einen Atomkrieg. Das müssen wir verstehen. Deshalb ist es wichtig, mit Putin zu einem Ergebnis zu kommen, und zwar über einen Waffenstillstand und dann muss verhandelt werden, bis wir die Sicherheitsinteressen nicht nur der Ukraine, sondern auch Russlands verstehen lernen und beides in einem europäischen Friedensabkommen berücksichtigen.
Wie schlagen wir abschließend den Bogen wieder zurück zu Ihrem Vortrag in Badenweiler?
Franz Alt: Diese Veranstaltung ist am Vorabend des 6. August, dem Jahrestag von Hiroshima. Da passt das Thema sehr gut. Ich war in Hiroshima und Nagasaki, wo vor 80 Jahren Atombomben abgeworfen wurden. Und ich war in Fukushima, wo 2011 die Nuklearkatastrophe passiert ist. Die Bürgermeister dort hatten mich zu genau diesem Thema eingeladen – vom Atomzeitalter ins Solarzeitalter. Und die Japaner wissen, wovon man spricht, sie haben ja alle drei großen Atomvorfälle abbekommen. Was viele nicht wissen ist, jedes Jahr sterben in Japan immer noch 3000 Menschen an den Folgen der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki.
Die Bürgermeister der beiden Städte haben die Organisation „Bürgermeister für Frieden“ für eine atomwaffenfreie Welt gegründet und mich gebeten, in Deutschland dafür zu werben, wo inzwischen 900 Bürgermeister der Organisation angeschlossen haben – querbeet durch alle Parteien. Das lässt mich hoffen. Wir können ein ökologisches Wirtschaftswunder organisieren und den hundertprozentigen Umstieg mit Sonne, Wind, Wasserkraft, Bioenergie, Fernwärme, Wellen- und Strömungs-Energie der Ozeane in einer Generation schaffen, so wie die Generation meiner Eltern nach 1945 ein ökonomisches Wirtschaftswunder organisiert hat.
Quelle
Badische Zeitung 03.August 2023 / Das Interview führte Ralf Strittmatter